Rheinpfalz Ulrich Zehfuss mit Band und Album "Dünnes Eis" in Ludwigshafen

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"Es ist harte Arbeit, beim Texten zum Kern vorzustoßen", sagt Musiker Ulrich Zehfuß im LEO-Interview.

Seine Musikerkarriere begann Ulrich Zehfuß schon als Schüler, tingelte nach dem Abitur Jahre lang mit seiner Band Bunt quer durch Deutschland, mit der er etliche Preise einheimste. 2016 meldete er sich mit seinem Solo-Debüt-Album „Dünnes Eis“ zurück – und landete prompt in den Top 20 der „Liedermacher-Charts“. Das Album stellt er mit Band beim Konzert im Ludwigshafener Kulturzentrum „Das Haus“ (Do 19.1., 20 Uhr, Karten) vor. Mit LEO-Redakteurin Gisela Huwig hat er über seine ungewöhnliche Laufbahn geplaudert. Sie arbeiten als freier Texter, Autor und eben Singer-Songwriter. Wie sieht denn so ein Arbeitsalltag aus? Ich lebe von allem Möglichen, was irgendwie mit Sprache zu tun hat. Ich betreibe ein Büro für Pressearbeit, das so gewachsen ist, dass ich inzwischen Mitarbeiter beschäftige. Das entlastet mich von dem Zwang, alles selbst machen zu müssen. Aber bleibt die Musik dann nicht doch auf der Strecke? Viele Musiker-Kollegen und Freunde, die es nicht geschafft haben, wie man so schön sagt, die also nicht so viele Platten verkaufen, die schreiben ja auch nicht den ganzen Tag nur Songs. Sie machen Kinderprogramme oder machen Kabarett, weil es dafür mehr Geld gibt als für Songwriter. Kabarett ist toll, aber ich bin froh, es nicht machen zu müssen, da ich finanziell unabhängiger bin. Und das ist für Sie besser als „nur“ Musiker zu sein? An dieser Stelle würden andere an meiner Stelle vielleicht alles Mögliche antworten. Aber wie gesagt: Viele sind ja auch nicht nur Musiker, sondern arbeiten zudem als Musiklehrer oder verdienen anders noch ihr Geld. Und wenn ich sage, ich schreibe ein Lied, dann heißt das bei mir in erster Linie, dass ich einen Text schreibe. Ich habe außerdem nach dem Abitur eine ganze Weile lang „nur“ Musik gemacht. Und außerdem Literatur und Musikwissenschaft studiert…
Ich bin ausgebildeter Bariton und war an der Musikakademie. Um dahin zu kommen, muss man ja schon einiges können. Und ich habe tatsächlich die Aufnahmeprüfung im klassischen Gesangsfach bestanden. Aber ich war damals Anfang 20, hatte lange Haare, war mit meiner Gruppe Bunt ständig auf Tour. Wir spielten überall in Deutschland an allen möglichen Orten quer durch die Heide. Ich hatte das Gefühl, nicht in diese Welt der Smoking tragenden Opernsänger zu passen. Das fühlte sich so fremd für mich an als wäre ich ein Eisbär in den Tropen. Was folgte, war es eine ganz emotionale Entscheidung. Zu sagen: Ich gehöre nicht hierher, obwohl ich so gekämpft hatte, diesen Studienplatz zu bekommen. Als ich es geschafft hatte, dahin zu kommen und mir nur ansatzweise ein Bild davon zu machen, dachte ich, das bin ich nicht. Ich habe dann in einem Brief den Studienplatz gekündigt und die Gründe meiner Entscheidung dargelegt. Das haben die bestimmt noch nie zuvor erlebt. Die Bariton-Stimme passt aber auch nicht gerade zum Singer-Songwriter-Beruf, oder? Nein, Belcanto ist dafür gemacht, einen großen Saal ohne Verstärker beschallen zu können. Das wäre für einen Singer-Songwriter der große Pathos-Alarm. Das nimmt einem keiner ab. Aber ich habe es trotzdem geliebt, klassisch zu singen. Und ich kann das auch immer noch. Das ist körperlich eine Sensation, der Körper vibriert und schiebt wie eine Orgelpfeife. Mit einem Orchester im Rücken würde ich vielleicht anders darüber denken. Und ich habe auch viele Kontakte zur Klassik-Welt. Aber es war einfach nicht mein Ding. Bunt war ja auch nie auch nur klassisch angehaucht. Mein alter Gesangslehrer sagte: Herr Zehfuß, Sie klingen, als hätten Sie nie eine Stunde bei mir gehabt. Sie machen also schon seit Jahrzehnten Musik, waren mit Bunt unterwegs, haben mit der Gruppe auch etliche Platten gemacht. Und jetzt geben Sie mit „Dünnes Eis“ ihr Solo-Debüt. Das ist doch recht spät, oder? Wie kam denn das? Ja. Das ist tatsächlich mein Solo-Debüt. Und die Platte läuft deutschlandweit im Radio. Die