Verkehr Vorrang für Kohle-Züge könnte Bahn-Netz noch weiter überlasten

Begehrter Rohstoff, der auch am Ziel ankommen muss: ein mit Kohle beladener Zug steht auf einem Güterrangierbahnhof der Deutsche
Begehrter Rohstoff, der auch am Ziel ankommen muss: ein mit Kohle beladener Zug steht auf einem Güterrangierbahnhof der Deutschen Bahn.

Weil Gas knapp ist, sollen Kohlekraftwerke für die Stromproduktion aus der Reserve geholt werden. Diese müssen aber auch mit dem Rohstoff versorgt werden – vor allem über die Schiene. Reichen die Transportkapazitäten? Die Deutsche Bahn entschuldigt sich schon mal.

Um Gas zu sparen, setzen Politik und Wirtschaft für die Stromproduktion wieder stärker auf Kohle – doch es gibt Zweifel, ob die Transportkapazitäten für die Versorgung reaktivierter Kohlekraftwerke über die Schiene ausreichen. So brauche etwa allein der Essener Stromerzeuger Streag für den Marktbetrieb seiner vier Blöcke an der Saar mit zusammen rund 1800 Megawatt Leistung pro Woche circa 26 Kohle-Züge mit jeweils etwa 2800 Tonnen, wie das Unternehmen auf Anfrage mitteilte. „Ohne einen Vorrang für Kohletransporte auf der Schiene wird es voraussichtlich nicht möglich sein, ausreichend Kapazitäten zu beschaffen.“

Deutsche-Bahn-Chef Richard Lutz betonte am Donnerstag, derzeit werde der Bedarf an Kohlelieferungen bei den Unternehmen genau untersucht. Engpässe könnten demnach nicht nur auf dem ohnehin schon vollen Netz, sondern auch bei speziell für den Kohletransport ausgestatteten Güterwagen bestehen. „Das, was wir und die Wettbewerber dafür an Güterwaggons brauchen, das haben wir im Moment nicht in der Schublade liegen“, betonte Lutz. Es brauche eine konzertierte Aktion aller Beteiligten, um sicherzustellen, dass es nicht zu Energieknappheiten komme.

Eingriff per Rechtsverordnung

Das jüngste Energiesicherungspaket von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat zum Ziel, Transportkapazitäten für Brennstoffversorgung auf der Schiene sicherzustellen. Geplant ist dem Papier zufolge, dass in einem ersten Schritt kurzfristig die Nutzungsbedingungen des Schienennetzes angepasst werden, um Mineralöl- und Kohletransporte bei der Vergabe freier Trassen zu priorisieren.

Nur für den Fall, dass das nicht ausreicht, soll per Rechtsverordnung die Bevorzugung von Verkehren auf Ebene der Kapazitätszuweisung geregelt werden. Dabei würden dann auch bereits vergebene Slots für Energietransporte bereitgestellt werden – was im Zweifel auch Vorrang von Kohlezügen vor Personenzügen bedeuten könnte. Noch ist aus Sicht von Fachleuten allerdings nicht absehbar, ob eine solche Verordnung überhaupt notwendig wird.

Der Interessenverband Allianz pro Schiene warnte dennoch vor einer weiteren Überlastung des Schienennetzes. „Ein Vorrang für Kohletransporte ist für die ohnehin stark frequentierten Teile des Schienennetzes eine zusätzliche Herausforderung“, sagte Verbandsgeschäftsführer Dirk Flege. „Bei der schwierigen Frage, welche Transporte gegebenenfalls weichen müssen, erwarten wir eine enge Einbeziehung der Branche“, betonte Flege.

Zweifel an schneller Umsetzung

Bislang sei das nicht in ausreichendem Maße geschehen, kritisierte auch Peter Westenberger, Hauptgeschäftsführer des Netzwerks Europäische Eisenbahnen (NEE). Die Wettbewerber der Deutschen Bahn im Güterverkehr sind skeptisch, ob eine Vorrangbehandlung von Kohletransporten auf der Schiene schnell umgesetzt werden könnte. „Zumindest bis Mitte Dezember 2022 würde eine Bevorrechtigung bestehende Trassenverträge tangieren“, teilte Westenberger mit.

Für die Kraftwerkbetreiber selbst brauche es vonseiten der Politik insbesondere Planungs- und Rechtssicherheit, hieß es wiederum vom Hauptgeschäftsführer des Verbands der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK), Christian Seyfert. „Eine verlässliche Mindestlaufzeit für die betroffenen Anlagen schafft den notwendigen Planungshorizont und würde auch die Kalkulation sowie Planung der Transporte erleichtern.“

Die Deutsche Bahn fährt dank stark steigender Nachfrage und guter Geschäfte bei der Logistik-Tochter DB Schenker zwar schneller aus dem finanziellen Corona-Loch als erwartet. Bahn-Chef Richard Lutz äußerte sich erfreut über die „schnelle Rückkehr“ der Reisenden, räumte aber ein, dass Qualität und Pünktlichkeit derzeit „nicht akzeptabel“ seien. Die Bahn beförderte von Januar bis Ende Juni im Fernverkehr 59,1 Millionen Fahrgäste, das waren mehr als doppelt so viele wie im noch von der Corona-Pandemie geprägten ersten Halbjahr 2021.

Mehr Staus auf der Schiene

Der Bahn-Chef räumte ein, dass die Schieneninfrastruktur mit dem Verkehrszuwachs nicht mithalten könne. „Mehr Staus auf der Schiene und Verspätungen sind die Folge“, sagte er. Im ersten Halbjahr 2022 kamen demnach nur 69,6 Prozent der Fernverkehrszüge pünktlich ans Ziel. In den ersten sechs Monaten des Vorjahres waren es noch 79,5 Prozent gewesen. Lutz bekräftigte, Bahn und Bund würden das hoch belastete Netz weiter ausbauen. Eine Generalsanierung der am stärksten befahrenen Korridore beginne ab 2024.

Auch Verkehrsminister Volker Wissing erklärte: „Es fehlen Trassen, es fehlt technische Infrastruktur, es fehlen Kapazitäten.“ Die Bahn könne ihr Potenzial daher nicht ausschöpfen. „Güter können nicht über die Bahn transportiert werden, Züge sind unpünktlich.“

Der Minister versprach, mit einem Ausbau des Bahnnetzes zum „Hochleistungsnetz“ solle die Bahn deshalb wieder so aufgestellt werden, dass sie „den Anforderungen, welche die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Wirtschaft an sie haben“, gerecht werden könne. Maßnahmen wie die Planung und Ertüchtigung von Ersatzstrecken für die Modernisierung der großen Korridore befänden sich bereits in der Umsetzung.

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