Kultur Hans und der sächsische Cowboy

Dankbar: Joaquin Phoenix und Udo Kier.
Dankbar: Joaquin Phoenix und Udo Kier.

„Eigentlich hasse ich Filmfestivals“, sagt Joaquin Phoenix, der in Berlin Wettbewerbsgast mit „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ ist. Über die vorhersehbaren Journalistenfragen (wie hat er sich vorbereitet, wie setzt er das Stilmittel des Schweigens ein?) hat er sich in der Pressekonferenz vorher schon amüsiert – aber nicht herablassend, sondern gutmütig und entwaffnend selbstironisch. Ursprung des Sinneswandels des als sehr eigenwillig geltenden US-Schauspielers: Sein Regisseur hatte ihn abends zuvor mit ins Berlinale-Projekt „Talents“ genommen, wo junge Filmemacher gecoacht werden. „Das war so schön, die engagierten jungen Leute zu treffen, und meine erste richtige Festivalerfahrung. Ich glaube, ich mag Filmfestivals nun doch“, erklärt Phoenix ungewohnt weich. In „Don’t Worry, He Won’t Get Far On Foot“ spielt er den Cartoonisten John Callahan: einen gelähmten Alkoholiker, der trocken wird, und dankbar ist, die Sucht bekämpft zu haben. Phoenix war daher wie Udo Kier, der eine kleine Nebenrolle spielt, gefragt worden, ob auch er für etwas dankbar sei. Kier nutzt die Vorlage: „Ich bin einfach froh, noch am Leben zu sein.“ Der 73-Jährige bringt die Filmwelt zwar schauspielerisch nicht weiter – bei Van Sant hat er nur eine Szene als Alkoholiker „Hans“, der von seiner Katze Fifi erzählt, und im italienischen Wettbewerbsfilm ist er ein hartherziger Pferdeschlachter –, aber für einen dramatischen Auftritt ist er immer zu haben. Was einen guten Schauspieler ausmacht, ist ohnehin umstritten. Meinhard Neumann zumindest sieht schon mal aus wie ein Filmstar: Cowboyhut, knallrotes Hemd, Boots in der gleichen Farbe, dazu eine weiße Jacke. Wobei: Der buschige Schnauzer und das zerfurchte Gesicht irritieren ein wenig. Und der starke sächsische Dialekt: Der 49-Jährige hat Straßenbauer gelernt, als Schausteller und Trödelverkäufer auf Märkten gearbeitet, wo ihn Regisseurin Valeska Grisebach entdeckte. Und für „Western“ besetzte. Für seine Darstellung eines Bauarbeiters auf Montage im wilden Osten, in Bulgarien, bekam es nun im Berlinale-Umfeld den Preis der deutschen Filmkritik als bester Schauspieler. Eine durchaus umstrittene Entscheidung. Zwar trägt er den Film, der auch 2017 beim Festival des deutschen Films in Ludwigshafen gewann. Und doch ist ein Schauspielpreis für einen Laien ein Affront für ausgebildete Schauspieler und kann eine Bürde für den Prämierten sein. Gerade ist Nazif Mujic gestorben, der Roma, der im bosnischen Berlinalefilm „Aus dem Leben eines Schrottsammlers“ (2013) sich selbst spielte: einen verzweifelten Familienvater ohne Krankenversicherung, dessen Frau eine dringende Behandlung benötigte. Leider ließ Filmemacher Danis Tanovic das verstörte Paar, das noch nie mit dem Filmgeschäft zu tun hatte, sein Schicksal selbst nachstellen. Schauspiel war das nicht. Doch Mujic bekam den Darsteller-Bären, hoffte auf eine Filmkarriere. Der Diabetiker zog nach Deutschland, wurde jedoch abgeschoben, verschuldete sich, sein Leben entglitt ihm. Meinhard Neumann wiederum wirkt deutlich gefestigter, auch wenn er über seine Cowboymontur sagt: „Ach, ich laufe auch privat manchmal so rum.“ Dennoch ist der Preis der deutschen Filmkritik für ihn eine Irritation, auf der Bühne wirkt er schüchtern. Wobei Profi Naomi Achternbusch, als beste Schauspielerin für „Blind & Hässlich“ von Tom Lass geehrt, bei der Filmkritiker-Ehrung mindestens ebenso nervös war. „Nicht den Preis vergessen“, musste die Moderatorin ohnehin etlichen Prämierten mit auf den Weg geben.

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