ist öfter im Radio zu hören, als ich auf der Bühne stehe. Wie es dazu kam? Gute Frage. Ich habe vier Jahre lang nach dem Abitur nur Musik gemacht. Das mag arrogant klingen, aber es hat mich intellektuell nicht mehr genug gefüttert. Und deshalb habe ich angefangen, in Mannheim Lyrik zu studieren. Das war zu diesem Zeitpunkt man „Ding“. Und als Liedermacher kann man die beiden Neigungen schließlich gut kombinieren. Aber das war doch bei Bunt auch schon so, oder? Ja, klar! Das Studium hat mein Schreiben verändert und weiterentwickelt. Wir haben 1990 Bunt gegründet als Band, die akustische Folkmusik ohne Schlagzeug mit Texten in pfälzischer Mundart macht. Das war nicht von dieser Welt. Wir haben vielleicht gerade deswegen viele Preise bekommen. Keine Jury kam an uns vorbei. Da gab es immer zehn Heavy-Bands und Bunt. Klar, dass wir dann vorne dabei sein mussten. Befördert hat unseren Erfolg sicher auch die legendäre MTV-unplugged-Platte von Eric Clapton. Die hat damals ein Comeback der akustischen Musik eingeläutet. Wann und warum haben Sie bei Bunt aufgehört? Das war 2006. Das letzte Bunt-Album hat die Band Silly produziert. Das war ein Riesenkraftakt. Ich wusste, wenn das nicht funktioniert, habe ich ein Problem. Und die Platte ist gefloppt. Sie lief einfach nicht im Radio. Wir haben das nicht verstanden. Ich habe mich deshalb sogar mal mit dem zuständigen Redakteur bei SWR1 getroffen. Er meinte, das sei schon ganz schön, „aber ist es wirklich einer der größten Hits aller Zeiten?“ Ich sagte, es könnte ja noch einer werden, wenn er es auflegen würde. Aber es half alles nichts. Wir sind mit Bunt nicht mehr richtig vorwärtsgekommen. Ich wollte das so dann nicht mehr. Haben Sie eine Ahnung, warum es nicht lief? Nein. Keine Ahnung. Aber statt es dann zig Jahre weiterzuschleppen, habe ich etwas getan, was mir sonst sehr schwerfällt. Ich habe aufgehört. Ich habe mich im Guten vom Management getrennt, wie das auch nur wenige schaffen, und mich von der Bühne komplett zurückgezogen. 2006 bis 2009 war das. Mein Bühnen-Comeback hatte ich 2009 bei einer Open-Air-Show von Chako vor Tausend Leuten … Aber 2006 wählte ich zunächst das seltsam klamme Gewand einer bürgerlichen Existenz und wollte einfach mal Zeit verstreichen lassen, um zu sehen, was sie mit mir macht. Und was hat die Zeit mit Ihnen gemacht? Ich habe wieder angefangen zu schreiben, und zwar das, was mich interessiert. Bei Bunt stand ich unter einem gewissen Druck, produzieren zu müssen, was den Erwartungen anderer entspricht. Jetzt konnte ich meinen eigenen Gesetzen folgen. Ich habe zum Beispiel ein Kinderbuch geschrieben, „Aiji, der kleine Samurai“. Und dann kam die Lust an der Musik zurück? Ja, vor allem die Einsicht, dass mir das doch sehr gefehlt hat. 2010 habe ich angefangen, wieder Liederlisten zu machen, Vorproduktionen für mich, habe auch für andere Musiker gearbeitet. Der Neustart war letztlich ein dringendes Bedürfnis, keine Verpflichtung. Ich hatte zwischenzeitlich ja auch drei Kinder bekommen. Manche denken, ich hätte Bunt damals aufgegeben, weil ich eine Familie gegründet habe. Es war eher umgekehrt. Das Loch, das Bunt hinterlassen hat, war so groß, dass drei Kinder reingepasst haben. Und wie kam es jetzt zu dem Solo-Debüt-Album? Da kommt mein Songwriter-Partner Mathias Kiefer ins Spiel, auf den ich dank der Vermittlung eines alten Musikerkollegen aus Mannheim kam. Mit Mathias als Komponisten und Produzenten arbeite ich aktuell zusammen. Ich zeigte ihm mein Material, und er hat mich existenziell herausgefordert. Er sagte, er hätte lieber, dass ich die Dinge klarer auf den Punkt bringe. Das ist das Paradoxon des Liedermachers: Du gehst auf die Bühne, weil dir was auf der Seele brennt, aber Du gibst es nicht preis. Es ist wirklich harte Arbeit, zum Kern vorzustoßen. So habe ich 2015 dann alle Lieder neu geschrieben, auch welche, die ich schon seit 20 Jahren in der Schublade hatte, schrieb ich komplett um. Manche Lieder schrieb ich vier oder fünf Mal neu. Aber „Wind aus dem Süden“ hat doch zum Beispiel eine ganz klare Botschaft gegen Fremdenfeindlichkeit. Waren