Rheinland-Pfalz Die Deidesheimer Architektur-Professorin Birgit Franz über Häuser und Kleider

In der Deidesheimer Weinlage „Paradiesgarten“: Architektin Birgit Franz und Redakteur Rolf Schlicher.
In der Deidesheimer Weinlage »Paradiesgarten«: Architektin Birgit Franz und Redakteur Rolf Schlicher.

„Eine Stunde mit …“ heißt die RHEINPFALZ-Gesprächsreihe, bei der sich der Gast den Ort des Treffens aussuchen darf: diesmal die Architektin Birgit Franz (56).

Sie hat eine Professur für „Bauwerkserhaltung und Denkmalpflege“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim hat und seit 2013 in Deidesheim wohnt, hat für das Treffen einen idyllischen Platz am Haardtrand gewählt: die Eva-Statue in der Deidesheimer Weinlage Paradiesgarten. Dort hat sich RHEINPFALZ-Redakteur Rolf Schlicher mit ihr unterhalten. Stummer Zeuge war die RHEINPFALZ-Sanduhr, die genau eine Stunde läuft. Kurz nachdem wir uns für dieses Gespräch am Rastplatz bei der Paradiesgarten-Eva verabredet hatten, bekam ich Post von Professorin Birgit Franz: Es waren Broschüren zu Themen wie „Baukultur machen WIR“ oder „Lebensraum Altstadt – Wohntraum Fachwerk“. Franz hatte kleine gelbe Zettel mit Anmerkungen an den Stellen hineingeklebt, die ihr offenbar wichtig waren. Vorbereitungslektüre also für mich. Ihre Philosophie im Umgang mit „unserem schätzenswerten Baubestand“ beschreibt die Architektin auf ihrer Internetseite anhand eines schönen Beispiels: Keiner kaufe sich eine Hose, die ihm nicht halbwegs passe, und niemand werde auf die Idee kommen, sich vom Schneider eine weiße Röhrenhose zu einer schwarzen Schlaghose umarbeiten zu lassen. Doch wenn jemand einen Altbau erwerbe, greife er oft ohne Scheu und skrupellos in Grundriss, Fassadengestaltung oder Geschosse ein. „Eine Stunde mit...“ beginnt stets mit einer „Entweder ... oder“-Frage. Ich packe aus dem Rucksack Nähzeug und ein halbes Dutzend Bohrer aus. „Was ist das denn?“, sagt Franz und lacht. „Was würden Sie wählen“, sage ich, „Nähmaschine oder Bohrmaschine?“ Die Antwort kommt prompt: „Nähmaschine! Obwohl ich Architektin bin und viel am Bau zu tun habe, waren Handarbeiten schon immer mein Faible.“ Ehe ich nachhaken kann, stellt sie klar: „Was aber nicht heißt, dass ich nicht mit einer Bohrmaschine umgehen kann.“ Das habe ich schnell verstanden: Birgit Franz rät schon aus Kostengründen davon ab, sich ein „Röhrenhosen“-Haus zu einem „Schlaghosen“-Haus umzubauen. Ihr großes Anliegen ist, Menschen mit den richtigen Häusern zusammenzubringen: „Man muss suchen, was zu einem passt.“ Das sei wie beim Partner: „Da wähle ich ja auch jemanden, der zu mir passt und sage nicht, der muss sich jetzt verbiegen und machen, was er nie wollte.“ Die steinerne Eva hinter unserer Bank sieht das vielleicht anders. Sie schaut unbeteiligt zu Boden und scheint zu überlegen, ob sie Adam einst irgendwie beeinflusst hat. Der Architektin Birgit Franz geht es bei ihrem Vergleich um den rechten Blick auf alte Häuser und ihre Möglichkeiten, die beim Umbau oft auch unkonventionelle Lösungen verlangten: Viele teure Anpassungen und massive Eingriffe passierten deshalb, weil die Käufer keine Vorstellung davon hätten, dass es anders sein könnte, als sie es kennen. „Aber was ist, wenn das Haus, das genau zu mir passt, an der Nordsee steht und nicht an der Weinstraße?“, frage ich. Franz lacht wieder. Denn sie selbst ist ja vor vier Jahren aus dem Norden nach Deidesheim gezogen. Die Architektin ist überzeugt: Das Angebot ist nicht so klein; man muss also als Pfälzer nicht der Häuserliebe wegen an die Nordsee auswandern. Franz plädiert für den zweiten Blick. Nach Weisenheim am Berg seien beispielsweise vor 30 Jahren kaum Leute hingezogen: „Das Örtchen hatte es schwer und was ist das heute für ein fröhliches Leben dort.