Kultur Der Mythos einer abenteuerlichen Expedition

Medea hält mordbereit das Schwert: Wandgemälde aus der Villa Arianna in Stabiae (1. Jahrhundert).
Medea hält mordbereit das Schwert: Wandgemälde aus der Villa Arianna in Stabiae (1. Jahrhundert).

Sie greift zum Schwert, sie tötet die eigenen Kinder. Ein größeres Verbrechen kann man sich kaum vorstellen. Die Geschichte der kolchischen Königstocher Medea und die mit ihr verbundene Argonautensage gehören zu den ganz großen Mythen der klassischen Antike. Das Frankfurter Museums Liebieghaus spürt ihm in einer ebenso gelehrten wie glanzvollen Ausstellung nach.

Dass das für seine außerordentliche Fruchtbarkeit und seinen Goldreichtum berühmte antike Kolchis auf dem Staatsgebiet des diesjährigen Buchmessen-Gastlandes Georgien lag, war für das Liebieghaus wohl nicht viel mehr als ein willkommener Anlass, das große Pfauenrad wissenschaftlicher Kompetenz zu entfalten. Vinzenz Brinkmann, Kurator der Ausstellung und Sammlungsleiter der Antikensammlung am Liebieghaus, ist darin der unbestrittene Meister. Das ist gar nicht polemisch gemeint, denn präziser und visuell einleuchtender lässt sich ein Thema wie „Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“ kaum bebildern. Wie schon in Brinkmanns „Athen“-Ausstellung verbinden sich die lineare Erzählung der Ausstellungsstücke und die im Katalog niedergelegten Forschungsergebnisse. Einerseits Schwabs Griechische Heldensagen für Erwachsene, andererseits die neuesten Ergebnisse wissenschaftlicher Kärrnerarbeit. Erzählt wird der Mythos einer abenteuerlichen Expedition und einer verhängnisvolle Liebe in zehn Sälen. Es geht um Eroberungslust, Gier nach Gold und Macht, um den Ruhm des Kriegers und Ruhm und eine Amour fou, die an der Untreue des Mannes zuschanden wird – ein auf die griechische Sagenwelt hochgerechnet fast klassisches Schicksal, das auch Medeas in Frankfurt durch die hauseigene Marmorskulptur Danneckers vertretende Kusine Ariadne erleidet, bevor der Gott Bacchus die Verstoßene zu seiner Gemahlin erhebt. Zu Beginn berichten eine rotfigurige Schale, ein melisches Relief mit der im Damensitz reitenden Helle, ein Mosaik aus Stabiae und ein Wandgemälde aus Pompeji von den Geschwistern Phrixos und Helle, die auf einem fliegenden Widder mit goldenem Fell der Wut ihrer Stiefmutter entfliehen. Das Mädchen stürzt ab und ertrinkt im Meer, das fortan seinen Namen trägt: Hellespont, Meer der Helle. In Kolchis angekommen, wird das sagenhafte Tier auf Befehl der Götter dem Zeus geopfert; sein goldenes Fell schmückt fortan den Wald im Heiligtum des Kriegsgottes Ares. Das weckt Begehrlichkeiten. Und so macht sich Jason mit seinen Gefährten von Thessalien aus auf, um das berühmte Fell nach Hause zu bringen. Den Auftrag dazu bekommt er von seinem Stiefonkel Pelias, der Jasons Vater vom Thron stieß und nun die Rache des Sohnes fürchtet, der ihm mit nur einer Sandale entgegentritt. Vor so einem, war ihm geweissagt, habe er sich in Acht zu nehmen. Ein fabelhaftes Wandgemälde aus dem „Haus des Jason“ in Pompeji fixiert den Augenblick seines abgrundtiefen Erschreckens. Heuchlerisch stellt Pelias Jason die Herrschaft in Aussicht. Gegen Übergabe des Goldenen Vlieses, versteht sich. Hera, Aphrodite und Athene unterstützen den als unmöglich geltenden Raubzug. Auf einem römischen Tonrelief aus dem Britischen Museum sieht man Herakles als Helfer beim Bau des Wunderschiffes „Argo“, Athene befestigt eigenhändig das Segel, der Schiffsbauer Argos arbeitet am Bugholz, das der sprechenden Eiche des Zeus