Zweibrücken Wie ein Zweibrücker das Seefahren revolutionierte

Hermann Anschütz-Kaempfe bei Experimenten zum Kreiselkompass (links im Bild) 1925
Hermann Anschütz-Kaempfe bei Experimenten zum Kreiselkompass (links im Bild) 1925

Hermann Anschütz-Kaempfe aus Zweibrücken wollte mit dem U-Boot den Nordpol unterqueren. Deswegen erfand er einen Kompass, der ohne Erdmagnetfeld funktioniert.

Vor der Hochschule in Zweibrücken steht seit 2015 ein Denkmal auf einem Kreisverkehr. Es stellt ein Gyroskop dar. Ein Laie kann mit so einem Begriff wenig anfangen, der Begriff Kreisel fällt vielleicht. Das ist auch nicht falsch, denn das Denkmal soll an den sogenannten Kreiselkompass erinnern. Und an seinen Erfinder, Hermann Anschütz-Kaempfe. Der wurde in Zweibrücken geboren und öffnete mit seiner Erfindung ganz neue Möglichkeiten für die Seefahrt.

Ansporn Nordpol

Anschütz-Kaempfes Geschichte beginnt 1872 in Ixheim bei Zweibrücken. Sein Vater Friedrich Wilhelm Anschütz ist Lehrer für Physik und Mathematik, seine Mutter Johanna Schuler Tochter einer Zweibrücker Fabrikantenfamilie. Nach dem Tod des Vaters wird er Adoptivsohn des österreichischen Kunsthistorikers Dr. Walter Kaempfe, wie ein Zeitstrahl der Firma Anschütz angibt. Daher auch der Doppelname, der aber laut Historiker Jobst Broelmann im Alltag nie verwendet wurde. Mit diesem breiten Bildungshintergrund zieht es den Zweibrücker weit in die Welt hinaus. Er beginnt erst, Medizin zu studieren, schwenkt dann auf Kunstgeschichte um. Bis 1900 reist er dreimal in die Nordpolarregion, wie Schifffahrtshistoriker Broelmann in einem Bericht über Anschütz-Kaempfe und seine Erfindung schreibt. Der Ort fasziniert ihn, und er beschäftigt sich viel mit dem Vorhaben, den Nordpol zu erreichen. Das war bis zu dem Zeitpunkt nämlich noch niemandem gelungen.

In seinen Überlegungen geht der Zweibrücker mit viel Fantasie vor. Ein neues, zu der Zeit selbst noch unerprobtes Transportmittel soll für die Reise dienlich sein: das U-Boot. Doch damit stellt sich ein weiteres Problem ein, denn die bis dahin verwendeten magnetischen Kompasse funktionieren nicht in der geschlossenen Metallhülle des Tauchgeräts. Anschütz-Kaempfe ist nicht als Ingenieur oder Physiker ausgebildet, doch er hat eine Idee. Schon frühere Experimente hatten gezeigt, dass ein Pendel die Erdrotation sichtbar machen kann. Auch ein sich drehender Kreisel möchte seine Richtung beibehalten und bleibt, einmal eingerichtet, gen Pol gerichtet. Unter anderem die Firma Siemens hatte bereits versucht, daraus einen Kompass zu machen, war aber gescheitert, wie Broelmann in einer Recherche für das Deutsche Schifffahrtsarchiv schreibt.

David gegen Goliath

Die Entwicklung ist für den Laien Anschütz-Kaempfe dementsprechend nicht leicht. Da er über keine formale naturwissenschaftliche Ausbildung verfügt, stützt er sich nur wenig auf Theoriearbeit und experimentiert viel mehr, wie Broelmann weiter berichtet. In seinen Prototypen finden Alltagsgegenstände wie Fahrradnaben Eingang. Eine Vorführung erster Kompasse für die kaiserliche Marine im Jahr 1903 liefert zwar keinen Auftrag vom Militär, aber sie bringt weitere Geldgeber, sodass Anschütz-Kaempfe zwei Jahre später eine Firma zur Herstellung der kreiselgestützten Richtungsfinder gründen kann, wie Broelmann schreibt. Seitdem sind auch wieder andere Firmen auf den Zug des Kreisels aufgesprungen, und es gibt einen belebenden Wettkampf zwischen den Konkurrenten.

