Wirtschaft Digitaler Branchenvorreiter aus Heidelberg

«Wiesloch.»Das Thema Digitalisierung spielt bei der Heidelberger Druckmaschinen AG eine zentrale Rolle – in mehrfacher Hinsicht: beim Produkt- und Service-Portfolio, in den Kontakten zu den Kunden, innerhalb der eigenen Fertigung und Montage sowie bei der Strategie des Branchen-Technologieführers.

Heidelberg goes digital“ ist denn auch die neue Ausrichtung überschrieben, mit welcher der Konzern nach vielen verlustreichen Jahren und einem harten Einschnitt bei den Stellen – auch in der Region – wieder dauerhaft profitabel wachsen will. Die Belegschaft wurde konzernweit seit 2008 auf aktuell rund 11.500 Mitarbeiter mehr als halbiert. Der erste Einstieg in den Digitaldruck war gescheitert. 2004 hatte der Konzern die damals defizitäre Sparte an Eastman Kodak verkauft. Doch in diesem Bereich hat sich Heidelberg völlig neu aufgestellt. Aus dem Nachsteuerergebnis von 36 Millionen Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr 2016/17 (31. März) sollen bis 2022 rund 100 Millionen Euro werden. Dabei setzt der Konzern, der wegen der Wirtschaftskrise nach 2009 und des Umbruchs in der Druckbranche viele schwierige Jahre mit hohen Verlusten durchlebte, nun ganz auf die Digitalisierung und Industrie 4.0-Lösungen. Und das lässt sich der Konzern auch einiges kosten: Etwa 80 Millionen Euro investiert die Druckmaschinen AG in die IT-Infrastruktur und die Digitalisierung. Heidelberg ist eines der wenigen großen Unternehmen, die im Vorstand ein eigenes Digital-Ressort ausweisen. Chief Digital Officer ist seit November 2016 der promovierte Betriebswirt und Maschinenbau-Ingenieur Ulrich Hermann. Größter Geschäftsbereich ist weiterhin die Produktion modernster Druckmaschinen – auch für den Digitaldruck. Doch schon die Hälfte des Umsatzes von 2,5 Milliarden Euro macht der Weltmarktführer bei Bogenoffsetmaschinen bereits mit Service, Verbrauchsgütern und Software. So hat sich der Konzern zum Ziel gesetzt, nicht nur die eigene Produktion und die Abläufe im Unternehmen immer stärker zu vernetzten, sondern dies auch seinen Kunden anzubieten und deren gesamten Arbeitsprozesse etwa über eine Plattform zu steuern und so die Produktivität zu erhöhen und Kosten zu senken. Denn: Wenn die Geschäfte der Kunden erfolgreicher laufen, sich deren Rentabilität erhöht, dann profitieren auch die Heidelberger davon. Das vom Vorstand ausgegebene Ziel: Die digitale Zukunft der gesamten Branche zu gestalten. Helfen soll dabei die langjährige Erfahrung des 1850 gegründeten Unternehmens in Maschinenbau und Elektronik. In wenigen Jahren, sagt Vorstandschef Rainer Hundsdörfer, werde Heidelberg „wieder der wachstumsstarke und profitable Leuchtturm unserer Branche“ sein. Bereits seit 2004 senden die Maschinen des Konzerns Daten, etwa von Betriebszuständen. Viele weitere sind hinzugekommen. Daten, die für die Wartung wichtig sind, aber auch solche, die für die Fertigung relevant sind. Aus Daten, sagt Hermann, werden Produkte, werden neue Angebote. Etwa ein online gestütztes Servicetool zur präventiven Fehlererkennung beim Kunden. Mehr als 10.000 Maschinen bei Kunden seien mit der unternehmenseigenen, auf die Printmedien-Industrie zugeschnittenen Cloud mit dem Heidelberg-Service vernetzt. Datensicherheit, betont der 51-Jährige, spiele dabei eine große Rolle: „Es ist es ein Kernthema der digitalen Transformation“. Ein großes Problem war über viele Jahre die lange Zeit, die es dauerte, Maschinen vom einen Druckauftrag für den nächsten umzurüsten. Etwa im wachsenden Segment web to print, einer internetbasierten