Sport „Ein Paradies für Geldwäsche“

Unter Verdacht: Rafael Márquez (rechts), hier in einem Spiel der mexikanischen Liga.
Unter Verdacht: Rafael Márquez (rechts), hier in einem Spiel der mexikanischen Liga.

«MEXIKO-STADT.»Als sich Mexikos Fußball-Nationalmannschaft Anfang Juni daheim gegen Schottland von ihren Fans Richtung Russland verabschiedete, kam zur zweiten Halbzeit Rafael Márquez ins Spiel. Zum ersten Mal an diesem Abend keimte im klobigen Aztekenstadion Stimmung auf. Die Anhänger feierten den 39 Jahre alten Kapitän mit Sprechchören. Márquez spielte wie immer souverän und schlug lange, punktgenaue Pässe. Es geht bei ihm alles ein bisschen langsamer als früher, aber er strahlt Ruhe auf die mexikanische Nationalmannschaft aus. Die Partie gegen Schottland war sein 141. Länderspiel und das erste nach elf Monaten Pause. Zuletzt spielte Márquez im Confed-Cup in Russland im Spiel um Platz drei gegen Portugal für Mexiko (1:2 nach Verlängerung). Es war eine Zwangspause, denn der frühere Star des FC Barcelona steckt in heiklen juristischen Problemen, die auch auf seine Karriere ausstrahlen. Am 10. August rückten US-Drogenfahnder den Spieler in die Nähe des Organisierten Verbrechens. Márquez soll für den Rauschgifthändler Raúl Flores Hernández in großem Stil Geld gewaschen haben. Das Finanzministerium in Washington fror Márquez’ Konten in den Vereinigten Staaten ein, beschlagnahmte seine Güter und annullierte sein Visum. Der Vorwurf: In neun Firmen und Stiftungen des Kickers soll schmutziges Geld von Flores stecken. Darunter sind Fußballschulen, Hersteller alternativer Nahrungsmittel sowie Reha-Zentren. Der Fußballer ist zwar ein Freund von Flores, bestreitet aber, für ihn Geld gewaschen zu haben. Márquez, der in Europa beim AS Monaco (1999 - 2003), dem FC Barcelona (2003 - 2010) und Hellas Verona (2014 - 2016) spielte, ist einer der wenigen mexikanischen Profis, die im Ausland langfristig reüssiert haben. Dementsprechend himmelt das fußballverrückte Land den Spieler an, der daheim in Anlehnung an Franz Beckenbauer und den ähnlichen Spielstil nur ehrfürchtig „Kaiser“ genannt wird. Sein Fall wirft ein Schlaglicht auf ein Thema, über das in Mexiko kaum jemand redet: Wie viel schmutziges Geld steckt im Fußball? „Der Fußball ist ein Paradies für Geldwäsche“, ist sich Edgardo Buscaglia, Experte für Organisierte Kriminalität und Geldwäsche von der New Yorker Columbia Universität, sicher. Der Fußball bewegt in Mexiko so viel Geld wie nirgendwo sonst in Lateinamerika. Aber die Klubs, die oft großen Unternehmen oder Milliardären gehören, werden staatlich kaum stärker reguliert als kleine Dorfvereine. „Anders als bei Banken, Wechselstuben, Wettbüros, Immobilienmaklern und Spielcasinos finden die Geschäfte im Fußball praktisch ohne Finanzaufsicht statt“, erklärt Buscaglia. Dabei sei der Kauf und Verkauf von Spielern nur ein Teil, in dem Geld bewegt werde. Nebenbei sind fast alle Klubs noch im Bau- und Textilsektor sowie im Dienstleistungsbereich tätig. All das seien wunderbare Spielplätze für Geldwäsche, unterstreicht der Experte: „Wenn man bedenkt, dass Mexiko nach China und Russland weltweit die drittgrößte Ökonomie mit schmutzigem Geld ist, kann man leicht ahnen, wie es in den Fußball-Finanzen aussieht.“ Nach Schätzungen des mexikanischen Finanzministeriums und der Bankenaufsicht CNBV wurden allein vorvergangenes Jahr 50 Milliarden US-Dollar im Land gewaschen. Man muss davon ausgehen, dass ein Teil davon in den Fußball-Kreislauf injiziert wurde. Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF), ein Organismus von G-7 und OECD zum Kampf gegen Geldwäsche, hat schon 2009 darauf hingewiesen, dass der Fußball besonders anfällig für kriminelle Aktivitäten ist. „Fußballvereine sind in den Augen Krimineller das perfekte Instrument zur Geldwäsche“, heißt es in dem 42 Seiten starken Bericht („Money Laundering through the Football Sector“). Nach ergänzenden Recherchen des Sportportals „Cámara Húngara“ auf Basis der FATF-Untersuchung liegen 54 Prozent der mexikanischen Erst-, Zweit- und Drittligavereine in Gegenden, die unter dem Einfluss der organisierten Kriminalität stehen. Die Klubstruktur leistet dubiosen Geschäften Vorschub. Sie gleicht dem US-Sport. Ein Großteil der 18 mexikanischen Erstligateams sind keine Vereine, sondern Aktiva von Großunternehmen oder Spielzeuge von Superreichen. Ähnlich wie im US-Sport werden mexikanische Fußballklubs gerne von einer Stadt in eine andere verlegt, wenn dort mehr Geld zu verdienen ist. In Mexikos Zweiter und Dritter Liga wechseln pro Jahr durchschnittlich zehn Teams ihren Sitz. Sie folgen dem Ruf des Geldes, ob sauber oder schmutzig. Auch in der Ersten Liga gibt es Vereine, bei denen der Verband lieber nicht so genau hinschaut. Ein Beispiel ist der „Club Tijuana“. Der Verein aus der gleichnamigen Grenzstadt zu den USA wurde 2007 gegründet, stieg 2011 in die Erste Liga auf und wurde 2012 Meister. Präsident ist Jorgealberto Hank, ältester Sohn von Jorge Hank Rhon, einem ebenso zwielichtigen wie reichen Unternehmer, der sein Geld mit den Spielcasinos „Caliente“ macht und dem immer wieder Verbindungen in die Unterwelt nachgesagt werden. Die Tatsache, dass der Klub aus den Gewinnen der Casinos finanziert wird, verstößt gegen den Fifa-Ethikcode, der in Artikel 25 Verbindungen zu Wettanbietern, Spielcasinos und Lotterien untersagt. Guillermo Cantú, Generalsekretär des Fußballverbandes Femexfut, legt jedoch für den Verein aus Tijuana seine Hand ins Feuer. „Der Eigentümer hat den Klub unter Anstrengungen hochgebracht. Und Geld von Casinos steckt bestimmt auch in vielen anderen Vereinen auf der Welt.“ Der Verband prüfe immer genau, wer die Eigentümer der Klubs sind: „Wir haben da hohe Hürden“, versichert Cantú. Aber schon in der Vergangenheit gab es immer wieder Verdachtsfälle. Der Unternehmer Carlos Ahumada soll vor 15 Jahren 94.000 Dollar vom organisierten Verbrechen angenommen haben, als er Eigentümer der Vereine Santos und León war. Ahumada unterhielt Geschäftsbeziehungen zu dem Drogenhändler José Tirso Martínez, der 2014 wegen Verbindungen zum Kartell von Juárez und Geldwäsche bei den Vereinen aus Querétaro, Irapuato y Celaya, festgenommen wurde. Es überrascht nicht, dass auch immer Spieler in die Nähe von Kartell-Größen gerückt wurden. Aber der Fall von Rafael Márquez ist eine andere Kategorie. Kein Fußballer hatte ein solches Image als Superstar und Saubermann. Bei keinem waren die Vorwürfe so konkret und detailliert. Auswahltrainer Juan Carlos Osorio hat indes nicht gezögert, seinen Kapitän für dessen fünfte WM zu nominieren. „Rafael ist sehr erfahren, hat eine hohe technische Qualität und ist trotz seines Alters noch fit“, sagt der kolumbianische Trainer: „Er wird sehr wichtig für uns sein. Entweder als Startspieler oder als Einwechselspieler, je nachdem, gegen wen wir spielen.“ Am Sonntag (17 Uhr MESZ) trifft Mexiko in der WM-Gruppe F im Luschniki-Stadion in Moskau auf Deutschland, den Weltmeister.

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