Wirtschaft VW-Chef: Feldzug gegen das Auto

Will beim Strukturwandel in der Automobilindustrie vorangehen: VW-Chef Herbert Diess.
Will beim Strukturwandel in der Automobilindustrie vorangehen: VW-Chef Herbert Diess.

«Frankfurt». Die deutsche Autoindustrie könnte nach Ansicht von Volkswagen-Chef Herbert Diess in den kommenden Jahren ihre Spitzenposition am Weltmarkt verlieren. Er sieht einen „Feldzug gegen das Auto“.

„Aus heutiger Sicht stehen die Chancen vielleicht bei 50:50, dass die deutsche Automobilindustrie in zehn Jahren noch zur Weltspitze gehört“, sagte Diess gestern auf einer VW-Veranstaltung in Wolfsburg. Die Herausforderungen seien enorm. Er nannte als Beispiele den Handelskrieg zwischen den USA und China, das als Brexit bezeichnete Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union sowie die Beziehungen zu Russland und der Türkei. Auch das neue Abgas-Testverfahren WLTP bringe die Industrie „an den Rand ihrer Leistungsfähigkeit“. Diess kritisierte erneut die sich abzeichnenden strengeren EU-Abgasgrenzwerte. „Der jetzige Feldzug gegen die individuelle Mobilität und damit gegen das Auto nimmt jedoch existenzbedrohende Ausmaße an.“ Er denke dabei „an die beinahe hysterische Stickoxiddiskussion um wenige Problemzonen in unseren Städten, die sich in den nächsten Jahren fast von selbst auflösen werden“, oder an die neuen CO2-Grenzwerte, die derzeit in Berlin und Brüssel verhandelt werden, „und die den Automarkt vollständig revolutionieren werden“. Diess betonte, er habe keine Angst vor dem Strukturwandel. Er halte es auch für falsch, ihn aufhalten zu wollen, wie es in Deutschland beim Kohlebergbau seit Jahrzehnten praktiziert werde. „Unser Ziel muss es sein, bei tiefgreifenden und notwendigen Veränderungen voranzugehen. Denn das wird ein Wettbewerbsvorteil sein“, sagte der VW-Chef und verwies auf die Elektrifizierung und digitale Vernetzung von Fahrzeugen. „Aber auf die Gestaltung der Geschwindigkeit und der Art des Wandels kommt es an.“ Die Struktur der deutschen Energieerzeugung passt nach Ansicht des VW-Konzernchefs nicht zu einem schnellen Umstieg in die Elektromobilität. Er sehe den gewünschten hohen Anteil an Elektroautos vor allem in Deutschland kritisch, weil der für den Antrieb benötigte Strom die Umweltbilanz eher verschlechtere als verbessere. Stefan Kapferer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), wies die Argumentation des VW-Chefs als „inhaltlich absolut nicht nachvollziehbar“ zurück. Die Energiewirtschaft werde den Anteil der Kohle an der Stromerzeugung in den 2020er-Jahren weiter reduzieren. 2007 habe der Anteil erneuerbarer Energien am deutschen Strommix bei knapp 14 Prozent gelegen, in diesem Jahr könnten es knapp 40 Prozent werden. „Wir senken nachweislich seit Jahren den Treibhausgasausstoß und schaffen die Klimaziele 2020, während die Emissionen im Verkehrssektor sogar gestiegen sind“, sagte Kapferer. „Mit ungefähr noch 600 Gramm CO2 in der erzeugten Kilowattstunde Strom rangieren wir im hinteren Mittelfeld in Europa“, erläuterte Diess. „Und ich sehe derzeit nicht, wie wir bis 2030 unsere Primärenergie CO2-frei bekommen wollen.“ Gelinge dies nicht, „fahren wir eben anstatt mit Benzin oder Diesel im Prinzip mit Kohle, auch wenn wir elektrisch unterwegs sind, schlimmstenfalls sogar mit Braunkohle“, betonte der VW-Chef. „Das treibt die Idee der Elektromobilität ad absurdum.“ Dann blieben die CO2-Emissionen in Deutschland gleich hoch wie heute oder stiegen sogar. „Und das, obwohl wir wahrscheinlich Hunderte von Milliarden für die E-Mobilität ausgegeben haben, um den Strukturwandel hinzubekommen.“ Das mache ihm Sorgen, „nicht unbedingt die Tatsache, dass die Wertschöpfungstiefe bei E-Fahrzeugen geringer ist und somit weniger Personen benötigt werden, um die E-Autos herzustellen“. Diess hatte bereits in der vergangenen Woche vor massiven Jobverlusten wegen der neuen CO2-Grenzwerte gewarnt. In gut zehn Jahren müsse „etwa ein Viertel der Jobs in unseren Werken wegfallen“, unter dem Strich etwa 100.000 Stellen. Kommentar, Aktienchart

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