Auftragserteilung und –abwicklung beispielsweise für Fotobücher oder Visitenkarten. Gerade bei Kleinstauflagen entscheide aber die Anzahl der Kundenaufträge, die ein Druckdienstleister in einer bestimmten Zeit schafft, über dessen Erfolg, sagt Hermann: „Nur die Prozessintegration mittels Software erlaubt eine Effizienz- und Produktivitätssteigerung“. Die Heidelberg-Angebote lassen sich auch in Zahlen messen: Während die Gesamtanlageneffektivität von Betrieben in der gesamten Druckbranche im Schnitt bei 29 Prozent liege, ließe sich diese durch den Einsatz geeigneter Software und Beratungsangebote auf 60 Prozent und mehr erhöhen. Neue Geschäftsmodelle und Industrie 4.0-Lösungen hat der Konzern in einem neuen Geschäftsbereich gebündelt und will damit auch neue Märkte erobern: Digital Platforms mit bereits mehr als 850 Kunden außerhalb der grafischen Industrie. Dazu gehören IT-Lösungen, etwa Analysen zum Einsparen von Produktionskosten, Prozessoptimierung oder Qualitätssicherung. Vom Kauf des Bamberger Softwarespezialisten Docufy im Mai erhofft sich der Konzern Zugang zu weiteren Industrie 4.0-Technologien und eine Verstärkung des Geschäftsbereichs. Mit ihrer Smart Factory offerieren die Heidelberger ihren Kunden zudem viele Möglichkeiten: Markplatzplattformen, Unterstützung bei Design, Planung, aber auch Produktion und schließlich die Herstellung von Kundenprodukten. Die kluge Fabrik soll Kunden bei der Realisierung und Produktion von Investitionsgütern entlang der gesamten Wertschöpfungskette unterstützen, erläutert Josef Schell, Leiter des Geschäftsbereichs Digital Platforms. So produziert die Druckmaschinen AG in Wiesloch in Sichtweite zur SAP-Zentrale 3D-Drucker des Berliner Start-up Bigrep. Für die Autobranche ist Heidelberg Zulieferer und fertigt in Wiesloch Batterie-Ladekabel für E-Autos der VW-Konzerntöchter Porsche und Audi. Bis 2022 soll dieser Geschäftsbereich etwa 50 Millionen Euro zum Gesamtumsatz beisteuern, der dann auf rund 3 Milliarden Euro gewachsen sein soll. Neben dem Stammgeschäft – der Herstellung innovativer Druckmaschinen – ist der Konzern aber nicht nur als Auftragsproduzent und Serviceleister aktiv, sondern auch als Softwareentwickler mit rund 200 Mitarbeitern in diesem Bereich. Für die Branche sei Heidelberg einer der größten Softwareanbieter, sagt Vorstandsmitglied Hermann. Dazu gehört auch eine selbst entwickelte Industrie 4.0-Kommunikationsplattform, die extern angeboten aber auch intern eingesetzt werde. Sie soll helfen, Prozesse zu vereinfachen sowie parallel Arbeitspläne zu erzeugen, Dokumentationen zu erstellen und die bisher üblichen Pläne auf Papier zu ersetzen, sagt Uwe Gramlich, der Mitarbeiter im Umgang mit der speziellen Software trainiert. Etwa in der Montageplanung. Dort werden die Ideen und Vorgaben der Entwickler in die Praxis umgesetzt. Mitarbeiter legen etwa fest, in welcher Abfolge die Teile der Maschine montiert werden, um die Fertigung der Druckmaschinen – (Josef Schell: die komplexeste Maschine, die man bauen kann) – effizient zu machen. Dazu gehörten auch Aufträge für spezielle Werkzeuge oder Betriebsmittel. Auf dem Laptop lassen sich in einer dreidimensionalen Darstellung alle Bauteile einer Maschine farblich innerhalb des Gesamtkonstrukts hervorheben und von allen Seiten betrachten. Durch die Software seien die Montageplaner viel näher an den Entwicklern dran, Rückfragen und Verbesserungen seien zu einem viel früheren Zeitpunkt möglich, sagt Gramlich. Die Vorteile: Fehler können reduziert und Zeit eingespart werden.

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