Zweibrücken Freude am volkstümlichen Schlüpferstürmer

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Wer noch nicht wusste, weshalb der Filmregisseur Josef Vilsmaier die Stimmen der Tailed Comedians für den Gesang in seinem Spielfilm über die Comedian Harmonists wählte, der weiß es spätestens seit Freitagabend. Die Tailed Comedians werden ihrem guten Ruf absolut gerecht. Sorgen bereitet aber der Gedanke, dass die Lieder und die Geschichte der Harmonists bald in Vergessenheit geraten könnten. Ein Indiz dafür: Die Zweibrücker Festhalle war bei dem Konzert am Freitag bei Weitem nicht ausverkauft.

Die Comedian Harmonists gehören zur Allgemeinbildung, wenn es um die deutsche Kulturgeschichte geht. Man muss sie kennen, wie man den Komödianten Heinz Erhardt und den Komponisten Johann Sebastian Bach kennen muss. Doch die Zugkraft der Harmonists geht wohl zur Neige. Denn in der Zweibrücker Festhalle ist beim Konzert der Tailed Comedians noch reichlich Platz. Der Balkon ist nicht einmal geöffnet. Knapp 400 Besucher finden am Vorabend zum 25. Tag der Deutschen Einheit den Weg zur Hommage der komödiantischen Helden ihrer Zeit. Und um Helden geht es ja schließlich bei der aktuellen Euroclassic-Reihe. Die Comedian Harmonists erzeugten mit ihrer leichten Muse zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Anziehungskraft, deren Magnetwirkung noch viele Jahrzehnte anhalten sollte. Ihr persönliches Schicksal war aber, dass einige von ihnen mit der Machtergreifung der braunen Brut um Adolf Hitler plötzlich als „undeutsch“ galten. Im Einzelnen ging es dabei um Erich Collin, 2. Tenor, Harry Frommermann, 3. Tenor, und Roman Cycowski. Wer ab 1934 mit dem Segen des Propagandaministers Joseph Goebbels weiter im größenwahnsinnigen Reich auftreten wollte, musste Mitglied der Reichskulturkammer sein. Diese „Ehre“ war nur Ariern vorbehalten. Dieser wichtige Aspekt der Harmonists-Geschichte wird in der Festhalle vielleicht etwas zu sehr am Rande gestreift. Im zweiten Teil des Konzerts singen und spielen die Tailed Comedians zumindest formvollendet „Der kleine Finkenhahn“, mit dem Hinweis auf das Meistersextett. Das durfte als Nachfahre der Harmonists mit den in Deutschland verbliebenen Mitgliedern weiter musizieren. Es erlangte aber nie den Status des verbotenen Originals. Wer nur peripher Kenntnis über das musikalische Schaffen der Harmonists hatte, konnte die Festhalle gut und unterhaltsam belehrt wieder verlassen. Es gab „Ich wollt’, ich wär ein Huhn“ zu hören. Oder den „Maskenball im Gänsestall“ sowie viele andere Aha-Momente wie „Veronika, der Lenz ist da“. Der Liederreigen berücksichtigte sogar Trauriges wie „In einem kühlen Grunde“. Ja, die Harmonists hatten auch ein Herz für gedämpfte Stimmungen. Man hätte auch in der Festhalle eine Stecknadel fallen hören können, so andächtig war es plötzlich. Dabei ging es an dem Abend doch mehr um Fröhlichkeit. Befeuert wurde sie mit guten, humorigen Moderationen. Da wurde der kühle Grund in der Tat als „volkstümlicher Schlüpferstürmer“ angekündigt. Eine famose Frechheit. Dabei sollten echte Schlüpfer erst viel später auf die Bühne fliegen. Das Fortwirken der gehuldigten A-cappella-Formation, die alle Töne außerhalb des Pianos mit den Stimmorganen reproduzierte, scheint aber mehr denn je von Vergessenheit bedroht zu sein. Was dem Nationalsozialismus nicht gelingen sollte, werden vielleicht Privatfernsehen, Youtube und Konsolenspiele schaffen. Seit 30 Jahren tragen die Tailed Comedians dazu bei, dass der lakonisch beißende Humor der Originale nicht in Vergessenheit gerät. Sie übertragen deren Melodien und Wortwitz in Konzertsäle und Filme. Sie moderieren ihre Konzerte wie in einem schwarz-weißen Film der 50er Jahre. Alles passt nahezu perfekt. Derzeit befinden sich die Tailed Comedians aber zumindest auf der ersten Abschiedstournee. Möge sie so lange andauern wie die Zugaben in der Festhalle. Die haben am Freitag nämlich schon ab dem vierten Lied begonnen.

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