Rheinpfalz Dosierte Angst vor Katastrophen

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Eine Firma vom Bodensee versorgt Menschen mit Notvorräten, die sich auf Katastrophenszenarien einstellen wollen. Manches mag übertrieben wirken, doch ist ein gewisses Maß an Vorsorge nicht verkehrt, mahnen die Behörden.

Nein, ein ängstlicher Mensch bin ich überhaupt nicht“, versichert Hans K., wohnhaft in einem Reihenhausidyll im Bodenseekreis. Aber die Zeichen der Zeit müsse man schon lesen können. Da dürfe man die Augen nicht verschließen vor Terrorgefahr, Ukraine, Erdoğan und nicht zu vergessen US-Präsident Trump. Es rieche nach Dauerkrise. „Ist man besonders ängstlich, wenn man sich darauf vorbereitet? Ich glaube nicht“, sagt Herr K., ein Lächeln der Überlegenheit umspielt seinen Mund. Seine Frau nickt, als das Rentnerpaar durch seinen Keller führt. Ein Bunker sei das natürlich keiner. „Man muss es nicht übertreiben“, sagt Herr K. Aber Notvorräte anzulegen, könne sicher nicht schaden. Dem Ehepaar K. kann jedenfalls so schnell nichts passieren: Vom Boden bis zur Decke stapeln sich Konserven. Mehl in Dosen. Trockenkekse. Brot in Dosen. Milchpulver. Löslicher Kaffee. Vollei-Pulver und Butterpulver – alles eingedost. Die Vorräte sind ein Zeugnis der Verunsicherung in manchen Teilen der Bevölkerung. In Zeiten wie diesen, in denen für unmöglich gehaltene Dinge geschehen wie etwa der Brexit oder Trumps Wahlerfolg, erscheinen vielen auch existenzielle Notlagen wieder denkbar. Zu den Gewinnern dieser neu aufgeflammten Angst gehört Philipp Nater. Er ist Geschäftsführer der SicherSatt AG, die ihren Sitz im Landkreis Konstanz hat, in Rielasingen-Worblingen unweit des Bodensees. Von dort aus beliefert Nater Kunden in ganz Europa mit Notvorräten. „Ich würde nicht sagen, dass wir von der Angst leben. Sondern wir verkaufen eine Art Versicherung in Dosenform“, sagt der 48-Jährige und öffnet die Tür zum kleinen Verkaufsraum. Glänzende Büchsen stapeln sich dort. Kleine Wasseraufbereitungsanlagen. Kochutensilien, die ohne Strom auskommen. Reparatursets für die eigenen Zähne. Trinkwasserbeutel für den Notfall. Trockengemüse, Konservenfleisch. Es gibt Vorratskomplettpakete, die von ein paar Tagen bis zu einem ganzen Jahr reichen. Für die „Komplettlösung ECO“ verlangt das Unternehmen 2590 Euro. Sie umfasst 620.000 Kalorien und soll drei Monate lang für vier Personen reichen. Mindesthaltbarkeit: 15 Jahre. Wer bislang nicht genau wusste, warum es klug sein könnte, sich auf härtere Zeiten einzustellen, findet auf der Internetseite des Herstellers eine Menge Argumente: Stromausfall, totes Internet, Hochwasser, Terror, instabile Finanzsysteme – alles Szenarien, in denen „Notvorräte eine Versicherung mit realen essbaren Gütern“ darstelle. Die Geschäfte laufen immer dann besonders gut, wenn die Angst um sich greift – zuletzt, nachdem Bundesinnenminister Thomas de Maizière ein neues Zivilschutzkonzept vorstellte, das rät, sich mit Vorräten für zwei Wochen einzudecken. „Der erste Schock bringt die Leute dazu, zu handeln“, sagt Nater und erinnert an die Atomkatastrophe von Fukushima oder auch die Anschläge von Paris, die das Telefon nicht mehr hätten zur Ruhe kommen lassen. Christiane Manthey von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg findet es grundsätzlich richtig, sich für einen Zeitraum von zwei Wochen mit Vorräten einzudecken: „Aber denken Sie daran: Der limitierende Faktor ist immer das Wasser.“ Diese Frage sei zuerst zu klären. „Denn Milchpulver oder Nudeln nützen nichts, wenn kein Wasser zur Verfügung steht.“ Sie verweist auf das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Die Behörde hat eine Checkliste mit Mengenempfehlungen herausgegeben, empfohlen werden beispielsweise 5,6 Kilo Dosengemüse und Büchsen-Hülsenfrüchte pro Person: „Wir finden es sinnvoller, genügend Vorräte im Haus zu haben, die Lebensmittel aber nach und nach zu verbrauchen und wieder zu ersetzen.“ Spezielle Notvorräte wie die von SicherSatt seien zwar bequem, aber nicht für jeden sinnvoll. „Nicht jeder hat ein eigenes Haus und genug Platz, um die Nahrung überhaupt unterzubringen“, sagt Christiane Manthey. Familie K. indes fühlt sich ausgesprochen wohl mit dem prall gefüllten Keller, auch wenn sie das nicht an die große Glocke hängt. „Notbevorratung ist ein sehr diskretes Geschäft“, bestätigt auch Firmenchef Nater. Als sein Unternehmen 2010 in der Schweiz gegründet wurde, habe man das Firmenlogo noch groß auf die Kartons gedruckt und auch auf den Lieferwagen stand das Wort Notvorrat: „Die Kunden haben zu uns gesagt: ,Seid ihr wahnsinnig?’, wenn wir damit vorgefahren sind.“ Niemand gebe gern zu, ein Hamsterkäufer zu sein. Und außerdem solle der Nachbar nicht wissen, was es im eigenen Keller zu holen gebe. Jedenfalls liefert SicherSatt seine Ware nun in neutralen Kartons und Fahrzeugen. Und wie schmeckt so ein Notvorrat? Die Konserveneintöpfe unterscheiden sich nicht von der üblichen Handelsware. Der Schweizer Käse in der Büchse hat hingegen die Konsistenz von Hartgummi. Die Masse ist sehr trocken und schmeckt nach Schmelzkäse. Das dunkle Vollkornbrot aus der Dose erinnert an Pumpernickel – und ist ebenfalls sehr trocken. Zumindest das Milchpulver erinnert geschmacklich an das Ausgangsprodukt. Unterm Strich stellt sich heraus, dass Notvorräte eben genau das sind: Vorräte für den Notfall. Genuss geht anders.

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