Zweibrücken 132. Tag der Arbeit – aktuell und lokal übersetzt

Stadt und Deutscher Werkschaftsbund musste wegen der Pandemie drei Jahre auf ihre Tradition verzichten: Am Freitag kam man nun w
Stadt und Deutscher Werkschaftsbund musste wegen der Pandemie drei Jahre auf ihre Tradition verzichten: Am Freitag kam man nun wieder zum 1.-Mai-Empfang im Zweibrücker Herzogssaal zusammen.

Es ist ein Wortspiel, mit dem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) die Aufmerksamkeit wecken will: „GeMAInsam Zukunft gestalten“ ist das Kampagnen-Motto zum Tag der Arbeit 2022, dem 1. Mai. Pandemie bedingt wurden 2020 und 2021 die traditionellen, gemeinsamen 1. Mai-Empfänge von Stadt Zweibrücken und DGB abgesagt. Das Motto zog sich am Freitag, beim ersten Empfang seit drei Jahren von Betriebs- und Personalräten in Anwesenheit von Stadträten, aber wie ein roter Faden durch die Reden. Die Aktualität der mit dem 132. Weltfeiertags der Arbeit verknüpften Themen, nicht irgendwo, sondern vor Ort, im Alltag, wurde deutlich.

Oberbürgermeister: Gewerkschaften sind Stabilisatoren im System

Solidarität braucht Nähe. Ein Kernsatz des Aufrufs des DGB zum 1. Mai. Oberbürgermeister Marold Wosnitza – neben dem im vergangenen Jahr wiedergewählten DGB-Stadtverbandsvorsitzenden Ewald Preiml, Peter Vollmar von der IG Metall und Daniel Knerr von der IG Bau-Agrar-Umwelt Redner beim Empfang – stimmt dem zu. Der Austausch mit den „Experten in den Betrieben“, den Betriebs- und Personalräten, sei ihm in Zeiten des Lockdown und von Kontaktbeschränkungen oft zu kurz gekommen, nun soll die Takt und Intensität der Treffen wieder deutlich erhöht werden. Denn, genau wie die Gewerkschaften ein zentraler Bestandteil der Gesellschaft, Stabilisatoren im System seien, verbesserten die Mitarbeiter und ihre Vertreter ihre Unternehmen. Das, so Wosnitza, sei unverzichtbar für den Unternehmenserfolg, für Arbeitsplätze und letztlich auch für eine Stadt und eine Bürgergesellschaft.

OB: Im drei Jahren viel Leid und Anlass zur Freude

Wie dynamisch sich die Wirtschaft lokal verändert, erkenne man, wenn man sich einmal die Ereignisse seit dem vorherigen Mai-Empfang, 2019, vergegenwärtige. Zwischenzeitlich sei es im Zuge der Planinsolvenz zu harten Einschnitten und dem Verlust von 400 Arbeitsplätzen beim größten Arbeitgeber der Stadt, dem Mobilkranenbauer Tadano-Demag, gekommen. Man habe, so Wosnitza, zwischen der Insolvenzanmeldung im Oktober 2020 und der Gläubigerversammlung im Februar 2021 nicht sicher sein können, ob das Unternehmen überlebe. „Stand heute kann ich sagen: Tadano bleibt“, sagte der Oberbürgermeister. Die Härte, mit der die Sanierung einzelne, langjährige, verdiente Mitarbeiter, in Summe Hunderte, schuldlos traf, werde er nicht vergessen. Wichtig sei nun aber der Blick in die Zukunft. Ein bald auf eine 200-jährige Tradition mit Dingler’schen Wurzeln zurückblickendes Unternehmen, biete die Chance, dass Hunderte künftiger Facharbeiter folgender Generationen eine Gelegenheit zur Gestaltung ihrer Zukunft bei Tadano-Demag, in der Stadt und der Region, bekämen.

