Wirtschaft BDI befürchtet harten Brexit

Der Londoner Finanzdistrikt (Foto) könnte durch den Brexit verlieren. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU können auslän
Der Londoner Finanzdistrikt (Foto) könnte durch den Brexit verlieren. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU können ausländische Banken von dort aus nicht mehr ihr gesamtes Europa-Geschäft steuern, sondern brauchen einen Stützpunkt in der EU. Für viele ist das Frankfurt.

«Berlin/Frankfurt». Die deutsche Wirtschaft rechnet angesichts der geringen Fortschritte bei den Brexit-Verhandlungen mit dem Schlimmsten. Der US-Finanzriese Goldman Sachs schafft schon Platz in Frankfurt für 700 neue Banker.

„Deutsche Unternehmen mit einem Standbein in Großbritannien und Nordirland müssen nun Vorsorge für den Ernstfall eines sehr harten Ausscheidens treffen“, sagte gestern der Hauptgeschäftsführer des Industrieverbandes BDI, Joachim Lang, in Berlin. „Der britischen Regierung fehlt es trotz vieler Worte an einem klaren Konzept.“ Auch die Rede von Premierministerin Theresa May auf dem Parteitag der Konservativen gebe keinerlei Zuversicht. Vielmehr bleibe die Brexit-Strategie innerhalb der Regierungspartei völlig unklar. Schon jetzt bekämen deutsche Firmen in Großbritannien erste Folgen zu spüren, etwa indem sie ausländische Fachkräfte in dem Land verlören. Um sich für alle Eventualitäten zu wappnen, hatte der BDI im Frühsommer mit anderen Wirtschaftsverbänden und Unternehmen eine Task Force Brexit gegründet. In zehn Projektgruppen wird dabei untersucht, welche potenziellen und akuten Gefahren für die Firmen vom Brexit in seinen unterschiedlichen Verlaufsformen ausgehen könnten. Derzeit deutet nach Langs Worten nur wenig auf einen sanften Ausstieg der Briten hin. „Es gibt keine Garantie für auch nur eine einzige Übergangsregelung, geschweige denn einen final austarierten Pakt für das künftige Verhältnis zwischen EU und Vereinigtem Königreich“, sagte er. Die Hoffnung, dass dies schon bald in den Brüsseler Brexit-Verhandlungen Thema wird, hat er nicht. Die meisten britischen Vorschläge hält der Industrieverband für wenig hilfreich. Die Finanzfragen lasse die Regierung in London weithin unbeachtet, die Angebote zu Bürgerrechten seien unzureichend und die Vorschläge zur irisch-nordirischen Grenze nicht praktikabel. Die Vorschläge zur Zollabwicklung seien mit unverhältnismäßig hohem Aufwand verbunden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) hat errechnet, dass allein die Wiedereinführung von Zollverfahren im deutsch-britischen Handel zu Mehrkosten von jährlich mindestens 1 Milliarde Euro führen würde. All das belastet die deutschen Unternehmen im Vereinigten Königreich erheblich. „Über vielen Aktivitäten schwebt nicht nur das Damoklesschwert der Unsicherheit, sie sind vielmehr der Gefahr massiver Entwertungen ausgesetzt“, warnte Lang. Ein ungeordnetes Ausscheiden der Briten aus der EU ohne Folgeregelungen würden massive Verwerfungen mit sich bringen. Der BDI kalkuliert mit einer mehrjährigen Übergangsphase nach dem Ausstieg der Briten. Deutschland und Großbritannien sind mit eine bilateralen Handelsvolumen von jährlich mehr als 170 Milliarden Euro aufs Engste miteinander verbunden. Rheinland-pfälzischen Unternehmen rechnen mit einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung durch einen Brexit, wie eine Blitzumfrage der rheinland-pfälzischen Industrie- und Handelskammern im August dieses Jahres ergeben hatte. Alleine Zollanmeldungen würden zu monatlichen Mehrkosten von durchschnittlich 455 bis 960 Euro führen, je nach Umfang der Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich. 2016 wurden Waren im Wert von 3,6 Milliarden Euro von Rheinland-Pfalz ins Vereinigte Königreich exportiert, die Importe beliefen sich auf 1,2 Milliarden Euro. Andererseits profitiert Deutschland vom Brexit, besonders offenbar der Standort Frankfurt. Die US-Investmentbank Goldman Sachs schafft die Voraussetzungen, ihre Belegschaft in Frankfurt mehr als zu verdreifachen. Die Bank zieht vom Messeturm, wo sie bisher 200 Banker beschäftigt, in den neuen Marienturm, der 2019 bezugsfertig sein soll, wie ein Sprecher in London bestätigte. Dort mietet Goldman Sachs laut einem Insider eine Bürofläche für rund 700 Banker. Der Marienturm liegt im Bankenviertel der deutschen Finanzmetropole. Deutschland-Chef Wolfgang Fink hatte bereits im September geäußert, Goldman Sachs könnte seine Mitarbeiterzahl in Deutschland wegen des Brexit verdrei- oder sogar vervierfachen. In London arbeiten derzeit 6000 Banker für Goldman Sachs. Nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU können ausländische Banken von dort aus aber nicht mehr ihr gesamtes Europa-Geschäft steuern, sondern brauchen einen Stützpunkt in der EU. Eine Studie hatte jüngst ergeben, dass in Frankfurt durch den Brexit neben rund 10.000 neuen Jobs für Banker noch weitere bis zu 88.000 neue Arbeitsplätze in anderen Branchen entstehen könnten.

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