Kultur „Die radikale Gleichschaltung hat zugenommen“

Stefan Pohlit wartet auf seine finanzielle Entschädigung, um wieder nach Deutschland zurückkehren zu können.
Stefan Pohlit wartet auf seine finanzielle Entschädigung, um wieder nach Deutschland zurückkehren zu können.

Der aus Neustadt stammende Musikdozent und Komponist Stefan Pohlit arbeitete seit 2012 an der Technischen Universität (TU) in Istanbul. Als deren Rektorenposten mit einem AKP-nahen Wissenschaftler besetzt wurde, begannen die Schikanen gegen den Wissenschaftler, die 2014 in einer fristlosen und unbegründeten Kündigung gipfelten. Pohlit klagte dagegen – und bekam Recht. Allerdings wartet er noch auf die Auszahlung einer Entschädigung, die er braucht, um mit seiner kurdischen Frau nach Deutschland zurückkehren zu können. Per Mail haben wir uns mit Pohlit über seinen Fall unterhalten.

In der Pressemitteilung ist die Rede von Schikanen, die dann schließlich in der Entlassung mündeten. Wie wurden Sie schikaniert?

Es fing an mit der Behauptung, dass Ausländer im Konservatorium nicht über einen eigenen Raum verfügen dürfen. Danach wurde mir verboten, meinen akademischen Titel zu gebrauchen (Yardımcı Doçent = Assistant Professor). Hinzu kamen die Überstunden, mit denen ich 2014 schließlich der meistbeschäftigte Lehrer war, ohne zu wissen, dass ich dafür gar nicht bezahlt wurde. Auf meinen Einspruch hin erfolgten Entlassungsdrohungen. Obwohl ich der einzige Komponist mit einer internationalen Karriere war, wurden mir lediglich Gruppenkurse zugeteilt, die eine immense Vorbereitung verlangten. Ich wurde deswegen häufig an der Stimme krank. Was wurde Ihnen überhaupt konkret vorgeworfen ? Wie haben Sie das System gegen sich aufgebracht? Ab 2014 versuchte ich, herauszufinden, wie viele Wochenstunden mein Vertrag maximal vorschrieb. Nachdem sich die Direktion des Konservatoriums wiederholt geweigert hatte, mich zu einem vertraulichen Gespräch zu empfangen, vermittelte mir ein Freund einen Termin beim Generalsekretär der TU. Bei diesem Treffen war zufälligerweise auch der Rektor anwesend. Der versprach, meine Abteilungsleitung daraufhin zu ermahnen. Wie wurde die Entlassung nach Außen verkauft? Obschon ich mich auf dem Haupt-Campus lediglich über meine Pflichten erkundigt hatte, legte das Konservatorium meinen Besuch als hinterhältige Beschwerde aus. Ab Sommer 2014 versuchte die Konservatoriumsleitung, mir meinen akademischen Titel abzuerkennen. Auch wurde ich trotz der großen Ferien dazu genötigt, an einem Morgen auf dem Campus zu erscheinen und eine offizielle Abmahnung zu unterschreiben, die mich beschuldigte, mit meinen Studierenden und meinen Vorgesetzten im Clinch zu sein, nicht anständig Türkisch zu sprechen und meinen Unterricht gegen den Willen der Abteilung zu gestalten. Anschließend wurde ich binnen weniger Stunden aus dem Abteilungsgebäude verwiesen und musste für jede einzelne Unterrichtsstunde neue Anträge stellen, um überhaupt einen Raum zu erhalten. Die Abteilungsleitung legte ihren Verweis im doppelten Sinne aus und behauptete, dass ich nicht zur Arbeit erscheine. Zuletzt folgte ein Untersuchungsausschuss, der mich von allen Vorwürfen freisprach, mich aber dennoch mit einer offiziellen Rüge belegte. Ende 2014 empfing mich noch der Direktor des Konservatoriums und erklärte mir, dass ich als Ausländer lediglich über den Status eines Saisonarbeiters verfüge und mir jederzeit fristlos gekündigt werden könne. Vor Gericht wurde die Entlassung (erfolglos) mit den genannten Vorwürfen