Oberbürgermeister Marold Wosnitza bat Betriebsräte, Gewerkschaften und Politiker über Parteigrenzen hinweg um Hilfe: „Seien Sie
Oberbürgermeister Marold Wosnitza bat Betriebsräte, Gewerkschaften und Politiker über Parteigrenzen hinweg um Hilfe: »Seien Sie Lobbyisten für die Entwicklung Zweibrückens.«

„Brauchen 30 Hektar neue Industrie- und Gewerbegebiete“

Rückschläge und Freude lägen, sagte Wosnitza, oft beieinander. Zu seiner Freude gehörten die Millionen-Investitionen, verbunden mit der Schaffung weiterer Arbeitsplätze, bei John Deere und Kubota. Mit dem Werksausbau an der Steinhauser Straße habe die Kubota-Baumaschinenfabrik genau wie John Deere mit dem gerade zu besichtigten Bau des riesigen Logistik-Zentrums an der Homburger Straße ein klares Bekenntnis zu Zweibrücken, einem der großen Standorte des Maschinenbaus in Deutschland, abgegeben. Zweibrücken sei im Fokus vieler Ansiedlungsinteressen. Zeitweise habe er als OB bei Gesprächen mit Entscheidern den Eindruck gewonnen, „dass es Brei für uns regnen könnte, wir aber keine Löffel haben“.

Wosnitza warb anlässlich des 1.-Mai-Empfangs bei den Betriebsräten wie auch bei den Gewerkschaftsvertretern in Anwesenheit des Landtagsabgeordneten Christoph Gensch (CDU) darum, auf allen Wegen und bei jeder Gelegenheit als Lobbyisten für Zweibrücken zu wirken. Die Stadt habe eine Potenzialanalyse in Auftrag gegeben, erste Ergebnisse lägen vor. „Wir haben den Bedarf von mehr als 30 Hektar zusätzlicher Industrie- und Gewerbegebiete. Wir brauchen auch Vorratserschließung, um schnell auf Anfragen reagieren zu können, um Arbeitsplätze zu schaffen“, sprach Wosnitza von einer hohen Dringlichkeit – und einer Schicksalsfrage für die Stadt.

Wosnitza verteidigt Amazon-Ansiedlung

Es brauche manchmal einen langen Atem. Zweibrückens Oberbürgermeister sprach damit die Entwicklung auf dem Industrie- und Gewerbegebiet „Am Steitzhof“ an, mit dem geplanten Ausbau des Spezialseile-Händlers Verope und der Ansiedlung eines Verteilzentrums für Großgeräte von Amazon. Ja, sagte Wosnitza, die Amazon-Ansiedlung sei umstritten, das Gebaren des Online-Handels-Riesen vielen nicht sympathisch. Mit Blick auf die große Zahl von Arbeitssuchenden ohne berufliche Qualifikation in der Westpfalz – 3000 – sei die Ansiedlung aber gut und richtig, weil sie Chancen gerade für Minderqualifizierte eröffne. „Mir ist bewusst, dass die Gewerkschaften nicht glücklich sind mit Amazon als Arbeitgeber. Hier sind noch dicke Bretter zu bohren. Aber ich bin mir sicher, dass wir erfolgreich sein werden. Die Vergangenheit zeigt das“, sagte Zweibrückens Oberbürgermeister.

Alle gesellschaftlichen Kräfte müssten aber auch gebündelt werden, um der großen, sich immer weiter verschärfenden Gefahr des Fachkräftemangels Einhalt zu gebieten. Die öffentliche Verwaltung sei zuvorderst gefragt. Mit Blick auf die von ihm geführte Stadtverwaltung, merkte Wosnitza ungeschönt an: „Wir sind kein attraktiver Arbeitgeber.“ Auch was die fehlende Flexibilität bei der Entlohnung beträfe, sei man gegenüber Privaten nicht attraktiv. Wolle man einen leistungsfähigen öffentlichen Dienst, dessen Bedeutung in der Pandemie noch einmal augenfälliger wurde, müsse sich das schleunigst ändern. Wenn private Unternehmen – und das gelte nicht nur für Ingenieure und IT-Leute – Bewerbern das Doppelte an Gehalt plus Auto plus Unterstützung etwa bei der Wohnungssuche böten, dann könne der öffentliche Dienst nur noch hoffen, einen Idealisten zu finden. Wettbewerbsfähig sei man nicht.

