Rheinpfalz Kriminalstatistik: Früher war auch nicht alles besser

Morgen wird die Kriminalstatistik 2016 für Deutschland vorgestellt. Meistens konzentrieren sich dann alle auf den Vergleich zum Vorjahr. Was aber sagt ein langfristiger Blick? Vier oft gehörte Vorurteile im Check.

Lange Jahre hat das gestimmt – seit gut zwei Jahrzehnten allerdings nicht mehr. In der gesamten Nachkriegszeit stieg die Kriminalitätsbelastung stark an und verdreifachte sich laut dem Kriminologen Dietrich Oberwitter fast zwischen 1953 und dem Höhepunkt 1993, ab dann sank sie und stagniert heute auf niedrigerem Niveau. Der langfristige Vergleich zwischen alter und wiedervereinigter Bundesrepublik ist möglich durch den Bezug von Kriminalitätszahlen auf je 100.000 Einwohner. In der DDR gab es keine ernstzunehmende Kriminalstatistik. Im am stärksten belasteten Kriminalitätsjahr 1993 wurden insgesamt 6,7 Millionen Straftaten erfasst. Dann sank die Kurve bis 2010 (5,9 Millionen) und seitdem bleibt sie in etwa gleich. Die Gesamtzahlen in Deutschland steigen zwar seit dem Jahr 2013 wieder leicht an (auf 6,3 Millionen Fälle im Jahr 2015). Rechnet man allerdings ausländerrechtliche Verstöße heraus, bleiben sie bis 2015 in etwa gleich bei rund 5,9 Millionen. Zum Verständnis: Unter ausländerspezifischen Verstößen versteht man Delikte wie illegale Einreise oder Verstoß gegen Aufenthaltsbeschränkungen und Asylrechtsvorschriften. Wenn viele Flüchtlinge kommen, ergeben sich schon durch die Art der Einreise viele ausländerrechtliche Verstöße – das trifft selbst für die Menschen zu, bei denen sich die EU zur Aufnahme verpflichtet hat. Weil es bei diesen Verstößen nicht um Kriminalität im landläufigen Sinne geht – also Angriff auf das Eigentum oder die Person –, veröffentlichen die Behörden seit Kurzem zwei Kriminalitätszahlen: Die Gesamtzahl und die um ausländerspezifische Verstöße bereinigte Zahl. Die bereinigte Kriminalitätszahl stagniert seit Jahren. Kriminologen haben für den Anstieg der Kriminalität von 1953 bis in die 1990er-Jahre verschiedene Erklärungen gesucht. Eine davon ist der steigende Wohlstand: Der Autodiebstahl entwickelte sich zum Beispiel in etwa parallel mit dem Bestand an Autos. Eine andere ist, dass die geburtenstarken Jahrgänge in den Siebzigern und Achtzigern ins besonders kriminalitätsträchtige Alter von 14 bis 29 Jahren kamen. Trotzdem fehlt es an völlig befriedigenden Erklärungen für den Anstieg und dann den Rückgang, schrieb der Göttinger Kriminologe Jörg-Martin Jehle jüngst in einem Aufsatz für die „Deutsche Richterzeitung“. Zumindest der Wohlstand hat ja in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht abgenommen – Anreize für Diebstähle sind also nicht weniger geworden. Jetzt zeichnet sich allerdings eine Trendwende ab. Einzelne Landesstatistiken verzeichnen 2016 beim Wohnungseinbruch sogar Rückgänge um bis zu zehn Prozent zum Vorjahr. Rheinland-Pfalz meldet ein Minus von 5,3 Prozent. Nur in Sachsen und Sachsen-Anhalt zeigt die Kurve noch nach oben. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen beschäftigt sich gerade in einer Studie mit Wohnungseinbrüchen. Die Wissenschaftler haben Einbruchsakten aus mehreren Städten ausgewertet und mit verurteilten Tätern gesprochen. Studienleiterin Gina Rosa Wollinger vermutet hinter dem bisherigen Anstieg der Wohnungseinbrüche eine Kriminalitätsverschiebung. So sei einerseits der Autodiebstahl durch immer bessere Sicherungen erschwert worden, andererseits seien Haushalte attraktiver geworden, erklärt sie im Gespräch mit der RHEINPFALZ am SONNTAG. In den Häusern fänden sich viele Vermögenswerte, die man überdies gut mitnehmen könne, wie Schmuck, Laptops und Handys. Attraktiv ist der Wohnungseinbruch auch, weil das Verurteilungsrisiko so niedrig ist. Wollinger schätzt es auf 2,6 Prozent aller Fälle. Schon die Aufklärungsquote der Polizei liegt bei nur 15 Prozent, und