Sport Spieler lassen Zauberer aus Island im Stich

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Paris. Im Marriott Rive Gauche Hotel & Conference Center in 17, Boulevard Saint-Jacques wurden bereits gestern die Betten wieder neu bezogen. Die deutsche Handball-Nationalmannschaft reiste viel früher ab als erwartet. Nach der 20:21 (10:9)-Niederlage im WM-Achtelfinale gegen Katar ging’s am frühen Morgen zurück nach Kiel, Magdeburg, Wetzlar oder Gummersbach.

Es war ein Bild mit Symbolcharakter. Dagur Sigurdsson war umringt von Reportern, er saß auf einem Stuhl – und er brachte kein Wort mehr heraus. Er hatte einen Kloß im Hals, er räusperte sich – und auch nach einem Schluck Wasser wurde es nicht besser. So endete der letzte Auftritt des Isländers unglücklich, genau so wie das Spiel ein paar Minuten zuvor. „Es tut mir vor allem leid für ihn“, sagte DHB-Vize Bob Hanning. Hanning holte Sigurdsson erst zu den Füchsen Berlin, vor zweieinhalb Jahren lotste er ihn zum Deutschen Handballbund, dort schrieb der heute 47-Jährige eine sehr schöne Erfolgsgeschichte, in der nur das letzte Kapitel nicht stimmte. Der K.o. gegen Katar, eine überschaubar veranlagte Truppe, war keinesfalls notwendig, die Mannschaft zeigte nicht ihr wahres Gesicht, sie machte im Angriff zu viele Fehler, was vermutlich daran lag, dass der letzte Tick Konzentration fehlte und der glatte Sieg gegen Kroatien den Spielern ein wenig die Bodenhaftung raubte. Die „Bad boys“ waren schlecht und nach der Gala gegen den Angstgegner schon in Gedanken beim Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich. „Ein Ball ins Aus. Und dann noch ein Ball ins Aus“, so beschrieb Jannik Kohlbacher das Malheur. „Dass irgendwann so etwas passieren würde, war in der Entwicklung der Mannschaft eingespeist. Dagur hat Herausragendes geleistet. Er hat uns ein neues Selbstwertgefühl gegeben“, meinte Bob Hanning. Dagur Sigurdssons Bilanz kann sich sehen lassen: Er weckte den deutschen Handball aus dem Dornröschenschlaf, und dann geschah das Wintermärchen von Breslau und Krakau. Knapp 13 Millionen Zuschauer fieberten an jenem Sonntagabend Ende Januar 2016 am Fernsehschirm mit, der Handball war wieder en vogue. Die Bronzemedaille in Rio de Janeiro war ebenfalls ein beachtlicher Erfolg, nur bei den Weltmeisterschaften fehlte der große Glanz: Nach Platz sieben in Katar 2015 folgt nun Platz neun in Frankreich. „Dass das letzte Spiel so ausging, ist kein Drama“, sagte Sigurdsson, sprach gleichwohl von einem „Schock“, von „der größten Enttäuschung“ und „von eigenen Fehlern“. Der Zauberer aus Island, der die Gegner in schöner Regelmäßigkeit immer wieder hinters Licht führte, war am Sonntag mit seiner Kunst am Ende. Oder anders ausgedrückt: Er traf mit Valero Rivera auf einen Kontrahenten, der ihm diesmal einen Tick voraus war. Da half am Ende nicht einmal die blaue Taktiktafel. „Das ist ein Rückschlag, den wir wegstecken müssen“, meinte Patrick Wiencek. Holger Glandorfs Comeback war schnell wieder vorbei. Der Flensburger Routinier macht sich (wie viele andere) um die Zukunft der Mannschaft keine Sorgen, weil sie von der Struktur und vom Alter her bestens aufgestellt ist. Die nächste Aufgabe steht in der EM-Qualifikation Anfang April gegen Slowenien an. Davon auszugehen ist, dass sich der Kader nur punktuell ändert. Steffen Weinhold und Fabian Wiede kehren zurück. In Kürze dürfte das Geheimnis gelüftet werden, wer nun auf den designierten japanischen Coach Dagur Sigurdsson folgt: Christian Prokop (Leipzig) oder Markus Baur (Stuttgart). So bleibt für den neuen Mann auch ein bisschen was zu tun …

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