Ukraine-Hilfe: Zweibrücken klar positioniert

2019 habe das Kampagnen-Motto des DGB zum Mai-Feiertag „Europa - Jetzt aber richtig“ gelautet. Der barbarische Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zwinge nun jeden zu einer Positionierung, sagte der Oberbürgermeister. Das alte Europa werde es nicht mehr geben. Zweibrücken habe sich positioniert. Es stehe zusammen, es helfe, es solidarisiere sich mit der Bevölkerung der Ukraine, unterstütze mit allen Kräften, die der Stadtgesellschaft zu Verfügung stünden. Nahezu 500 geflüchtete Ukrainer habe man bisher aufgenommen. Er sei stolz, so Zweibrückens OB, wie jeder Bürger nach Kräften, großherzig helfe. Und er sei auch stolz auf die Arbeit seiner Verwaltung, die möglich mache, was möglich sei. So erfülle sich auch an dieser Stelle die Forderung der Arbeiter vor 132 Jahren: Solidarität.

IG-Metall-Bevollmächtigter: Tadano-Demag-Insolvenz war kein Ruhmesblatt

Peter Vollmar, der Zweite Bevollmächtigte der Gewerkschaft IG Metall der Verwaltungsstelle Homburg-Saarpfalz, nahm das Wort auf. Krieg in Europa und eine weltweite Pandemie erschütterten vermeintliche Gewissheiten. In der Arbeitswelt sei auch kaum noch etwas gewiss, so schnell verändere sich vieles. Im Rückblick auf die Planinsolvenz von Tadano-Demag sprach Vollmar von „unglaublichen Schmerzen“, die der Prozess für viele Familien gebrachte habe. Das Unternehmen habe einen Weg gewählt, der den Standort an den Rand des Abgrundes geführt habe. Vollmar beharrt darauf: „Das war nicht nötig.“ Beleg dafür sei, dass das selbe Unternehmen, das im Januar 2021 ein Viertel seiner Mitarbeiter, 400, vor die Tür setzte, wenige Wochen später über einen Mangel an Facharbeitern klagte. In einem Insolvenzverfahren, zumal in der von den Tadano-Oberen gewählten Form, sei die Mitwirkung der Arbeitnehmer, des Betriebsrates, beschnitten. „Hätte man auf den Betriebsrat gehört, wäre alles ganz anders gelaufen. Man wollte es nicht, und hat sich damit sicher nicht gedient“, sagte Vollmar.

Hoher Zeitdruck bei Schicksalsfrage der Region

Den Rat und die Expertise der Betriebs- und Personalräte als Ringen, um die bessere Lösung für die Unternehmen zu verstehen, lohne sich aber. „Ich kann nicht verstehen, dass viele Unternehmer – und ich kenne jeden einzelnen in der Region – sich rühmen, keinen Betriebsrat zu haben. Warum?“, fragte der IG-Metaller. Am Beispiel von Bosch in Homburg, mit seinen Hunderten Mitarbeitern auch aus Zweibrücken und der Südwestpfalz, sei der positive Einfluss von Betriebsratsarbeit auf strategische Unternehmensentscheidungen fernab zu sehen. Mit dem Wechsel zu alternativen Antrieben von Fahrzeugen – Elektromotoren, zum Teil wasserstoffbasiert – müsse sich die bislang auf Dieseltechnik ausgerichtete Produktion in Homburg radikal ändern. Bosch habe mit Personalabbau von ehemals 6500 auf jetzt 4000 Mitarbeitern reagiert, durch das Drängern und die gute Argumentation und das Verhandeln von Betriebsräten nun aber den Hebel umgelegt. „Es ist den Homburger Betriebsräten zu verdanken, dass wesentliche Komponenten der Brennstoffzelle für alternative Antriebe heute und künftig in Homburg gefertigt werden“, sagte Peter Vollmar.