entnommen wurde. Während der Fahrt wird es zu den Argonauten sprechen und ihnen den richtigen Kurs weisen. Die Liste der Mitreisenden an der Museumswand ist ein Who is who der griechischen Helden – darunter Orpheus der Sänger, der Seher Mopsos, die Zeussöhne Kastor und Polydeukes (Pollux). Zahlreiche Abenteuer begleiten die Expedition ins ferne Kolchis am östlichen Ende des Schwarzen Meeres. So muss Pollux, der unsterbliche der beiden Dioskurenbrüder, den Barbarenkönig Amykos im Faustkampf besiegen. Zwei als „Quirinalsgruppe“ bekannte Bronzefiguren halten den Augenblick des Sieges fest – wenn die nach vier Jahren wissenschaftlicher Arbeit von Vinzenz Brinkmann getroffene und im Katalog auf 18 Seiten diskutierte Zuordnung denn Bestand hat; wofür sehr viel spricht. Die als „experimentell“ bezeichneten Frankfurter Rekonstruktionen sind in ihrer ungeschönten Drastik erschreckend genug. Heftig blutend sitzt der blauäugige Unterlegene auf einem Stein, lässig posiert der unversehrte Sieger mit seinem Stab. Hier der Barbar, der sein Schicksal nicht fassen kann, dort der strahlende junge Held. David hat Goliath geschlagen, es ist die alte Geschichte. Bevor die Ausstellung die Geschichte vorwiegend anhand von vorchristlichen griechischen Vasenmalereien weiter erzählt, werden im zentralen Raum die kostbarsten goldenen Schmuckstücke aus dem Georgischen Nationalmuseum in Tiflis gezeigt. Kolchis war das Goldland der Antike, nirgendwo sonst wurde soviel Gold aus der Erde geholt. Auch Jason und seine Gefährten sind beim Betreten des Königspalastes von Medeas Vater Aietes geblendet von der Fülle des Goldes. Doch ohne Hilfe der in Jason blind verliebten Königstochter Medea können die Griechen das Goldene Vlies nicht gewinnen. Sie macht den Geliebten unverwundbar, ihre übermenschliche Zauberkraft versetzt den Drachen, der das Fell bewacht, in Schlaf. Sie tötet und zerstückelt den eigenen Bruder und beseitigt Pelias, indem sie dessen Töchtern weismacht, sie könnten ihren alten Vater durch Zerstückeln und Kochen in einem Kessel verjüngen, was Medea anhand eines alten Widders vormacht; aber diesmal findet der Zauber nicht statt. Zwei Söhne gebiert Medea Jason nach beider Flucht nach Korinth, wo Kreon Jason seine Tochter Kreousa und damit die Herrschaft über sein Reich anbietet. Medeas Rache ist fürchterlich, sie schickt der Nebenbuhlerin ein Gewand, das beim Anlegen in Flammen aufgeht und die junge Frau und ihren zu Hilfe eilenden Vater verbrennt. Dann tötet sie ihre Kinder mit dem Schwert. Jason soll sich der Sage nach daraufhin entleibt haben, Medea aber flieht auf dem Schlangenwagen ihres Großvaters Helios. Auf einem großartigen Wandgemälde aus Pompeji hat der unbekannte Maler den Augenblick kurz vor der Ermordung der beiden Jungen in einer fast rührend melancholisch anmutenden Weise festgehalten. Die Ausstellung „Medeas Liebe und die Jagd nach dem Goldenen Vlies“; Liebieghaus Skulpturenmuseum Frankfurt, bis 10. Februar 2019 täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. Sonderöffnungszeiten sowie Begleitprogramm unter medea.liebieghaus.de

Experiment: Diese nachgegossene Bronzestatue erinnert an Amykos, König des Volksstammes der Bebryker, den Pollux im Faustkampf b
Experiment: Diese nachgegossene Bronzestatue erinnert an Amykos, König des Volksstammes der Bebryker, den Pollux im Faustkampf besiegen muss.
Ausgeliehen aus Tiflis: eine etwa 2400 Jahre alte Zierscheibe.
Ausgeliehen aus Tiflis: eine etwa 2400 Jahre alte Zierscheibe.
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