Rheinpfalz Der Streitbare

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Aus dem Mund von Hans-Josef Graefen klingt der Satz freundlich und ruhig, doch es ist eine Kampfansage: „Ich spiele mit dem Gedanken niederzuschreiben, was ich erlebt habe, es sei denn, es strengt mich zu sehr an.“ Vielleicht ist am morgigen Aschermittwoch, wenn der Präsident des Oberlandesgerichts Koblenz in den Ruhestand geht, doch nicht alles vorbei.

Koblenz. Der „Fall Graefen“ hat Justizgeschichte geschrieben, bundesweit. Es ist die Geschichte einer selbstbewussten Dritten Gewalt, die sich gegen die machtpolitischen Spiele einer Regierung gewehrt hat. Sie begann mit der Landtagswahl 2006, als die SPD unter Kurt Beck die absolute Mehrheit gewonnen hat. Erstmals stellten die Sozialdemokraten den Justizminister im Land: ein Mann aus der Praxis, der Präsident des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz, Heinz-Georg Bamberger. Doch er schaffte es nicht, seine eigene Nachfolge zu regeln. Der erste Aspirant – Wolfgang Krämer, damals Landgerichtspräsident in Trier – fiel in Ungnade. Er hatte Kruzifixe aus Gerichtssälen entfernen lassen. Alles schien auf Hans-Josef Graefen hinauszulaufen, den damaligen Präsidenten des Landgerichts Koblenz. Doch es wurde Ralf Bartz, Chef des Landessozialgerichts. Ob es an Graefens CDU-Parteibuch lag oder ob der Minister tatsächlich überzeugt war, er sei weniger geeignet als Bartz, wird immer ein Geheimnis bleiben. Das Besetzungsverfahren lief holprig, in großen Teilen der Justiz rumorte es. Die Opposition aus CDU und FDP sprach von unlauterer Einflussnahme und sah die richterliche Unabhängigkeit in Gefahr. FDP-Fraktionschef war Herbert Mertin, der vorherige und heutige Justizminister. Graefens Konkurrentenklage scheiterte im Eilverfahren in zwei Instanzen, er hatte den Gang zum Bundesverfassungsgericht angekündigt. Diesen Weg aber schnitt der Minister ab. Bamberger überreichte Bartz die Ernennungsurkunde nur wenige Minuten, nachdem das Oberverwaltungsgericht Koblenz per Fax über die Abweisung von Graefens Klage informiert hatte. Doch diese „Blitzernennung“ war ein Verfassungsbruch, urteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig 2010. Auch am Besetzungsverfahren ließen die Bundesrichter anders als jene in Rheinland-Pfalz kaum ein gutes Haar. Das Urteil war spektakulär, denn es hob den Grundsatz der Ämterstabilität auf. Bis dahin blieb ein Richter im Amt, sobald er ernannt war. Für Bartz aber musste kurz vor der Landtagswahl 2011 eine andere Stelle gefunden werden. Was danach folgte, machte Koblenzer Richter zu wütenden Demonstranten. Im Koalitionsvertrag hatten SPD und Grüne die Zusammenlegung der beiden Oberlandesgerichte und der Generalstaatsanwaltschaften Koblenz und Zweibrücken vereinbart – am kleineren Standort Zweibrücken. Die faktische Auflösung des OLG Koblenz wurde als Graefen-Verhinderungsstrategie interpretiert. Die Debatte belastete das Verhältnis zwischen dem Pfälzischen OLG und dem im Norden. In Koblenz wurde Solidarität vermisst, andererseits wurde Zweibrücken herabgewürdigt. Die Aussage eines Kommunalpolitikers, die Zusammenlegung sei, als würde die Uno ihren Sitz von New York nach Timbuktu verlegen, war die Spitze des Eisbergs. Unter dem öffentlichen und bundesweiten Druck gab die Koalition die Pläne auf, Graefen wurde 2011 OLG-Chef. Sechs Jahre später sind die Antennen in Koblenz immer noch ausgefahren. Sehr genau wurde registriert, dass der Zweibrücker OLG-Chef Bernhard Thurn kürzlich sagte, organisatorisch würde ein Oberlandesgericht für Rheinland-Pfalz ausreichen. Dabei sagte Thurn auch, vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung müssten beide OLG bestehen bleiben. In Koblenz ist etwas von jenem Rebellentum geblieben, das gestandene Richter und Staatsanwälte auf die Straßen gehen ließ. Für viele ist Hans-Josef Graefen ein Held. Wer ihn in all den Phasen erlebt hat, sah den streitbaren Richter, der zwar immer von der Richtigkeit der Sache überzeugt war, der aber nie in Selbstgerechtigkeit verfallen ist. Bis heute gehört er nicht zu jenen, die die Selbstverwaltung der Justiz fordern. Vor Monaten stellte er die selbstkritische Frage, ob er seinem Amt noch gerecht werde. „Ich fühle mich insgesamt nicht mehr so gut und bin aufgrund meiner eigenen Einschätzung zu dem Ergebnis gelangt, dass ich die Leistung, die dieses Amt erfordert, nicht mehr erbringen kann“, sagt Graefen. Seine Familie, er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter, habe ihm ebenfalls zum vorzeitigen Ruhestand geraten – nach 40 Dienstjahren. Haben die früheren Kämpfe dazu beigetragen? „Ich habe das weitestgehend bewältigt, weitestgehend abgeschlossen.“ Gestern, an Rosenmontag, feierte Graefen seinen 64. Geburtstag. Morgen übernimmt Marliese Dicke, bisher Chefin des Landgerichts Koblenz, sein Amt. Die Besetzung verlief geräuschlos.

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