Kultur Machenschaften zwischen Moral und Macht

Fronten prallen aufeinander: Bürgermeister Peter Stockmann (Jan Henning Kraus, links) attackiert seinen Bruder Thomas (Stefan Ki
Fronten prallen aufeinander: Bürgermeister Peter Stockmann (Jan Henning Kraus, links) attackiert seinen Bruder Thomas (Stefan Kiefer).

Ein echter Reißer ist Henrik Ibsens „En folksfiende – Ein Volksfeind“. Obwohl das Drama nun schon 136 Jahre, unzählige Inszenierungen und etliche Verfilmungen auf dem Buckel hat, könnte der Inhalt kaum frischer, kaum aktueller sein. Denn es ist ein Umweltthriller, der in unseren Tagen spielen könnte. Noch dazu inszeniert Pfalztheater-Schauspieldirektor Harald Demmer den Text sehr heutig und spannend zugleich. Ein fesselnder Theaterabend bis zum Schluss.

Die Geschichte des ungleichen Brüderpaares Peter und Thomas Stockmann ist im Grunde schnell erzählt: Ersterer ist Bürgermeister eines Kurstädtchens mit prosperierendem Heilbad. Letzterer ist Kurarzt und hat herausgefunden, dass das Wasser des Bades verseucht ist. Es entwickelt sich ein Kampf, der typisch für menschliches Handeln bis in unsere Tage ist: Der Arzt will aufdecken, an die Öffentlichkeit mit seinem Wissen, der Politiker fürchtet um Einnahmen, Arbeitsplätze und den Wohlstand der Gemeinde. Er setzt auf altbewährte Strategien wie Ignorieren, Aussitzen, Herunterspielen und, wenn das alles nicht mehr hilft, auf Intrigen und Erpressung. In diesem Spiel zwischen Haltung und Verworfenheit mischt auch die örtliche Zeitung auf unselige Weise mit. Das Volk erscheint als verführbare Masse – eine kräftige Portion Demokratiekritik scheint an diesem Punkt herauf. Am Ende siegt, wie soll es anders sein, die herrschende Klasse in Person des Politikers, der jedoch alle Mechanismen seines manipulativen Machtapparates ausschöpfen musste, um den rebellischen Bruder ins Abseits zu stellen. „Wie überall hat in unserer Stadt das Geld das Sagen“, bringt ein Zeitungsmann Ibsens Kapitalismuskritik resigniert auf den Punkt. Längst ist auch die politisch gelenkte Presse von dem unbequemen Rebellen abgerückt, wie auch die Bürger, die ihn anfangs mit großer Euphorie unterstützt hatten. Nur seine Familie und ein apolitischer Seemann halten noch zu ihm. „Was nutzt Dir das Recht, wenn Du keine Macht hast?“, stellt Katrin, die Frau des Arztes, entmutigt fest. Am Ende verliert der vereinsamte Kämpfer, gefangen in seinem Furor dem durch und durch korrupten System gegenüber, jeglichen Realitätssinn. Er verabschiedet sich aus der Gesellschaft und flüchtet in Wahnvorstellungen und Allmachtsfantasien. Diesen Leidensweg schildert das Schauspielensemble mit großer Empathie. Allen voran liefert Stefan Kiefer als Arzt eine überzeugende Leistung ab. Großartig, wie er sich in seine Figur hineinversetzt, wie er die Gefühlszustände zwischen Triumph und Aufbegehren herausstellt. Dass er darüber hinaus die Ambivalenz der Rolle, die schließlich auch ein gewisses Machtstreben impliziert, heraufscheinen lässt, macht aus seinem guten Spiel ein herausragendes. Aber auch die anderen Figuren sind glänzend besetzt: Aus dem elfköpfigen Ensemble, erweitert um die Statisterie des Pfalztheaters und eine Band des Albert-Schweitzer-Gymnasiums, seien stellvertretend Jan Henning Kraus als windiger, bisweilen schmieriger Politiker, Rainer Furch als angepasst-biederer Druckereibesitzer und Funktionär sowie Aglaja Stadelmann als mitfühlende und gleichzeitig realitätsverhaftete Arztgattin genannt. Schon das Einbeziehen der erstaunlich souverän auftretenden Schulband als Auftakt einer Bürgerversammlung und in deren Verlauf des Publikums als Wahlvolk zeigt das Geschick, mit dem Schauspielchef Demmer den Stoff vermittelt. Vor allem nach der Pause gewinnt seine Inszenierung eine Dynamik, der man sich nicht entziehen kann. Nach gut zweieinhalbstündiger Spieldauer (mit Pause) bleibt der Zuschauer gebannt zurück angesichts der Deutlichkeit, mit der die ewigen Menschheitsfragen um Macht und Moral vorgeführt werden. Demmer präsentiert sich dem Publikum mit diesem „Volksfeind“ ein weiteres Mal als trefflicher Geschichtenerzähler, der keine Schockeffekte braucht, sondern den Stoff einfühlsam, mit Augenmaß und dennoch eindringlich rüberbringt. So entstehen auf der variablen, Guckkasten-artigen Bühne (Oliver Kostecka) plastische Szenen, die sowohl ein jüngeres Publikum als auch erfahrene Theatergänger fesseln können – eine Doppelkodierung im besten Wortsinne. Dass Stück wie Inszenierung das Publikum heftig zum selbstkritischen Nachdenken anregen und dazu, Bezüge zum eigenen Umfeld herzustellen, macht diesen Theaterabend so wertvoll. Termine —21., 23. März, 5., 10., 16., 20., 27. April, 5. Mai, 1., 14. Juni, 19.30 Uhr, im Großen Haus —Karten unter Telefon 0631/3675-209 und online unter www.pfalztheater.de.

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