Panorama Abschied vom Überfluss

Selfie als Skulptur: Die Firma Doob produziert 3D-Figuren von realen Menschen.
Selfie als Skulptur: Die Firma Doob produziert 3D-Figuren von realen Menschen.

«New York.» Jumbo-Packungen und ein Jumbo-Lebensstil galten in den USA lange als Maß aller Dinge. Vereinzelt sehen heute jedoch auch Amerikaner ein, dass weniger oft mehr ist. Einige befreien sich vom Ballast, schätzen das Leben im Kleinen und feiern Miniaturformen.

Größere Autos, größere Häuser, größere Portionen: „Bigger is better“ heißt es oft in den USA, wo Konsum und Überfluss gern buchstäblich groß geschrieben werden. Selbst Singles greifen im „Superstore“ gern zu Familienpackungen, SUV-Geländewagen wirken mitunter wie Monstertrucks und Einkaufszentren können Kleinstädten gleichen. Trotzdem gibt es US-Amerikaner, die einen verkleinerten und verschlankten Alltag zu schätzen lernen. Sie leben in kompakten Häusern, verabschieden sich vom Überfluss und predigen Minimalismus. Einige fertigen winzige Versionen von Alltagsgegenständen, Haustieren oder sich selbst an und bilden ihr Leben spielerisch im Kleinen ab. Bei Joshua Fields Millburn und Ryan Nicodemus kam die Unzufriedenheit schleichend. „Karrieren mit sechsstelligen Gehältern, Luxusautos, übergroße Häuser und der ganze Kram, der jede Ecke unserer konsumgetriebenen Leben verstopft.“ Das habe sie einfach nicht glücklich gemacht, schreiben die beiden auf ihrer Webseite. „Es brachte nur mehr Schulden, Stress, Beklemmung, Angst, Einsamkeit, Schuld, Überwältigtsein, Depression.“ Mit Büchern, einem Podcast und einer Netflix-Dokumentation sind Millburn und Nicodemus zu Propheten eines von Überfluss befreiten Lebens geworden. Ähnlich begründen Bewohner sogenannter „Tiny Houses“ ihren Umzug. Sie reduzieren ihren Hausrat für ein Leben auf kleinstem Raum auf das Wesentliche. „Größe ist nicht alles“, schreibt das Homestyle-Magazin „Country Living“ und verspricht ein „einfacheres, aber erfüllteres Leben“. Die Architektur-Webseite ArchDaily nennt Mini-Häuser eine „Quelle für Freiheit“. Deren Anteil am Häusermarkt ist zwar immer noch verschwindend gering und die durchschnittliche Häusergröße steigt seit Jahrzehnten. Verherrlicht werden Kompakthäuser in TV-Sendungen wie „Tiny House, Big Living“ und „Tiny House Hunters“ trotzdem. Nicht allen fällt die Verschlankungskur leicht. Marktforschern zufolge zahlt jeder elfte Amerikaner umgerechnet rund 80 Euro im Monat, um persönliche Dinge langfristig in Lagerhallen zu verstauen. Das Geschäft mit der Gewissheit, sich von alten Möbeln, alter Kleidung oder der Ski-, Surf- und Kletterausrüstung nicht trennen zu müssen, bringt jedes Jahr einen Umsatz von 38 Milliarden Dollar (33 Milliarden Euro). 50.000 Einrichtungen für das sogenannte „Self Storage“ gibt es einem „Bloomberg“-Bericht zufolge landesweit. Auf XXS schwören sogenannte „Miniacs“, die noch kleiner basteln als viele Modellbauer in Europa. In ihren mikroskopischen Welten sind Chipstüten und Kaffeebecher so groß wie Cent-Münzen, realistisch aussehende Laptops haben Dimensionen eines Streichholzheftchens und Bücher passen auf Fingerkuppen. Den „Miniacs“ geht es wie deutschen Modellbauern häufig darum, sich in großen Fantasiewelten auf kleinem Maßstab verlieren zu können. Selbst den Lebenspartner oder den besten Freund kann man heute als Miniatur anfertigen lassen. In der New Yorker Filiale des deutschen Unternehmens Doob fühlt man sich an den Film „Downsizing“ erinnert: Bis zu zehn Zentimeter klein stehen die 3D-Figuren aufgereiht – Ehepaare, Kollegen und Familien. Kunden wollten damit besondere Momente im Leben festhalten, sagt Sprecherin Rosalin Siv. Sie müssen dafür lediglich in einer Fotokabine posieren. Dann lösen 56 synchronisierte Kameras gleichzeitig aus, bevor eine Software die Bilder zum 3D-Modell verknüpft. In den USA bleiben „Miniacs“ und Minimalisten aber die Ausnahme. Denn Amerikaner akzeptierten Größe nicht nur, sie verherrlichen sie. Supermärkte in den USA führen heute im Schnitt 40.000 Produkte mehr als vor 20 Jahren. Wer in diesem Überfluss aufwächst, lebt ihn ziemlich sicher auch den eigenen Kindern vor.

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