Speyer „Wir zählten zu den Exoten“

Mit einem großen Festkonzert feiert das von dem Neustadter Dirigenten Fritz Burkhardt gegründete Ensemble 1800 am Samstag, 30. August, 19.30 Uhr, in der Speyerer Dreifaltigkeitskirche seinen 25. Geburtstag. Zur Zeit seiner Gründung zählte das Kammerorchester zu den Pionieren in Sachen „Historische Aufführungspraxis“. Unser Mitarbeiter Markus Pacher hat mit Burkhardt und dessen Ehefrau, der Bratschistin Esther Labusch, gesprochen.

Herr Burkhardt, früher hieß es „Historische Aufführungspraxis“, heute spricht man von „Historisch informierter Aufführungspraxis“. Welche Entwicklung steckt dahinter?

Der Begriffswandel spiegelt die Einstellung der Musikszene zum Thema wider. Vor 25 Jahren stießen unsere Bemühungen um klangliche Authentizität auf wenig fruchtbaren Boden. Während unseres Studiums an der Musikhochschule Stuttgart zählten wir zu den vielbelächelten, gar geächteten Exoten. Das hat sich grundlegend geändert. Sich im Vorfeld einer Interpretation nicht „historisch zu informieren“, ist heute undenkbar. Was heute für alle Orchester selbstverständlich ist – und das gilt auch für Traditionsklangkörper wie die Wiener Philharmoniker –, war früher eher die Ausnahme. Signifikant: Mein Studium der Barockvioline musste ich mehr oder weniger heimlich an der Straßburger Musikhochschule absolvieren – in Stuttgart gab es dafür keine Möglichkeiten. Wie viele der Gründungsmitglieder sind heute noch dabei? Eine große Fluktuation gab es mit der radikalen Umstellung auf historische Instrumente oder Nachbauten im Zuge unseres Mendelssohn-Konzertes 2004. Von den Gründungsmitgliedern sind heute nur noch wenige dabei. Dennoch erfreuen wir uns einer guten Kontinuität, sitzen doch einige unserer Leute, wie unser Konzertmeister Martin Jopp, schon viele Jahre mit im Boot. Frau Labusch, Sie spielen Bratsche und mischen von Anfang an im Ensemble 1800 mit. Was zeichnet diesen Klangkörper Ihrer Meinung nach besonders aus? Wenn man sich gut versteht, kann man in der Regel auch gut miteinander musizieren. Die Chemie muss stimmen, und das kann man von unserem Orchester ohne Zweifel behaupten. Unsere Musiker sind allesamt Profis und erhalten für ihre Auftritte zum Teil sehr viel höhere Gagen als bei uns. Es ist die Begeisterung für den hohen gemeinsamen musikalischen Anspruch und natürlich die familiäre Atmosphäre, die uns zusammenhält. So feiern wir zum Beispiel mit unseren Freunden nach dem traditionellen Silvesterkonzert den Jahreswechsel mit einem gemeinsamen Essen, wandern und musizieren. Welchen Gewinn ziehen Sie aus ihrer Rolle als Dirigent? Als Dirigent kann ich meine Klangvorstellungen genauso umsetzen, wie ich Sie mir vorstelle. Ich höre zum Beispiel eine Aufnahme und denke mir dann: Das gefällt mir nicht, das möchte ich anders machen. Ein Orchestermusiker ist hoch spezialisiert, konzentriert sich ganz auf sein jeweiliges Instrument. Mein Instrument ist das ganze Orchester, das ist sehr erfüllend. Apropos Klangvorstellungen: Ich möchte nicht Ihre Autorität als Dirigent in Frage stellen, aber ist es nicht manchmal schwer, sich gegenüber „Alte-Musik“-Koryphäen wie Martin Joop durchzusetzen? Das funktioniert problemlos, weil ich auch jederzeit die klanglichen Angebote, die das Orchester mir macht, akzeptieren kann. Natürlich nur, wenn sie besser als meine sind. Richtig Streit gab’s jedenfalls noch nie. Wie ist es, unter dem Dirigierstab Ihres Mannes zu leben? Was gibt es Schöneres, als gemeinsam mit seinem Partner das geliebte Hobby zu teilen? Wen zählen Sie zu Ihren Vorbildern als Dirigent? Da möchte ich an erster Stelle Nikolaus Harnoncourt nennen. Bei zahlreichen Seminaren und Konzerten konnte ich ihn live erleben und auch persönlich kennenlernen. Für jeden seiner Schüler nimmt er sich unendlich viel Zeit, beantwortet alle Fragen mit großer Geduld und Ausführlichkeit. Das Besondere an ihm als Dirigent? Bei ihm zählt nicht die Perfektion, sondern allein der emotionale Inhalt. Was sagt uns die Musik, und wie kann man ihre Botschaft vermitteln? Dabei geht er oft an die Grenzen und riskiert auch einiges, selbst auf die Gefahr hin, dass manchmal etwas schief läuft. Wenn von historischer Aufführungspraxis die Rede ist, denken die meisten an die „Alte Musik“, also Musik des 18. Jahrhunderts und früher. Das Ensemble 1800 beschäftigt sich auch mit der Musik des 19. Jahrhunderts. Ist das ungewöhnlich? Nein, keineswegs. Theoretisch sollte man sogar Arnold Schönberg „historisch informiert“ spielen. Damals gab’s zum Beispiel noch keine Stahlsaiten. Wenn man einen möglichst authentischen Schönberg möchte, sollte man also Darmsaiten verwenden. (mp)

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