Rheinpfalz Terrorverdächtiger in Zimmer 121

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Ramstein-Miesenbach. Mal lehnt er sich lässig mit hipper Beanie-Mütze und Sonnenbrille gegen den Türrahmen, mal liegt er mit gedankenverlorenem Blick auf gelblich gestreifter Bettwäsche: Vom 18. Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2015 logiert ein modebewusster Syrer mit coolem Sieben-Tage-Bart und feinsäuberlich gestutzten Augenbrauen in Zimmer 121 eines Ramsteiner Hotels und knipst Selfies. Die zeigt er dann bei Facebook, während er auf eine Entscheidung über seinen Asylantrag wartet. Am 15. Januar 2015 bekommt er die ersehnte Aufenthaltserlaubnis, von da an ist er ein offiziell anerkannter Kriegsflüchtling. Doch seit vergangener Woche steht er in Stuttgart vor dem Oberlandesgericht, angeklagt unter anderem wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorbande. Und wegen eines „Kriegsverbrechens gegen humanitäre Operationen“. Es geht um den Fall des Kanadiers Carl Campeau. Der Jurist arbeitet im Jahr 2013 als Rechtsberater für Beobachter der Vereinten Nationen, die auf den Golanhöhen die Grenze zwischen Syrien und Israel überwachen. Als er im Februar mit einem UN-Auto nach Damaskus fahren will, nehmen ihn Kämpfer des syrischen Al-Qaida-Ablegers gefangen. Sieben Millionen US-Dollar Lösegeld soll er der Al-Nusra-Front bringen, doch die Vereinten Nationen und die kanadische Regierung bleiben hart. Wie er trotzdem freikommt, wird Campeau später kanadischen Medien, aber auch dem Nachrichtenmagazin „Stern“ und der ARD-Sendung „Panorama“ berichten: Nach acht Monaten kann er sich aus der verlassenen Villa schleichen, in der ihn die Entführer eingekerkert haben. Er zieht sich ein rotes Araber-Tuch über und marschiert drei Stunden lang, bis er Regierungstruppen findet. Ehe ihm am islamischen Opferfest so seine abenteuerliche Flucht gelingt, versucht der Kanadier alles, wirklich alles, um sich die Islamisten gewogen zu machen und dadurch am Leben zu bleiben. Damit ihre Erpresservideos eindrücklicher werden, tut er so, als hätten sie ihm ein Bein abgehackt. Er konvertiert zum Islam, verrichtet mit seinen Bewachern die rituellen Gebete. Und er pinkelt in einen Becher, damit ihn seine Aufpasser nur selten zum Klo führen müssen. Einer von ihnen, er nennt sich „Abu Adam“, trägt immer eine selbstgebastelte Granate mit sich herum. Mit der will er sich in die Luft sprengen, falls ihm Gefangenschaft droht. Nach ein paar Wochen verschwindet der junge Mann. Mittlerweile glaubt Campeau, ihn wiedergesehen zu haben: auf Fotos, die ihm deutsche Ermittler vorgelegten. Die Aufnahmen zeigen Suliman Al-S., den modebewusste Syrer mit coolem Sieben-Tage-Bart und feinsäuberlich gestutzten Augenbrauen, der vom 18. Dezember 2014 bis zum 26. Februar 2015 in einem Ramsteiner Hotel logierte. Auch wenn das vergleichsweise teuer ist: In der Unterkunft gleich neben der Luftwaffenbasis bucht der Kreis Kaiserslautern zeitweise Zimmer für Flüchtlinge, wenn er sie sonst nirgendwo unterbringen kann. Einzelne haben dort auch schon Ärger gemacht, oder sie kamen dem Personal zumindest seltsam vor. Der junge Syrer aus Zimmer 121 allerdings fällt hier niemandem auf. Dabei pirschen sich vermutlich schon da wachsame Beobachter an ihn heran. Geheimdienstinformationen sollen die deutschen Ermittler auf seine Spur gebracht haben. Zunächst ist die Staatsanwaltschaft Zweibrücken für Suliman Al-S. zuständig, dann übernimmt der für die richtig dicken Fische zuständige Generalbundesanwalt. Und neben dem rheinland-pfälzischen Landeskriminalamt kommt auch die baden-württembergische Polizei ins Spiel. Denn der Terrorverdächtige verlässt die Umgebung der wichtigsten US-Luftwaffenbasis in Europa, zieht in die Nähe von Stuttgart. Dort lebt ein Freund, der aus demselben syrischen Dorf stammt. Zusammen sind die beiden am 19. Juli 2015 in Paris, dort knipsen sie sich unterm Eiffelturm. Und sein Facebook-Profil vermeldet weitere Ausflüge, die Suliman Al-S. unternimmt: am 15. August ist er in München, am 6. Oktober bewundert er das Ulmer Münster. Doch er jobbt auch, und er macht einen Deutschkurs. Am 21. Januar 2016 ist er gerade in der Nähe seiner Sprachschule in Backnang, als sich rund um ihn Menschen auf offener Straße plötzlich Sturmhauben überziehen und Waffen zücken. Sie reißen dem Syrer zu Boden und nehmen ihn mit, zurück bleiben verstörte Passanten. Einen Tag später lässt der Generalbundesanwalt die Festnahme eines mutmaßlichen Kriegsverbrechers durch Spezialkräfte aus Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verkünden. Seither logiert der modebewusste Syrer aus Zimmer 121 im Gefängnis, zum ersten Verhandlungstag kam er mit hippem Zöpfchen am Hinterkopf. Und einem Pflaster im Gesicht. Mithäftlinge sollen ihn attackiert haben. Einwurf/Zur Sache Im Netz Wie verschlossen einige Behörden auf seine Fragen zu Suliman Al-S. reagiert haben, berichtet RHEINPFALZ-Redakteur Christoph Hämmelmann im Online-Tagebuch der Redaktion: blog.rheinpfalz.de.

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