nach den Erkenntnissen der Hannoveraner Forscher werden selbst die ermittelten Verdächtigen wegen fehlender Beweise sehr selten bestraft. Oft kommt es nicht mal zum Prozess. Bei Wohnungseinbrüchen gibt es einen hohen Anteil an organisierten reisenden Banden aus dem Ausland. Laut Bundeskriminalamt hat sich in fünf Jahren der Anteil der ausländischen Tatverdächtigen hier mehr als verdoppelt, von 19 Prozent aller ermittelten Täter im Jahr 2010 auf 40 Prozent im Jahr 2015. Wie erklärt sich die Hannoveraner Wissenschaftlerin dann aber, dass der Anstieg nun seinen Höhepunkt erreicht zu haben scheint? „Vielleicht greifen jetzt allmählich die Vorbeugemaßnahmen“, sagt Wollinger. Der Anteil der Fälle, bei dem Einbrüche im Versuchsstadium steckenbleiben, ist nämlich ebenfalls gewachsen – 2015 waren es 42,7 Prozent der erfassten Delikte. Warum die Wellenbewegung bei der Gewaltkriminalität in den vergangenen Jahren so anders getaktet war als bei der Kriminalität insgesamt, lässt sich nicht überzeugend erklären. Der Anstieg im vergangenen Jahr allerdings ist eindeutig auf Taten von Zuwanderern zurückzuführen. Ihr Anteil an den tatverdächtigen Gewalttätern hat sich in Bayern gegenüber dem Vorjahr auf 20 Prozent fast verdoppelt, in Rheinland-Pfalz schnellte er von 4,9 auf 11,1 Prozent hoch, in Thüringen verdreifachte er sich gar auf 14,9 Prozent. Aussagen über die Kriminalität von Flüchtlingen werden erschwert, weil die Bundesländer ihre Polizeistatistiken nicht einheitlich führen. Einige benennen nur „nichtdeutsche Tatverdächtige“ und erfassen damit auch EU-Ausländer wie beispielsweise Rumänen sowie die Mitglieder durchreisender Banden, die hier gar nicht wohnen. Andere haben als Unterkategorie „Zuwanderer“ eingeführt und meinen damit Schutzberechtigte, Asylberechtigte, Asylbewerber und Illegale, obwohl Letztere nicht Flüchtlinge und nicht einmal erst seit Kurzem im Land sein müssen. Rheinland-Pfalz gehört zu den Ländern mit der Kategorie „Zuwanderer“. Deren Anteil an Straftaten betrug laut Kriminalitätsstatistik des Landes im Jahr 2016 bereinigt 4,6 Prozent (gegen 2,6 Prozent im Vorjahr). Interessant ist: Die meisten Opfer von tatverdächtigen Zuwanderern waren selbst Zuwanderer, nämlich 61,2 Prozent. Das deckt sich mit Angaben aus anderen Bundesländern. Vor allem Körperverletzung wird oft von Flüchtlingen an Flüchtlingen verübt – bei Streit in Flüchtlingsheimen, wo es an Privatsphäre fehlt. Für mittelfristige Aussagen über die Kriminalität von Flüchtlingen ist es noch zu früh. Kriminologe Jörg-Martin Jehle hat darauf hingewiesen, dass Kriminalitätsbelastung viel mit Alter und Geschlecht zu tun hat: Junge Männer zwischen 14 und 29 Jahren bilden auch bei den Deutschen die Gruppe mit der höchsten Kriminalitätsbelastung. So werde fast jeder zehnte deutsche Heranwachsende polizeilich als Tatverdächtiger registriert. Da unter den Flüchtlingen junge Männer mit geringem Bildungsstand überwiegen, würde es Jehle nicht wundern, wenn sich die Flüchtlingswelle in den kommenden Jahren in steigenden Verdächtigenzahlen niederschlüge. Er plädiert für „erhebliche Anstrengungen“ bei der Integration und der Kriminalprävention. Hinweise geben vielleicht auch zwei Studien aus dem Jahr 2000 – eine zur Kriminalität junger Ausländer von der Kriminologin Wiebke Steffen und dem Soziologen Erich Elsner sowie eine Studie des Soziologen Johannes Luff über die Kriminalität von Aussiedlern. Beide Untersuchungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Kriminalität von jungen Menschen aus Einwandererfamilien und von Alteingesessenen durch genau dieselben Faktoren beeinflusst würden: Alter, Geschlecht und soziale Situation. Steffen plädierte dafür, erhöhte Kriminalitätsbelastung von einzelnen Gruppen als Frühwarnsystem zu verstehen, als Hinweis darauf, wo Kriminalprävention ansetzen müsse.

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