„Wer kümmert sich um die Menschen?“ Peter Vollmar, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Homburg-Saarpfalz, skizzierte die Gefa
»Wer kümmert sich um die Menschen?« Peter Vollmar, Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Homburg-Saarpfalz, skizzierte die Gefahren des rasanten Wandelns in der Automobilindustrie für die ganze Region.

Damit könne man aber für die mit allen ihren Stufen der Wertschöpfungskette stark am Automobil hängenden Region Zweibrücken-Saarpfalz noch keine Entwarnung nach dem Motto „Ende gut, aller gut“ geben. Vollmar: „Es sind 10.000 Menschen, Erwerbseinkommen, die in unserer Region direkt am Automobil hängen. Die Revolution findet gerade statt. Wer kümmert sich um die Menschen, die auf der Strecke zu bleiben drohen?“, fragte der IG-Metall-Bevollmächtigte beim Mai-Empfang in die Runde. Nicht wenige Kundige behaupteten, dass in drei, vier Jahren, 2025/26, der „Tipping Point“, der unumkehrbare Wendepunkt erreicht sei. Dann erreiche die Produktion von Elektromotoren aufgrund der Masse derart hohe Kostenvorteile, dass Verbrennerantriebe von den Kosten so stark ins Hintertreffen geraten, dass sich die Hersteller beschleunigt von ihnen verabschieden werden. „Ein Elektromotor hat aber nur vielleicht die Hälfte der Teile eines Benzin- oder Dieselmotors. Und braucht auch nur die Hälfte der Produktionsschritte und damit auch viel weniger Menschen, die sie steuern. Was machen dann aber die Menschen?“ fragte Vollmar.

Antworten darauf müssten Unternehmen, Gewerkschaften, Betriebsräte, politisch Verantwortliche auf allen Ebenen gemeinsam finden. Es sei eine gemeinsame Kraftanstrengung, bei der man es sich nicht leisten könne, in unterschiedlicher Richtung zu ziehen. In kurzer Zeit entscheide sich nun tatsächlich die wirtschaftliche Zukunft der so sehr mit der Automotive-Industrie verwobenen Region. Es einfach laufenzulassen, sei keine Option. „Strukturpolitische Fehler der Vergangenheit können wir in unmittelbarer Nachbarschaft besichtigen. In Pirmasens. Der Niedergang, das Abwandern der Schuhindustrie ist noch immer nicht verwunden“, sagte Vollmar. Pirmasens sei eine stete Mahnung.

Unter den Gästen beim Empfang zum Tag der Arbeit: der neue Vorsitzende des Betriebsrates von Kubota Zweibrücken, Thomas Martin (
Unter den Gästen beim Empfang zum Tag der Arbeit: der neue Vorsitzende des Betriebsrates von Kubota Zweibrücken, Thomas Martin (rechts), und sein Stellvertreter Rainer Hartmann.

Mai-Kundgebungen am Sonntag in Pirmasens und Zweibrücken

Der DGB Rheinland-Pfalz lädt für Sonntag, 1. Mai, 10 Uhr, zu einer 1.-Mai-Kundegebung auf den Schlossplatz in Pirmasens ein. Sprechen wird unter anderen der rheinland-pfälzische Arbeitsminister Alexander Schweitzer (SPD). Die DGB-Gewerkschaften IG Bau-Agrar-Umwelt und IG Bergbau-Chemie-Energie laden auch in Zweibrücken zu einer Kundgebung zum Tag der Arbeit ein: Sonntag, 1. Mai, 11 Uhr, auf dem Alexanderplatz.

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