Sport EM-Qualifikation: Löw hat sich von Lastern befreit

Erweist sich als wandlungsfähig: Bundestrainer Joachim Löw. Foto: dpa
Erweist sich als wandlungsfähig: Bundestrainer Joachim Löw.

Im Klassiker gegen die Niederlande möchte die deutsche Nationalmannschaft Freitagabend (20.45 Uhr) den nächsten Schritt zur EM-Qualifikation machen. Bundestrainer Joachim Löw hat sich im Vorfeld von Lastern befreit.

Das kleine Laster bei Joachim Löw war lange bekannt. Immer mal wieder griff der Bundestrainer zur Zigarette. Am Donnerstag in der ersten Etage des Hamburger Volksparkstadions, als der Südbadener sich wirklich in aller Ausführlichkeit zum EM-Qualifikationsspiel Deutschland gegen die Niederlande geäußert hatte, bestätigte der 59-Jährige abschließend auf der Pressekonferenz, dass er sich das Rauchen abgewöhnt habe. „Ich habe schon länger aufgehört, das war kein Problem. Ich weiß nicht, ob ich es durchstehe. Aber ich gehe davon aus.“ Auch am geliebten Espresso nippt er immer seltener. Nur eine gewisse Sucht nach Fußball darf bleiben. Löw berichtete noch einmal davon, wie er bei den Juni-Partien gegen Estland (8:0) und Weißrussland (2:0) zuhause „herumgetigert“ sei, weil ihn die Folgen eines Sportunfalls mit einer im Brustbereich geplatzten Arterie dazu verdonnerten, in seiner Wohnung zu bleiben. Die Anspannung damals sei groß gewesen. Am Freitag im ausverkauften Volksparkstadion an der Linie einwirken zu können, sei „ein viel besseres Gefühl“. Keine Frage: Den Genussmenschen Löw hat der Tatendrang gepackt.

Rückschläge sind einkalkuliert

Deutlich wird das auch daran, wenn der immer noch nicht ergraute Fußballlehrer den Sprachgebrauch der jüngeren Generation übernimmt. Die Jungs, sagte Löw, „die haben richtig Bock, miteinander was zu bewegen, auch wenn die Mannschaft erst am Anfang steht.“ Er möchte ihr die Leitplanken mitgeben. In der Aufbauphase sind Rückschläge einkalkuliert – so bildeten die jüngsten drei Duelle gegen die Niederlande (0:3, 2:2, 3:2) die gesamte Schwankungsbreite ab. Löw fühlt sich erinnert an die Zeit vor der WM 2010, als Verletzungen einen Umbruch beschleunigten. Diesmal führte das WM-Desaster 2018 zur Veränderung, die Löw freilich erst unter Zwang und mit Verzögerung umsetzte.

Löw ist wandlungsfähig

Längst weiß er, dass die eingeleiteten Prozesse unvermeidlich waren: „In der Systematik mussten wir nach der WM grundsätzlich umstellen. Unser Spiel war ein Stück weit eingeschlafen, jetzt haben wir mehr Tempo, mehr Zielstrebigkeit. Wir sind auf einem guten Weg.“ Taktgeber Toni Kroos, der mit 29 Jahren als einer der letzten Weltmeister den Häutungsprozess überstanden hat, sieht die Mannschaft sogar schon weiter als im Vorlauf zum vermasselten Turnier in Russland. Gleichwohl: Der Weg zu einem Titelaspiranten der EM 2020 ist noch weit. Aber wie viel Löw den gut ausgebildeten 95er und 96er-Jahrgängen um Joshua Kimmich, Niklas Süle, Timo Werner oder Julian Brandt zutraut, belegte sein Verweis, dass diese Mannschaft „vielleicht zur EM 2024 im eigenen Land auf dem Höhepunkt ist“. Derart weit hatte der Missionar seinen Blick zuletzt nicht schweifen lassen. Offenbar ist der Fußballlehrer wandlungsfähiger als angenommen. „Als Typ und Trainer hat er sich extrem entwickelt“, sagte Kroos.

Auch Goretzka fällt aus

In der Ausrichtung auf die 44. Auflage des ewigen Klassikers gegen den Nachbarn hätte der Bundestrainer am liebsten in Hamburg die Anfangself aus Amsterdam aufgeboten. Doch nachdem schon Thilo Kehrer, Antonio Rüdiger und Leroy Sané verletzt fehlten, meldete sich nun Leon Goretzka mit einer Einblutung in der Muskulatur ab. Der 24-Jährige hätte wieder zwischen Mittelfeld und Angriff pendeln sollen. Den Ausfall wertete Löw als „Wermutstropfen.“ Es soll nun ein echter Dreiersturm sein, der die Niederländer mit ihrem Abwehrriesen Virgil van Dijk in alle Richtungen beschäftigt.

Gnabry „spielt immer“

Neben Marco Reus ist dabei auch Serge Gnabry gesetzt, für den Löw überraschend eine Redewendung nutzte, die der Niederländer Louis van Gaal mal für Thomas Müller aufbrachte. „Serge Gnabry spielt. Serge Gnabry spielt immer!“ Um den letzten freien Angriffsplatz streiten Timo Werner („hat einen guten Lauf“) und Julian Brandt („macht guten Eindruck im Training“). Das größte Gedränge ergibt sich aus Löws neuer Vorliebe für eine Dreierkette (Niklas Süle, Jonathan Tah und Matthias Ginter) und zwei hoch stehenden Außenverteidigern (Lukas Klostermann und Nico Schulz) im Mittelfeld. Weil Kimmich inzwischen als ordnender Fixpunkt der Zentrale genauso wie der Ballverteiler Kroos gesetzt ist, müssen sich filigrane Fußballer wie Ilkay Gündogan und Kai Havertz hintenan stellen. Löw betonte bei diesem Luxusproblem („wir sind variabel“), dass er das Talent des erst 20-jährigen Havertz nicht verkenne, der schließlich nicht umsonst die U21-Vorstufe einfach übersprungen hätte: „Er kann der Spieler für die nächsten Jahre werden.“ Sein Versprechen: „Für den finden wir einen Platz.“ Nur noch nicht jetzt – in der ersten Elf gegen die Niederlande.

x