Der erste zum Navigieren verwendete Kreiselkompass aus dem Jahr 1908
Der erste zum Navigieren verwendete Kreiselkompass aus dem Jahr 1908

Anschütz-Kaempfe lässt sich davon aber nicht abschrecken, im Gegenteil: Er nutzt offene Patente, um Schwachstellen anderer zu erkennen, und versucht, sie zu lösen. Mit Erfolg: Bei einer Vorführung auf dem Linienschiff SMS Deutschland 1908 ist die Deutsche Marine überzeugt und beauftragt den Erfinder mit dem Bau mehrerer Kreiselkompasse. Noch ist das Instrument fehleranfällig. Doch durch stetige Verbesserungen, wie die Nutzung mehrerer Kreisel, wird das Gerät immer besser. Anschütz-Kaempfes Vetter Max Schuler tritt ebenfalls in die Firma ein und leistet wichtige Arbeit zur Erhöhung der Genauigkeit. Ein weiterer Helfer Anschütz-Kaempfes: Albert Einstein.

Freundschaft zu Einstein

Den lernt der gebürtige Zweibrücker bei einem Patentstreit 1915 kennen. 1904 war zwar das Patent an Anschütz-Kaempfe erteilt worden, aber nicht nur in Deutschland ist man auf die Idee gekommen, rotierende Kreisel als Kompass zu verwenden, sondern auch in den USA. Elmer Ambrose Sperry heißt der Mann, gegen den sich Anschütz-Kaempfe behaupten muss. Während des langwierigen Prozesses – den Anschütz-Kaempfe am Ende übrigens gewinnt – gibt Einstein dem Erfinder wichtige Tipps zur Verbesserung des Kompass. Es entsteht eine Freundschaft zwischen dem genialen Physiker und dem Emporkömmling aus der Pfalz. Oft schreiben sie sich gegenseitig Briefe oder besuchen einander. Briefwechsel darüber veröffentlichte unter anderem das Deutsche Museum.

Albert Einstein und Hermann Anschütz-Kaempfe
Albert Einstein und Hermann Anschütz-Kaempfe

Die Kieler Firma Anschütz & Co, die 1905 für Herstellung und Verkauf der Kompasse gegründet wurde, floriert indes, und tut das auch noch lange über den Tod von Anschütz-Kaempfe 1931 hinaus. Während der Zeit des Nationalsozialismus gibt es einen besonders hohen Bedarf an Instrumenten für Flugzeuge, welche die Firma auch herstellt – der „künstliche Horizont“ in Flugzeugen ist eine Weiterentwicklung des Kreiselkompasses. Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge fertigen Steuergeräte, unter anderem auch für V2-Raketen, wie die Historikerin Christa Geckeler für das Kieler Stadtarchiv schreibt. Nach dem Krieg baut Anschütz weiter Kreiselkompasse, ist zeitweise im Besitz der US-Firma Raytheon. Heute stellt sie unter anderem komplette Navigationssysteme für Schiffe her, und noch immer ihren Grundstein: Hermann Anschütz-Kaempfes Kreiselkompass.

1619_Pfalzgefühl_digital

Hast du die Pfalz im Blut?

Liebst du die Pfalz genauso wie wir? Gehst du gerne auf Weinfeste? Kennst du dieses Pfalzgefühl, das sich nicht beschreiben lässt, weil man es einfach erleben muss? Hier gibt es Artikel für alle Pfälzer, die die Pfalz im Herzen tragen. Für alle, die wissen, wo Hettrum, Hääschde und Harschem liegen. Und für alle, die warme Sommerabende am liebsten mit ihren Freunden und Dubbeglas in der Hand verbringen.

An dieser Stelle finden Sie Umfragen von Opinary.

Um Inhalte von Drittdiensten darzustellen und Ihnen die Interaktion mit diesen zu ermöglichen, benötigen wir Ihre Zustimmung.

Mit Betätigung des Buttons "Fremdinhalte aktivieren" geben Sie Ihre Einwilligung, dass Ihnen Inhalte von Drittanbietern (Soziale Netwerke, Videos und andere Einbindungen) angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an die entsprechenden Anbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät notwendig. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

x