Rheinpfalz Alles schön weichgespült

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Anfang der Woche war das Wetter hier in Wien noch so toll. Da lümmelten sich Leute im Park direkt vor der Song-Contest-Arena ins Gras, summten mit bei „Merci Chérie“, dem österreichischen ESC-Siegersong von Udo Jürgens von 1966, der aus Lautsprechern dröhnte. Zwei junge Männer verteilten „free hugs“, kostenlose Knuddeleien. Im „Eurovision Village“, der Fanmeile am Rathaus, feierten spärlich bekleidete ESC-Fans. Und jetzt das: fieses Regenjackenwetter! Kein Wunder, dass unsere Ann Sophie kurz vor ihrem Auftritt beim Finale morgen Schnupfen hat und ein Open-Air-Konzert absagen musste.Also verbringe ich die meiste Zeit in der Wiener Stadthalle. Dort, im Pressezentrum, gibt’s nicht nur 800 Arbeitsplätze und bergeweise Tomaten für uns 1700 Journalisten, sondern auch von morgens bis nachts die geballte Ladung ESC auf zwei riesigen Leinwänden. Doch noch unterhaltsamer als die Proben und Shows sind die Pressekonferenzen. Gestandene Kollegen, gerne auch mal als Conchita Wurst verkleidet, stellen den Künstlern keine kritischen Fragen, sondern sprechen nur Lob aus. Es sind zu 90 Prozent banale Beifallsbekundungen mit einem Fragezeichen am Ende. Beispiele: „Hi, mein Name ist Soundso von Radio Lalala. Warum hast du am Samstagabend nicht wie geplant deinen tollen Glitzergürtel an?“ Besser: „Hello, ich schon wieder! Wird es von deinem Song auch eine serbische Version geben?“ Noch besser: „Horst vom Blabla-Blog aus Hintertupfingen. Ich wollte dir nur sagen, dass dein Haar heute irgendwie viel gesünder aussieht als gestern.“ ESC, alles schön weichgespült. Jetzt weiß ich auch, warum im Pressezentrum so viele Tomaten herumliegen. Nicht zum Naschen, auch nicht zum Bedecken der Augen, wenn mal wieder ein Künstler glitzernd wie ein Weihnachtsbaum daherkommt – sondern zum Bewerfen von diesen Kollegen. Info RHEINPFALZ-Redakteur Jan Peter Kern berichtet diese Woche aus Wien über den Eurovision Song Contest (ESC). Seine Erlebnisse am Rande des Ereignisses schildert er in einem Tagebuch.

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