Panorama Krönung einer Charme-Offensive

21 Salutschüsse werden Queen Elizabeth II. und ihren Gemahl Prinz Philip heute Abend begrüßen, wenn sie auf dem Flugplatz

in Berlin-Tegel eintreffen. Die Queen beginnt dann ihren fünften Staatsbesuch in Deutschland, der am Freitag zu Ende gehen wird. Thema wird auch sein, wie es gelingen kann, die Briten in der Europäischen Union zu halten.

Königin Elizabeth II. ist für ihre 89 Jahre noch erstaunlich rüstig. Doch anstrengende Auslandsvisiten überlässt sie mittlerweile lieber anderen Mitglieder des Königshauses, beispielsweise Prinz Charles oder dessen Sohn Prinz William. Als umso bedeutender darf man es einschätzen, dass sich die Queen noch einmal den Strapazen eines dreitägigen Staatsbesuches in Deutschland aussetzt.Die Visite ist ein Zeichen dafür, wie wichtig London die bilateralen Bande geworden sind. „Der Besuch“, unterstrich Sir Simon McDonald, der britische Botschafter in Berlin, „wird ein unvergessliches Ereignis sein, das die ganze Breite und Tiefe der heutigen Beziehungen zwischen Großbritannien und Deutschland erfasst.“ In London hat man die strategische Entscheidung getroffen, mit dem wichtigsten Partner in Europa einen Schulterschluss zu wagen. Staatsbesuche waren schon immer eines der wirksamsten Instrumente im Geschäft der Völkerverständigung. Dabei ist die Queen als diplomatische Wunderwaffe unschlagbar. Diesmal lautet ihre Mission: Großbritannien in Europa halten. Denn Premierminister David Cameron hat eine Volksabstimmung über den britischen Verbleib in der Europäischen Union zu gewinnen. Cameron will eine Reihe von Änderungen in der EU durchsetzen und Kompetenzen von Brüssel zurück an nationale Parlamente „repatriieren“ – und dafür braucht er die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Schon seit zwei Jahren ist zu beobachten, wie energisch die Briten auf Schmusekurs mit Deutschland gehen. Besonders deutlich wurde das im vergangenen Jahr, als Bundeskanzlerin Merkel zu einem sechsstündigen Arbeitsbesuch in London weilte. Was damals in den Terminplan alles hineingepackt wurde, hätte auch für einen Staatsbesuch ausgereicht: Rede im Parlament, Lunch in der Downing Street, Tee bei der Queen. Es war, wie ein Sprecher der Downing Street unterstrich, der „roteste aller roten Teppiche“, den man ausrollen konnte. Der Staatsbesuch der Queen ist jetzt die Krönung dieser Charmeoffensive. Wie sich die Bilder gleichen: Schon vor 50 Jahren, als Elizabeth erstmals nach Deutschland kam, ging es um Europa. Damals war der politische Subtext das Bemühen der damaligen Labour-Regierung, sich um die Aufnahme in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft zu bewerben. Ein vorheriger Versuch war am Veto Frankreichs gescheitert. An den Machtkonstellationen hat sich auch in einem halben Jahrhundert wenig geändert. Wenn es um deutsch-britische Annäherungen geht, kommt immer die Achse Berlin-Paris ins Spiel. Die Geschichte der gegenseitigen Staatsbesuche ist zugleich eine Geschichte der deutsch-britischen Beziehungen. Als Bundespräsident Theodor Heuss 1958 die junge Bundesrepublik in London repräsentierte, waren die Wunden des Weltkriegs noch nicht vergessen. Heuss machte sich keine Illusionen, als er mit der Queen in der Staatskutsche zum Buckingham Palast fuhr und die Briten freundlichen Beifall klatschten. „Achtzig Prozent davon galt der Queen, zehn Prozent den Pferden“, meinte Heuss hinterher, „und zehn Prozent kamen von den deutschen Touristen.