Sie damit auch unglücklich? Mit der ersten Version schon. Ich gehöre ja einer Liedermacher-Schule an, zu deren Philosophie es gehört, nur Dinge zu schreiben, die im eigenen Erfahrungsbereich liegen. Und das mache ich eigentlich immer so. Bei „Wind aus dem Süden“ war das anders. Da hatte ich nur ein Video gesehen, wie ein Farbiger von Hilfspolizisten an der Grenze zur EU bewusstlos geprügelt wurde. Das hat mich so schockiert und beschäftigt, dass ich nicht einfach weitermachen konnte, als hätte ich es nicht gesehen. Die erste Fassung des Songs war so geschrieben, dass es mein Erlebnis spiegelte, also die Tatsache, dass ich dieses Video gesehen habe und nicht weiß, wie ich jetzt damit umgehen soll. Dann kam mir aber die Idee, dass der Skandal ja nicht ist, dass ich jetzt nicht weiß, wie ich mit dem Gesehenen umgehen soll, sondern, dass da ein Mensch geschlagen worden ist. Ich musste einfach über den Mann schreiben, aus der Perspektive der Kamera. Und dann habe ich die Frage gestellt, was ich da gerade erleben muss und was daraus folgen könnte. Wie ist das Lied denn beim Publikum angekommen? Es ist mein umstrittenstes Lied von der Platte, es ist explizit politisch. Aber es ist auch auf der Liederbestenliste in den Liedermacher-Charts. Es ist dort immer noch in den Top 20. Hatten Sie vorher schon mal so einen Erfolg? Nein, das ist tatsächlich das erste Mal. Und wie fühlen Sie sich dabei? Ich habe zwischen 2004 und 2016 keine Platte gemacht. Das sind zwölf Jahre. Und jetzt bin ich wieder im Spiel. Ich habe neue Auftritte, alles ist in Ordnung. Im vollen Bewusstsein dessen, was auf der Welt abgeht, habe ich das Gefühl, ein glückliches Leben zu führen: Ich kann Lieder schreiben, die mir wichtig sind, ich kann gut leben … Uns geht es gut! Jetzt steht ja ein Auftritt in Ludwigshafen an. Was erwartet die Leute dort? Ich spiele das Programm „Dünnes Eis“ mit meiner Band „Die feine Gesellschaft“. Hinzu kommen auch ein paar alte Bunt-Nummern und Bühnen-Gedichte von mir. Das ist ein Konzert in der Reihe „Delta-Helden“. Den Titel eines Lokal- oder Regional-Matadors ertrage ich mit der Langmut meines fortgeschrittenen Youngster-Alters. Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass wir gefragt wurden, in der Reihe zu spielen. Sie fungieren ab 3.Februar zusätzlich auch noch als Veranstalter und laden sich Liedermacher-Kolleginnen und -Kollegen nach Speyer ein. Wie werden sich die Abende unter dem Motto „Ulis Wohnzimmer“ denn gestalten und woher stammt die Idee? Ich war zu Gast bei Sebastian Krämer, der ähnliche Veranstaltungen in Berlin auf die Beine stellt. Jetzt kommt bei mir die Gegeneinladung. Das soll unterhaltsam und locker werden, sehr abwechslungsreich fürs Publikum, aber doch eine gewisse Kontinuität garantieren. Das Publikum soll die Sicherheit haben: Der Abend wird auf jeden Fall gut. Ich wollte außerdem schon immer gerne mal meine Kollegen von der Liedermacherschule Sago ein Podium bieten. Dazu habe ich in diesem Rahmen dann auch die Gelegenheit. Das „Philipp eins“ war als Veranstaltungsort direkt dabei. Ich habe Sponsoren gefunden und kann meinen Gästen faire Gagen bezahlen. Das war mir auch ein Herzenswunsch. So hat sich alles gefügt. Unter Ihren Gästen sind mit Max Prosa und Dota auch bekannte Namen aus Funk und Fernsehen. Wie haben Sie das denn geschafft, die für einen so intimen Rahmen gewinnen zu können? Max Prosa hat in Speyer mit etwas Glück sein neues Album dabei, das Sony herausbringt. Meine Gäste sind allesamt Kollegen der Mainzer Liedermacher-Schule. Ich kenne sie persönlich, Dota sogar schon, seit sie angefangen hat, Gitarre zu spielen. Auch Danny Dzink ist ein ganz interessanter Gast. Er hat zum Beispiel auch Songs für Stefan Stoppok und Annett Louisan geschrieben. Er ist ein großartiger Songwriter. Sebastian Krämer ist auch so ein Gigant: Der Berliner Chansonnier Tim Fischer sagte über ihn, er sei der „größte lebende Chansonschreiber Deutschlands“ oder so ähnlich. Ich freue mich sehr auf die Veranstaltungen und meine Gäste. 

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