begründet. Alle Schikanen waren am Ende nur ein Versuch, mich selbst zum Ausscheiden zu motivieren, weil meine Stelle ab 2013 als unkündbar galt. Von der Entlassung erfuhr ich selbst erst im Januar 2015. Die Konservatoriumsleitung behauptet zwar, mich informiert zu haben; weil solch eine Nachricht aber nicht vorliegt, ist sie juristisch in eine Falle getappt. Was war die Reaktion von Kollegen, Studenten, den Medien und der Bevölkerung vor Ort? Kam Unterstützung aus Deutschland? Bei meinen Studierenden war ich sehr beliebt. Viele besuchten meine Kurse explizit, um mit mir zu arbeiten. Gerade deswegen protestierten viele Studierende und reichten eine Unterschriftenliste zu meiner Unterstützung ein. Meine Versuche, den Generalsekretär der TU abermals zu erreichen, blieben erfolglos. (Offenkundig hatte man sich über mein Schicksal geeinigt.) Ich suchte auch die Hilfe einflussreicher Freunde, aber am Ende wollte niemand etwas tun. Welche Stimmung herrscht an der TU heute? Ist der Lehrkörper vollständig „gesäubert“, die Hochschule gänzlich auf Regierungslinie? Werden auch Studierende schikaniert? Die früher bedeutende linke Studentenszene der TU ist inzwischen zum Schweigen gebracht. Dafür formieren sich vermehrt Islamisten, beispielsweise mit dem Wunsch, eine Moschee auf dem Haupt-Campus zu errichten. Was mich selbst betrifft, bin ich als Ausländer zur Neutralität verpflichtet und habe mich bis auf Umweltschutz nie in die örtliche Politik eingemischt. Ich bewundere den Mut all jener Studierenden, die mich unterstützt haben. Die Konservatoriumsleitung bedrohte sie mit Schulverweis, und einige wurden offen beschimpft. Im Konservatorium herrschte schon zu meiner Zeit überall die Angst, denn jeder wusste, dass man als Zielscheibe dieser Politik allein stehen würde. Das etablierte Lehrpersonal scheint dagegen nichts zu befürchten: Von Haus aus steht das Konservatorium für Türkische Musik der nationalistischen Rechten nahe, und viele haben sich zur Sicherheit einfach ein wenig mehr in Richtung der AKP positioniert. Dennoch wurden zahlreiche Lehrbeauftragte entlassen und reichten eine Sammelklage ein, worauf, soweit ich weiß, alle wieder eingestellt wurden. Wurden Sie nach der Entlassung weiter drangsaliert? Über die Jahre hatte ich ja der TU bedeutende Projekte vermittelt, war aber nie in ihre Programmplanung einbezogen worden. Noch unglaublicher ist, dass mich ab 2014 all meine Weggefährt(inn)en, Türken, Deutsche, Amerikaner, im Stich ließen. Deutsche Kollegen rieten mir sogar dazu, möglichst nicht darüber zu sprechen. Meine wichtigsten beruflichen Kontakte in Deutschland kündigten mir das Vertrauen. Ein Schweizer Ensemble, dem ich zu einer Kooperation mit der TU verholfen hatte, schloss mich aus demselben Projekt einfach aus – und das, obwohl man sich darin als „Sprachrohr“ der Gezi-Proteste verkauft. Das Generalkonsulat Istanbul reagierte überhaupt nicht. Auch meine Bewerbungen an deutschen Hochschulen blieben wegen der vielen offenen Fragen aussichtslos. Hat je jemand versucht, Sie einzuschüchtern, als feststand, dass Sie gegen Ihre Entlassung prozessieren würden? Meine Bewerbungen in Izmir wurden immer wieder aus mysteriösen Gründen abgewiesen. Nach dem 14. Februar beschwerte sich die TU über einen Eintrag auf der Website einer interkulturellen Konferenz in Samsun, zu der ich eingeladen war. Kurz darauf wurde das neue Werk, das ich auf Anfrage für das dortige Konzert eines bekannten internationalen Ensembles komponiert hatte, aus dem Programm