“ Bei solchen Entwicklungen bringt sich die Architektur-Professorin gerne ein, will Anstöße geben. Ich hatte vorher auf Immobilienportalen etwas gestöbert: Rund 200 Fachwerkhäuser stehen in Rheinland-Pfalz derzeit zum Verkauf – mit Lobpreisungen wie „traumhaft schön“, „zauberhaft“ und „charmant“. Von praktisch oder altersgerecht ist nicht die Rede. „Was müsste ich können, wenn ich mir ein Fachwerkhaus kaufe?“, will ich wissen. „Eine gute Frage“, meint Franz. Statt sie überlegen zu lassen, rutscht mir übereilt heraus: „Ich bräuchte einen guten Architekten?“ Sie schmunzelt. „Selbstverständlich“, sagte sie und spricht dann ernsthaft über etwas, das sie „einen Sachverhalt in der Architektenwelt“ nennt: Alle Architekten trauten sich zu, ein altes Haus oder ein Denkmal herzurichten. Viele sagten beispielsweise: Ich mache Industriebau, aber wenn ein Denkmal kommt, ist das für mich die Praline. Franz: „Wenn ich umgekehrt einen Industriebau machen sollte, der in neun Monaten fertig und günstig sein muss, dann würde ich sagen: Leute, da müsst ihr euch einen anderen Architekten suchen.“ Die Botschaft ist klar: Altbauten und Denkmäler kann nicht jeder Architekt. Franz hat sich damit schon im Studium intensiv beschäftigt, „Voruntersuchungen zur Wiedernutzbarmachung von historisch bedeutsamen Bürgerhäusern - Zum Umgang mit Baudenkmalen in den neuen Bundesländern“ war das Thema ihrer Doktorarbeit. Nach Stationen in Architekturbüros und an der Universität Karlsruhe folgte dann 2002 der Ruf an die Hochschule in Hildesheim. Baukultur ist ihre Passion, häufig auch über den Beruf hinaus. Sie gehört dem Landesbeirat für Denkmalpflege an, ist Beirätin im Freundeskreis für die ehemalige Deidesheimer Synagoge. Seit neuestem steht sie an der Spitze des Fördervereins, der das abgebrannte alte Teehaus bei Ruppertsberg wieder zu altem Glanz erwecken will. Wie bringt sie diese vielen Funktionen unter einen Hut? „Es ist eine Sieben-Tage-Woche, es geht oft bis zum Anschlag“, sagt Franz. Das Problem sei einfach, dass ihr die Ideen nicht ausgingen. In einer der Broschüren, die sie mir geschickt hatte, geht es um einen Workshop, den zwei ihrer Studentinnen mit Kindern initiiert hatten. Heraus kam, dass in Dörfern oft Bushaltestellen der einzige Ort sind, wo sich Kinder draußen bei schlechtem Wetter treffen können. Die Studentinnen entwickelten daraufhin Vorschläge für Bushaltestellen mit Wohlfühlatmosphäre. Birgit Franz ist in einem 6000-Einwohner-Städtchen im Westerwald aufgewachsen – in Haiger. Wo hat sie als kleines Mädchen gespielt? „Im Wald“, sagt sie, „dort haben wir uns kleine Budchen gebaut und auch Spielsachen deponiert“. Die Haiger-Kinder brauchten offenbar keine Bushaltstellen. Altbaunutzung oder Neubaugebiete? Da muss ich nicht fragen, es ist klar, wofür das Herz der Architektur-Professorin schlägt. Stattdessen will ich wissen: „Fahren Sie einen Gebrauchtwagen oder ein neues Auto?“ „Ein gebrauchtes, und das ist schon 20 Jahre alt“, sagt sie. Nächster Test: „Wir halten Sie es mit Second-Hand-Kleidern?“ „Ich hatte tatsächlich mal solch eine Phase“, so Franz. Jetzt gibt es eine andere Begrenzung: „Wir kaufen wenig Kleider, mein Mann und ich haben jeder einen Schrank, da ist alles drin – Sommer-, Winterklamotten, Sportsachen und Bettwäsche. Mehr gibt es nicht.“ Die letzten Sandkörner rieseln durch die RHEINPFALZ-Uhr. Die letzte Frage gehört bei „Eine Stunde mit...“ dem Gast. „Sind Sie eher der Umbau- und Bestandstyp oder der Neubautyp?“, will Birgit Franz von mir wissen. „Wir haben ein altes Haus aus den 1930-er Jahren – mehr als eine Wand haben wir da nicht herausreißen lassen. Sagen wir so: Ich bin der unselbstständige Umbautyp, ich kann eine Bohrmaschine bedienen – dann hört es aber auch schon auf.“

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