Pferdesport Vielseitigkeit: Sorge um die Pferde ist steter Begleiter

Nadine Marzahl und ihre im Juli eingeschläferte 16 Jahre alte Stute Valentine nur einen Monat vor dem Unglück.
Nadine Marzahl und ihre im Juli eingeschläferte 16 Jahre alte Stute Valentine nur einen Monat vor dem Unglück.

Kurz vor der EM wurde jüngst ein deutsches Vielseitigkeitspferd wegen einer schweren Verletzung eingeschläfert. Tote Pferde und Sicherheit sind ein großes Thema in der spektakulären, aber auch umstrittenen Reitsportdisziplin.

Als das Unglück passierte, waren auch mehrere EM-Reiter vor Ort. Knapp vier Wochen vor der am Donnerstag beginnenden Europameisterschaft wurde beim Turnier in Jardy das Risiko noch einmal in Erinnerung gerufen: Die Vielseitigkeit ist mit dem Geländeritt die gefährlichste Pferdesportdisziplin. Dabei war es im Fall von Valentine nicht einmal ein schlimmer Sturz. Das Pferd der Reiterin Nadine Marzahl, Vierte der deutschen Meisterschaften, zog sich Mitte Juli bei dem Turnier in Frankreich auf offener Strecke einen unheilbaren Trümmerbruch zu und wurde auf Anraten der Tierärzte eingeschläfert.

Emotionale Reaktion der Reiterin

„Das ist das Schlimmste, was einem als Reiter passieren kann. Valentine war mein Herzenspferd, und uns verbindet mehr als nur der Sport“, teilte Nadine Marzahl nach dem Unglück mit. „Wenn es irgendwie gegangen wäre, hätten wir sie auf jeden Fall mit nach Hause genommen“, versicherte die Reiterin. Aber die Tierärzte sahen wohl keine lebenswerte Perspektive mehr für die 16 Jahre alte Stute.

Die Sorge um die Pferde ist ein steter Begleiter dieser olympischen Sportart, genau wie die Angst vor schweren Stürzen. „Jeder Unfall ist einer zu viel“, sagt Soenke Lauterbach im Vorfeld der EM im französischen Nationalgestüt Haras du Pin. Der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN) gibt aber auch zu: „Es wird uns nie gelingen, das Risiko komplett auszuschalten.“

Auch den Reitern ist diese Gefahr ihres Sportes bekannt, die mit jedem tödlichen Vorfall wieder etwas mehr ins Bewusstsein rückt. „Jeder reagiert anders, einige emotionaler“, sagte Bundestrainer Peter Thomsen. Wie lange es dauert, ein Unglück wie das von Nadine Marzahls Valentine zu verarbeiten, sei sehr unterschiedlich. „Je näher man Pferd und Reiter steht, desto länger dauert es“, sagt er. Marzahl selbst beteuerte, sie sei „immer davon ausgegangen, dass sie einmal ihren Lebensabend bei uns verbringt“. Es kam anders für Valentine.

Die Angst darf nicht mitreiten

Was die EM angeht, macht sich Thomsen keine Sorgen um sein Team. „Im Wettkampf sind alle fokussiert“, betont der Bundestrainer. Die Angst darf nicht mitreiten, soll das heißen. Während der Ritte über Stock und Stein und durch Wasser-Hindernisse müssen die Reiter die Gefahr ausblenden. Der Generalsekretär erklärt: „Unseren Kaderreitern steht eine psychologische Betreuung zur Verfügung. Wer das möchte, kann das in Anspruch nehmen.“ Abgesehen von der EM gilt nach Lauterbachs Worten für die Vielseitigkeit generell: „Wir haben seit vielen Jahrzehnten einen großen Fokus darauf, alles zu tun, um Unfälle zu vermeiden.“ Der Deutsche Reitverband bemühe sich intensiv darum, die Vielseitigkeit sicherer zu machen. Seit 2013 gibt es eine „Task Force Sicherheit Vielseitigkeit“.

Auch der Weltverband FEI hat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, so sind unter anderem die Geländestrecken in den zurückliegenden Jahren entschärft worden. Es gibt vermehrt Sicherheitshindernisse, die sich beim Aufprall aus der Verankerung lösen. So werden nach Weltverbandsangaben in erster Linie Rotationsunfälle verringert, bei denen die Pferde auch auf den Reiter stürzen können.

Wie die Sicherheitsbemühungen tatsächlich helfen, lässt sich an Zahlen schwer ablesen, sie schwanken zu stark. 2021 gab es laut einer Statistik des Weltverbandes FEI bei internationalen Turnieren neun tote Pferde, im Jahr zuvor waren es „nur“ vier.

Auch die Reiter sind gefährdet

Die Risikominimierung „machen wir aus Tierschutzgründen, aber auch, um die Athleten zu schützen“, sagt Lauterbach. Auch für die Vielseitigkeitsreiter selbst kann ein Sturz fatale Folgen haben. Rein rechnerisch, so hat die FEI festgestellt, endet jeder 27.855. Sturz im Gelände für Menschen tödlich. Da hatte ein Star der Szene, die Münsteranerin Ingrid Klimke, bei ihrem Sturz im Juni noch Glück – „nur“ ein Schlüsselbeinbruch. Allerdings dürfte das Unfallrisiko ein Grund dafür sein, dass sich die 55-Jährige nun verstärkt der Dressur widmet.

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