Wissen NS-Raubgut auch in Bibliotheksregalen
Raubgut aus der NS-Zeit ist nicht nur für Kunstmuseen ein Problem. Auch wissenschaftliche Institute befassen sich mit der sogenannten Provenienzforschung – und machen wie das Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung erste Funde. Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg wiederum hat mehr als 100 Bücher, Briefe und Materialien zu Reichskanzler Otto von Bismarck an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben.
Mal sind es geschwärzte Stempelabdrücke, die Misstrauen wecken, mal herausgeschnittene Buchseiten. „In manchen Fällen sind die Alarmzeichen aber auch überdeutlich. Zum Beispiel, wenn wir wieder einmal die handschriftliche Notiz ,Ostfeldzug’ auf einer der ersten Seiten finden. Dann ist klar, dass wir hier dringend weiter recherchieren müssen“, sagt Daniela Mathuber. Die Historikerin bearbeitet am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung (IOS) in Regensburg ein Projekt zur Provenienzforschung, das solche Verdachtsfälle klären soll: Das Institut durchleuchtet die Bestände seiner Bibliothek nach Raubgut aus der NS-Zeit – Bücher, Zeitschriften, Karten – und wurde bereits fündig.
Verstrickungen werden öffentlich
Am IOS forschen unter anderem Historiker, Ökonom- oder Politikwissenschaftler zu Ost- und Südosteuropa. Zudem beherbergt das Institut eine der international größten Fachbibliotheken mit Literatur zum östlichen Europa. 20.000 ihrer Medien stammen aus der Zeit vor 1945 und sind nun Gegenstand des Projekts, das auf zwei Jahre angesetzt ist und vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste gefördert wird.
„Für uns ist das auch ein weiterer, sehr wichtiger Schritt zur Aufklärung der eigenen Vergangenheit“, erklärt Tillmann Tegeler, der Leiter der Bibliothek. Das IOS entstand 2012 aus der Fusion zweier Forschungseinrichtungen, die teils schon während der NS-Zeit existierten und später von Direktoren geleitet wurden, die im Krieg für den NS-Staat gearbeitet hatten. „Seit Jahren forschen und veröffentlichen wir zu diesen Verstrickungen. Dabei haben sich zuletzt auch ganz klare Hinweise ergeben, dass die früheren Direktoren keine Scheu hatten, Raubgut an sich zu nehmen, das letztlich in unserer Bibliothek untergekommen sein könnte“, sagt Tegeler. Ohnehin sei das östliche Europa und damit das Sammlungsgebiet der Bibliothek massiv von nationalsozialistischem Kulturgutraub betroffen gewesen.
Nach dem Krieg illegaler Handel über Netzwerke
„Es gibt Anhaltspunkte, dass über Netzwerke auch nach dem Krieg geraubte Bücher und Karten erworben wurden. Und natürlich ist es möglich, dass betroffene Bestände unwissentlich im antiquarischen Handel gekauft wurden“, ergänzt Tegeler.
Ob das tatsächlich der Fall ist, lässt sich meist nur schwer nachweisen. Daniela Mathuber durchsucht dafür alte Inventarlisten und Verzeichnisse, um erste Anhaltspunkte zu bekommen, woher die Medien stammen. Verdächtige Materialien unterzieht die Historikerin einer Autopsie, was ganz konkret bedeutet: durchblättern, und zwar tausendfach. Zusammen mit einem Kollegen sucht sie nach Stempeln, Besitzeinträgen, Notizen und mehr. Dadurch lässt sich ein Verdacht erhärten – oder eben nicht.
Bundesweite Detektivarbeit
Häufig folgt eine komplexe Recherche, die Mathuber mitunter in Archive bundesweit führt. „Historischer Kontext ist wichtig, den müssen wir einzeln herausfinden. Das hat etwas von Detektivarbeit.“ Abschließend ordnet Mathuber die untersuchten Medien den Farben der sogenannten Provenienzampel zu: Grün bedeutet nachweislich unverdächtig. Rot: eindeutig belastet. „Hundertprozentige Nachweise – sei es für Raubgut, sei es für Unverfänglichkeit – sind fast nie möglich. Man kommt meist nur unterschiedlich nah dran. Und überhaupt bleiben die meisten Einträge weiß – das heißt, man kann gar nichts zur Herkunft sagen“, betont sie.
An sich hat die Recherche weitere positive Nebeneffekte, erläutert Tegeler: „Das wird helfen, die Geschichte der Ost- und Südosteuropaforschung in Deutschland und der NS-Verstrickungen von einigen ihrer wichtigsten Protagonisten weiter aufzuklären. Wobei am Ende natürlich ein anderes Ziel steht, die Restitution, also die mögliche Rückerstattung. Das wäre von uns wenigstens ein kleiner Beitrag zur Wiedergutmachung.“
„Geschenk“ der Gestapo an die Hamburger Uni
Die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg hat mehr als 100 Bücher, Briefe und Materialien zu Reichskanzler Otto von Bismarck an die Friedrich-Ebert-Stiftung übergeben. „Die Sammlung der einstigen Bismarck-Bücherei Specht war zurzeit des Nationalsozialismus als Raubgut in den Besitz der Bibliothek gelangt“, teilte diese mit. Zuvor war sie demnach an den SPD-eigenen Auer-Verlag verkauft worden, wo sie im Zuge von NS-Verfolgungsmaßnahmen gegen die Sozialdemokratie 1933 beschlagnahmt wurde. Wenige Jahre später wurde sie als „Geschenk“ der Gestapo Hamburg in den Uni-Bibliotheksbestand eingearbeitet, wie es hieß. Das hatte die Uni-Arbeitsstelle Provenienzforschung ermittelt.
Bei der Sammlung handelt es sich um 118 Bücher rund um den früheren Reichskanzler von Bismarck (1815-1898), Kopien von Bismarck-Briefen, ein Liederheft und anderes. Da die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung die Restitutionsansprüche der SPD bei NS-Raubgut wahrnimmt, wurde sie als rechtmäßige Eigentümerin festgelegt.