Sport Träume, Ost und West

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Da schau her, es tut sich was an der Spree! Gut, zugegeben, das ist eine Binse. Denn Berlin ist immer in Bewegung. Und wird wohl auf ewig unfertig bleiben. Aber den Kickern der Stadt träte niemand zu nahe, bescheinigte man ihnen, sich jahrelang zwischen den engen Leitplanken des Mittelmaßes bewegt zu haben. Diese Leitplanken sind inzwischen niedergerissen. Und das ist auch gut so! Im Olympiastadion und An der Alten Försterei kommt Freude auf. Rein fußballerisch, versteht sich. Der selbstbespöttelnde Berliner Spruch „Wir können alles, außer Flughafen, S-Bahn und Fußball“ stimmt so nicht mehr. Der 1. FC Union blickt mit einem Auge schon auf das nächsthöhere Fußballniveau. Träume reifen im östlichen Köpenick, die sie auf der anderen Seite der Stadt längst haben. Natürlich geht es Hertha BSC darum, hauptstädtisch angemessen auf Europas Bühnen vorzuspielen. Aber der Aufschwung zeigt sich nicht nur am Tabellenplatz. Beim 2:1 (1:0) gegen Borussia Dortmund hat Berlin eine Tugend gezeigt, die fußballerische Entwicklung vermuten lässt. Die „alte Dame“ ist spielerisch variabler geworden. Sie kann ein Spiel steuern, auch gegen die Großen der Zunft. Herthas trainierendes Urgestein Pal Dardai hat es in seiner unkomplizierten Art so ausgedrückt: „Nach vier Minuten haben wir so gespielt, wie wir uns das vorgenommen hatten. Wir haben den Gegner dorthin gelenkt, wo er uns nicht wehtun kann.“ Wohl wahr. Die Organisation stimmt. Vladimir Darida, Genki Haraguchi, Per Ciljan Skjelbred und Niklas Stark sind zwar keine Mittelfeld-Maradonas. Aber sie sind bienenfleißig. Und vom Willen beseelt, jedem Gegner Leben und Lösungen schwer zu machen. In konzertierten Aktionen wird der Ballführende angerannt, als gäbe es kein morgen mehr. So lange jedenfalls, bis der Atem kurz wird und die Beine schwer werden. Die neue Variabilität zeigt sich insbesondere im Angriffsmodus. Wie auch immer die Freunde des Rasensports das nennen: Schnelles Umschaltspiel oder, altmodisch, Konter – gegen den BVB haben die Berliner vielversprechende Ansätze davon gezeigt. Sie haben mit schnellen, halblangen Bällen überrascht – und die abwehrende Dortmunder Dreierkette vor Rätsel gestellt. Vor allem Matthias Ginter. Marc Bartra konnte sich häufig nur durch Regelwidrigkeiten behelfen. Hinter der BSC-Entwicklung steht auch einer, der im Schatten Dardais wirkt. Es ist Co-Trainer Rainer Widmayer. Bei Hertha haben sie ihn mal „das Gehirn“ genannt. Ihm wird akribische taktische Tüftelei nachgesagt. Widmayer hat übrigens in den Neunzigerjahren mit dem Dortmunder Taktikfuchs Thomas Tuchel beim SSV Ulm 1846 gegen den Ball getreten. Und die Lehren des Trainers Ralf Rangnick aufgesogen. Sollte Hertha es schaffen, die Auswärtsschwäche abzustellen und die „Chaosmomente“ (Dardai) zu minimieren, hat die Mannschaft eine helle Zukunft. Mit „Chaosmomenten“ meint Dardai das Schlussviertel des Spiels. Denn regelmäßig zieht sich Hertha, meist mit einer Führung im Rücken, an den eigenen Strafraum zurück. „Systematische Vorneverteidigung“ (Dardai) ist dann nicht mehr. Aber vielleicht ist das eher eine Aufgabe für die nächste Saison. An irgendetwas müssen sie ja werkeln und basteln in Berlin. Denn – siehe oben: Diese Stadt wird wohl auf ewig unfertig bleiben.

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