Rheinpfalz Ingrid Bergman, die Kamerafrau

Erst marschiert ein Trupp Hitlerjungen durch die Allee in Schwarzweiß, wenig später die SS in Farbe. Die Nazis sind unscharf und stumm. Die 24-jährige Ingrid Bergman, die 1938 in Berlin ihren ersten deutschen Film drehte („Die 4 Gesellen“, in dem sie fast akzentfrei Deutsch spricht) fand die Marschmänner offenbar so ungewöhnlich, dass sie sie mit ihrer Super-8-Kamera filmte.

Was kaum einer weiß: Die große Schauspielerin stand ihr ganzes Leben lang auch hinter der Kamera. Dass sie eine begnadete Hobbyfilmerin war, zeigte in Cannes der Dokumentarfilm „Ingrid Bergman in Her Own Words“ von Stig Björkman. Landschaften, Städte und immer wieder die Familie filmte die dreifache Oscar-Gewinnerin. Fotos zeigen sie mit der Kamera vorm Auge, in den Notizen ihrer Tagebücher finden sich Angaben, wen sie an diesem Tag gefilmt hat. Es ist ein unendlicher Schatz, die Aufnahmen aus dem Bergman-Archiv in den USA kommen jetzt erstmals an die Öffentlichkeit, weil sich Ingrid Bergmann Tochter Isabelle Rossellini und Regisseur Stig Björkman 2011 zufällig bei der Berlinale trafen und Isabelle anregte: „Mach doch einen Film über Mama!“. Der Fülle des Material zu urteilen, hat die Bergmann wohl fast jeden Tag gefilmt und Tagebuchnotizen gemacht, es half ihr wohl auch, mit den Anfeindungen umzugehen, mit denen sich in jedem Land konfrontierte sah, in dem sie lebte: Schweden war ihr zu klein, sie wollte in die Welt, hört man sie schon als 20-Jährige sagen. Die schönsten Home Movies dreht die Bergman nicht in Hollywood, sondern in Europa. 1945, als sie mit dem Fotografen Robert Capa liiert ist, filmt sie den Einmarsch der US-Truppen in Frankreich, vier Jahren später in Italien, ihrer Zeit mit dem Filmregisseur Roberto Rossellini, entstehen Aufnahmen, die wohl für einen eigenen Film gereicht hätten: Roberto rast im offenen Sportwagen vorbei, steht staunend auf dem Weg, der zum Vulkan Stromboli führt, spielt mit den Kindern im Pool. Quasi eine Pionierin war sie, als sie 1951 das filmte, was man heute Making Of nennt: Sie beobachte Roberto Rossellini, wie er sich in Cinecittà in „Europa 51“ hineinkniete. Ohne groß Aufhebens zu machen, war Ingrid Bergman eine Feministin: Nach der Scheidung von ihrem schwedischen Mann – sie war inzwischen in Hollywood – überließ sie ihm die gemeinsame Tochter, ein frühes Scheidungskind, sie besuchte Pia nur am Wochenende. Sie verließ Hollywood, wo sie mit „Casablanca“ zum Star wurde, einfach so, weil es ihr nicht das gab, was sie suchte: Freiheit. Ging nach Italien, weil sie Rossellini als Regisseur bewunderte und heiratete ihn später. Die drei Kinder aus dieser Ehe sprechen in dem Dokumentarfilm fröhlicher und freundlicher über ihre Mutter als Pia. Die Statements der vier Bergman-Kinder sind eine oft humorvolle Auflockerung zwischen den Home-Movie-Ausschnitten, den kurzen Ausschnitte mit Filmen der Schauspielerin Bergman und Wochenschau-Szenen. So ergibt das faszinierende zweistündige Porträt, das viele unbekannte Seiten einer ungewöhnlichen Frau ans Tageslicht bringt, die von sich selbst sagt: „Ich habe alles, was ich wollte“ ein völlig neues Bild des Stars, der vor 100 Jahren geboren wurde. Dass sie in diesem Jahr das Plakat des Festivals von Cannes ziert, mag mit dem Jubiläum zu tun haben, dass es zugleich eine Hommage an eine unglaublich vielseitige Frau ist, weiß man erst dank dieses Films von Stig Bergmann, der den in diesem Jahr klammheimlich eingeführten Dokumentarfilmpreis verdient hätte.

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