Panorama Mörderische Wette

Habgier war nach Ansicht der Ermittler das Motiv für den Anschlag auf den BVB-Bus. Zwei Menschen wurden dabei verletzt.
Habgier war nach Ansicht der Ermittler das Motiv für den Anschlag auf den BVB-Bus. Zwei Menschen wurden dabei verletzt.

«Dortmund.» Diesen Tag im April werden die BVB-Profis niemals vergessen. Denn der Bombenanschlag auf ihren Teambus hinterließ tiefe Spuren. Dass sie nur einen Tag später ein Champions-League-Spiel bestreiten mussten, sorgte noch lange für Diskussionen. Heute beginnt der Prozess gegen den Attentäter.

Das letzte Spiel ist abgepfiffen. Die Profis von Borussia Dortmund gehen in ihren kurzen Weihnachtsurlaub. Ihr Verein hat ein aufsehenerregendes Jahr hinter sich. Ausschreitungen beim Spiel gegen Leipzig führten zu einer Sperrung der Südtribüne, trotz des Pokalsieges gab es eine schmutzige Trennung von Trainer Thomas Tuchel, dessen Nachfolger Peter Bosz ist auch schon entlassen. Blocksperren und Trainerwechsel gehören allerdings zum Fußballgeschäft. Das, worum es ab heute in Saal 130 des Landgerichts Dortmund geht, ist beispiellos in der Branche. Sergej W. ist angeklagt. Der 28-Jährige soll am 11. April einen Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB verübt haben, kurz nach dessen Abfahrt zum Spiel in der Champions League gegen AS Monaco, einen. Sergej W. wird verdächtigt, er habe möglichst viele prominente Fußballer töten wollen, um durch eine Wette auf fallende Kurse der BVB-Aktie viel Geld zu verdienen. Die Tat, bei der ein begleitender Polizist auf einem Motorrad und der Spieler Marc Bartra schwer verletzt wurden, ereignete sich vor einem Vier-Sterne-Hotel im Dortmunder Süden. Es ist immer noch das Mannschaftshotel der Borussia. Niemand habe Einwände dagegen gehabt, heißt es im Verein. Ist es klug, dass möglicherweise traumatisierte Spieler immer wieder an den Ort zurückkehren, an dem sie um ihr Leben bangten? „Ich finde, Journalismus sollte auf Fakten und nicht auf Mutmaßungen beruhen“, schreibt ein Leitender Oberarzt einer Klinik für Psychotherapie auf Anfrage der RHEINPFALZ. Der Mann gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Traumaforschung: „Zu dem genannten Thema kann ich nichts Sinnvolles beitragen.“ Andere Psychologen äußern sich stets vage und zurückhaltend. Tenor: Es kann sein, dass zumindest einzelne Spieler unter den Folgen des Anschlags litten und möglicherweise noch Jahre leiden werden. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke sagte auf der Aktionärsversammlung im November: „Wir sollten nicht unterschätzen, was das posttraumatisch auch nach Monaten auslösen kann. Ich habe mich mit Psychologen ausgetauscht, die sagen, gerade das Risiko sechs, sieben Monate nach einem solchen Attentat sei extrem hoch.“ Einige Profis werden vor Gericht als Nebenkläger auftreten. Ob sie an einem der bislang 18 angesetzten Verhandlungstage erscheinen werden, ist fraglich. Sergej W., dem die Staatsanwaltschaft Habgier und Heimtücke unterstellt, bestreitet jede Schuld. Jedenfalls sagte das ein Anwalt aus Tübingen, der ihn mittlerweile allerdings nicht mehr vertritt. Warum, wollte er auf Anfrage nicht sagen. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ zeichnete vor wenigen Wochen ein ausführliches Bild des mutmaßlichen Täters. Sergej W., 28 Jahre alt, in Russland geboren, später in den Schwarzwald gezogen, sei ein Elektriker, der seine Arbeit immer zuverlässig erledigt habe. In den Ermittlungsakten finden sich laut „Spiegel“ aber auch Notizen seiner ehemaligen Freundin, die Sergej als ängstlichen Menschen beschreiben: Angst vor anderen Menschen, Angst, ein Versager zu sein, Angst „rauszugehen“. Sergej W. soll, mindestens zweimal versucht haben, sich das Leben zu nehmen. Das Gericht wird auch feststellen müssen, inwieweit Sergej W. schuldfähig war – sofern ihm denn eine Schuld nachgewiesen werden kann. Die Indizien freilich scheinen erdrückend zu sein; das öffentliche Interesse an dem Prozess ist groß. Dass schon Details aus den Ermittlungen bekanntgeworden sind, könnte nach dem Verlesen der Anklageschrift zum Thema werden. Bei der Verteidigung ist von einer „Vorverurteilungskampagne“ die Rede.

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