Zweibrücken Noch 200 Jahre später mit Spannung erwartet

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Alle erwarten es mit Spannung: Das Urteil im Prozess gegen Jakob Philipp Siebenpfeiffer und Johann Georg August Wirth, die Organisatoren des Hambacher Festes. Auch noch fast 200 Jahre später: Das neue Stück der Zweibrücker Autoren Wolfgang Ohler und Michael Dillinger feierte am Samstag im bis auf den letzten Steh- und Treppenplatz besetzten Forum des Schlosses vor etwa 350 dicht gedrängten Besuchern seine umjubelte Premiere. Viele Interessenten konnten gar keinen Platz mehr finden.

Sicherheitshalber findet der Prozess nicht in Zweibrücken statt, dem Sitz des Appellationsgerichts, sondern in der Garnisonsstadt Landau. Und besonders im Gasthaus Ladenberger in Zweibrücken fiebern am 16. August 1833 der Abgeordnete Friedrich Schüler, der sich dem Prozess durch die Flucht nach Frankreich entzogen hatte, der Drucker Georg Ritter und der Gerichtsprotokollant Franz Xaver Gabelsberger, der Erfinder der Stenografie, zusammen mit der Wirtin Ladenberger dem Ausgang des Prozesses entgegen. Da erspäht die Wirtin die weiße Fahne, das Symbol des Freispruchs. So heißt auch das Stück. Die Einheitsbühne zeigte eine Gaststube, die in der angeregten Diskussion schnell die Atmosphäre eines Gerichtssaals beschwor, wenn die Gäste in die Rollen von Staatsanwalt und Angeklagten schlüpften und sich die wichtigsten Streitpunkte nochmals vergegenwärtigten. Haben die Angeklagten direkt und unmittelbar zum politischen Umsturz aufgefordert? Von der Antwort auf diese Frage hängt alles ab. Dabei gelang den Autoren der Spagat zwischen der fiktiven Situation im Gasthaus und der historischen Realität meisterlich; die Spannung ließ in der profilierten Personenführung von Regisseurin Silvia Bervingas nicht eine Sekunde nach und übertrug sich auch auf die Zuschauer, die gebannt dem doch eher trockenen Diskussionsthema folgten. Scheinbar naive, doch sehr stimmige Fragen der Wirtin, die Silvia Berlingas mit frecher Schnauze und urwüchsig-derbem Humor, aber dem Herz auf dem rechten Fleck im Stil von Bertolt Brechts „Mutter Courage“ verkörperte, lockerten in Slapstick-Manier die Diskussionen auf und hielten die Handlung in Gang. Sie war die Stimme des Volkes, wenn sie bei juristischen Fragen Erklärungen einforderte oder kauzige Kommentare zu schwer nachvollziehbaren Argumentationen abgab. Damit wurde sie auch zum Dreh- und Angelpunkt der dramatischen Entwicklung – eine Aufgabe, die Silvia Berlingas in ihrer Doppelfunktion als Regisseurin und Darstellerin mit schauspielerischer Bravour und Überzeugungskraft meisterte. Die Bedeutung und Tragweite dieses als „Assisenprozess“ in die Justizgeschichte eingegangenen Verfahrens wurde in den Dialogen der Akteure Friedrich Schüler (Michele Marotta), Georg Ritter (Sebastian Müller-Bech) und Franz Xaver Gabelsberger (Marc Lüders) deutlich. Zitate aus den Originalplädoyers von Siebenpfeiffer und Wirth wurden mittels des dramaturgischen Kunstgriffs eines „Spiels im Spiel“ da thematisiert; die Akteure schlüpften in die Rollen von Staatsanwalt und Angeklagten. Das politische Streitthema des Vormärz, die Forderung nach der Anwendung des französisch-napoleonischen Rechts mit seinen republikanischen Grundsätzen der Gleichheit vor dem Gesetz und der Herrschaft des Volkes wurde im mitreißenden Vortrag der Darsteller in diesen Diskussionen mit ihrer bildhaften Rhetorik wieder lebendig – und rief den Zuschauern vor Augen, dass dieser demokratische Grundsatz, der für uns heute selbstverständlich ist, hart erkämpft werden musste. Sympathiekundgebungen der Akteure wie das Lied „Die Gedanken sind frei“, das Liedermacher Eckhard Fischer als Gast zu dezenten Gitarrenklängen anstimmte, rissen auch das Publikum mit: Zuerst stimmten spontan einige Zuschauer zart-verhalten ein, dann entwickelte sich das Lied zu einer Freiheitshymne in dieser begeistert aufgenommenen Aufführung.

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