gestrichen. Letzte Woche sah ich mich gezwungen, meine Teilnahme abzusagen. Wurde das Urteil höchstrichterlich gefällt? Kann es noch kassiert werden? Die TU wird nun das Urteil anfechten. Dann gelangt es in die höchste Instanz. Mein Anwalt, Bora Beller, versichert, dass es sich auf Basis der Rechtslage nicht ändern wird; aber wir wissen natürlich nicht, ob man es nicht dennoch über politische Wege einfach heimlich zu kippen versucht. Deswegen wollen wir die Nachricht möglichst weit verbreiten, damit solch ein Eingreifen nicht unbemerkt geschehen kann. Wo hat Ihr Anwalt argumentativ angesetzt? Warum war dies angesichts vieler früherer Klagen anderer Betroffener die erste, die zum Erfolg führte? Diese Frage wird Bora Beller derzeit rund um die Uhr gestellt: Wieso hat ein Ausländer das geschafft, was bisher niemandem geglückt ist? Wir haben einfach alle schriftlichen Dokumente vorgelegt, die meine Vertragsbasis, meine Überbeschäftigung und die Kündigung ohne Benachrichtigung einwandfrei belegen. Das Mobbing haben wir nicht einbeziehen können, dafür aber das Transkript aus dem Untersuchungsausschuss vom November 2014 und meine Verteidigung. Daraus konnte die Richterin ersehen, was die Direktion bezweckte. Mein Vertrag war auf zehn Wochenstunden ausgelegt. Mein Anwalt argumentiert, dass sich die Universität mit mir auf ein entsprechendes Gehalt geeinigt hat und dass Überstunden eine entsprechende Aufstockung erfordern. Daraus errechnet sich schon eine Entschädigung von über 60.000 Lira (etwa 12.000 Euro). Unser größtes Glück hatten wir mit der Entscheidung unserer ersten Richterin, die uns ins Arbeitsgericht verwies – nicht ins Amtsgericht, wo die Staatsbehörden ihre Beziehungen leichter geltend machen. Was bedeutet das Urteil aus Ihrer Sicht für andere Betroffene? Ich nehme an, dass die Richterin ein Exempel statuieren wollte, weil das Personal an türkischen Hochschulen laut meinem Anwalt häufig ausgebeutet wird. Der Artikel in der Zeitung „Hürriyet“ hat landesweit für Aufsehen gesorgt. Es ist der erste gerichtliche Sieg eines Privatklägers gegen eine türkische Staatsbehörde und könnte meinen Anwalt berühmt machen. Das betreffende Syndikat (dem ich als Ausländer nicht beitreten durfte) triumphiert, weil damit als Präzedenzfall künftigen Klagen der Weg frei steht. Zahlreiche Menschen haben mich deswegen angeschrieben – auch Ausländer, die Ähnliches erlitten haben wie ich. In der TU könnte die Niederlage zu politischen Konsequenzen führen. Wie lässt sich die Situation von Künstlern und Akademikern unter Erdogan beschreiben? Wie verändert das „System Erdogan“ die türkische Musikwelt? Der Revisionismus ist überall zu spüren. Eine Wiederentdeckung religiöser Traditionen ist ja noch nichts Schlimmes, und Erdogan ist nur ein Aspekt der türkischen Identitätskrise. Das Umfeld der osmanisch-türkischen Musik war immer islamischer als das der Konservatorien nach westlichem Vorbild. Leider wächst auch dort der Nationalismus. In diesen vom Sufismus geprägten Zirkeln bin ich ja früher aus- und eingegangen. Die radikale Gleichschaltung hat erst mit den Gezi-Protesten sichtbar zugenommen. Damals bekannten sich erstmals beliebte TV-Stars zu Erdogan, während an den Hochschulen die Entlassungen begannen. Mittlerweile sind alle Kunst- und Musikakademien von der Schließung bedroht, während Eltern kaum noch frei entscheiden können, ob ihre Kinder eine allgemein bildende oder eine Islam-Schule besuchen. | Interview: Frank Pommer

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