“ Immerhin konnte sein späterer Amtskollege Richard von Weizsäcker nach einem Staatsbesuch 1986 berichten: „Das Verhältnis zwischen unseren beiden Ländern ist so gut geworden, dass die Königin mich sogar ihren Pferden vorstellte.“ Der Wendepunkt in den bilateralen Beziehungen war 1965 erreicht worden, als die Queen erstmals Deutschland bereiste. Sie wurde begeistert aufgenommen, elf Tage lang dauerte ihr Staatsbesuch. Es war seit 1913 die erste offizielle Visite eines Mitglieds des britischen Könighauses gewesen. Zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges symbolisierte sie die Wiederversöhnung zwischen beiden Ländern. Für Elizabeth war es eine Gelegenheit, ihre deutschen Wurzeln zu entdecken. In Hannover studierte sie den Brief, der ihren Vorfahren, den Kurfürsten Georg Ludwig, einlud, König von England zu werden. Und Prinz Philip konnte der Queen das Heimatland seiner Familie, derer von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, nahebringen und all die Orte zeigen, wo er seine Kindheit verbracht hatte. Ein weiterer Markstein war der Staatsbesuch 1992, als Elizabeth das wiedervereinigte Deutschland besuchte und die Neuen Länder bereiste. Ihre Auftritte in Berlin, Leipzig und Dresden wurden umjubelt, obwohl in der sächsischen Hauptstadt auch Buhrufe zu hören waren, als sie die Stadt besuchte, die von den Briten im Weltkrieg bei einem Flächenbombardement größtenteils zerstört worden war. Zwar sprach die Monarchin „das furchtbare Leiden auf beiden Seiten“ an, doch manchen war das zu wenig: Man wollte eine Entschuldigung hören. Doch dazu kam es nicht und wird es auch diesmal nicht kommen. Denn für die Briten gibt es eine feine Grenze zwischen Bedauern und Entschuldigung. Für viele symbolisiert Dresden zwar den Bomben-Horror und steht für eine, wie es der Historiker Frederick Taylor formulierte, „unentschuldbare Sache, die unsere Väter im Namen der Freiheit und Menschlichkeit unternahmen: eine schöne und vor allem unschuldige Stadt zerstört zu haben“. Dennoch ginge ein „sorry“ zu weit. Denn das würde in britischen Augen den heroischen Freiheitskampf gegen Nazideutschland in Frage stellen. Stattdessen wird die Queen diesmal das Konzentrationslager Bergen-Belsen besuchen. Bergen-Belsen wurde von britischen Soldaten befreit und steht im Königreich wie kein anderes für das Grauen des Holocaust, der Verfolgung und Ermordung von etwa sechs Millionen Juden. Die Queen hat bei diesem Staatsbesuch den Wunsch geäußert, mit möglichst vielen „normalen“ Bürgern ins Gespräch kommen zu können. Das wird sich wohl in Grenzen halten, aber mindestens vier „normale“ Deutsche sind eingeladen worden, zusammen mit ihr auf einer Gartenparty des Botschafters Sir Simon McDonald zu feiern. Man muss nicht zu nervös werden, wenn man das Glück haben sollte, ihr vorgestellt zu werden. Elizabeth hat die Kunst des Small Talk ein Leben lang verfeinert und versteht sich darauf, eine ungezwungene Atmosphäre zu schaffen. Und einen trockenen Humor hat sie auch. Als die Monarchin einmal allein und inkognito in einem Geschäft in Sandringham war, zupfte eine Frau sie am Ärmel und sagte zu ihr: „Wissen Sie, Sie sehen genauso aus wie die Queen.“ Elizabeth drehte sich um, lächelte strahlend und sagte: „Oh, wie beruhigend!“ Und als einmal bei einem Empfang das Handy eines Gastes ständig klingelte und ihre Gesprächspartnerin verzweifelt versuchte, dies zu ignorieren, sagte die Queen zu ihr: „Sie sollten rangehen. Vielleicht ist es jemand Wichtiges. “

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