Speyer „Viele Schlafzimmer-Fragen“

Landau. Frau Werling, haben Sie den Eurovision Song Contest gesehen oder war Ihnen das ziemlich wurst? Das hat mich ehrlich gesagt überhaupt nicht interessiert. Okay. Aber im Netz gab es einen homophoben Shitstorm auf die Gewinnerin des Wettbewerbs, den Travestiekünstler Tom Neuwirth alias Conchita Wurst. Glauben Sie, dass dieser Bart das gesellschaftliche Denken über die verschiedenen sexuellen Identitäten verändert oder fühlen Sie sich von solchen Auftritten veräppelt? Ich finde es grundsätzlich gut, dass jemand wie Conchita Wurst diese mediale Aufmerksamkeit bekommt. Es ist ein Zeichen für einen gesellschaftlichen Wandel, dass sich jeder frei entfalten können sollte. Doch in den Köpfen ist die Gleichstellung noch nicht ganz angekommen, das zeigen Diskussionen wie die um die Egalität von gleichgeschlechtlichen Ehen. Trotzdem sind wir auf einem guten Weg. Ihr persönlicher Weg war lang. Sie wurden im Körper eines Mannes geboren. Wann haben Sie gemerkt, dass Sie da nicht rein gehören? Das war in der Pubertät. Ich hatte vorher nie viel Wert auf Geschlechterrollen gelegt. Erst als ich Leute traf, die sich in dieser Identitätskrise befanden, habe ich angefangen, über mich nachzudenken. Haben Sie operativ nachgeholfen? Nein. Biologisch bin ich noch 100 Prozent Mann. In Deutschland gibt es auch klare Richtlinien für Geschlechtsangleichungen. Zuerst müssen psychologische Gutachten erstellt werden, die bescheinigen, dass man eine vom Körper abweichende Geschlechtsidentität hat. Dann kann man mit einer Hormontherapie beginnen. Bei mir ist es bald so weit. Ob ich mich danach operieren lasse, weiß ich noch nicht. Ich werde lange darüber nachdenken, denn es ist ein großer Schritt. Sorry, ich krame jetzt mal in der Stereotypen-Kiste der Weiblichkeit. Für den einen sind es die Kurven, für den anderen die Lippen, für den nächsten die Empathiefähigkeit. Was bedeutet für Sie Weiblichkeit? Ich bin kein Freund von festgelegten Geschlechterrollen und möchte niemandem sagen, was weiblich oder männlich ist. Für mich ist Weiblichkeit im Grunde nur das Biologische. Also eigene Brüste zu haben oder andere Kurven. Nun ist die Südpfalz nicht in allen Ecken der Geburtsort der Toleranz. Sie sind in Jockgrim aufgewachsen. Welche Reaktionen haben Sie bei Ihrem Coming-out bekommen? Von meiner Familie kamen positive Reaktionen. Meine Mutter hat zwar lange gebraucht, um damit klar zu kommen, aber sie hat das bei mir nie als Phase abgetan. In Jockgrim war ich meistens nur als Frau unterwegs, wenn Freunde dabei waren, weil ich mich dann wohlgefühlt habe. Dort als Transfrau unterwegs zu sein war mir lange Zeit sehr unangenehm, da ich damals noch kein großes Selbstvertrauen in meine Erscheinung hatte. Alleine auf die Straße bin ich selten gegangen. Und dann ging’s nach Landau zum Studieren. Zu einem Studentenleben gehört ja nicht nur der Seminarraum, sondern auch das Café. Wenn Sie auf dem Rathausplatz eine Latte macchiato schlürfen, werden Sie dann schief angeschaut? Solange ich mich nicht mit völlig Fremden unterhalte, ist das okay. Landau ist da sehr angenehm. 85 Prozent der Reaktionen sind positiv oder es gibt gar keine. Das ist eigentlich am angenehmsten, weil ich dann gar nicht als anders wahrgenommen werde. Was mir aber auffällt, ist, dass viele Leute Fragen haben und auch solche stellen, die eigentlich ziemlich intim sind und ins Schlafzimmer führen. Sie würden vielleicht andere nicht danach fragen. Trotzdem finde ich es gut, wenn die Menschen sich dafür interessieren. Sie finden Landau also nicht muffig? Nein. Ich fühle mich hier zuhause und wohl. Es ist kein Provinzdorf. Es ist möglich, hier gut zu leben, auch deswegen, weil es an der Uni viele engagierte Menschen gibt. Und wie sieht’s mit dem Feiern aus? Tanzen Sie hier oder in Mannheim und Heidelberg? Ich tanze eigentlich nicht gerne. Ich feiere lieber so, dass ich auch bestimmen kann, wer kommt. Sie haben mit Ihrer Veränderung nicht Ihre Bedürfnisse im Kleiderschrank abgelegt. Schauen Sie mehr auf Männer-Pos oder Damen-Dekolletés? Ich lege nicht allzu viel Wert auf Sexualität. Grundsätzlich stehe ich auf Frauen, aber ich lebe meinen Alltag für gewöhnlich ohne meinen Lebensfokus auf Sexualität zu legen. Aber das Erotische ist doch Teil des Menschen, hat nichts mit Geschlecht oder Weltbild zu tun. Oder? Für mich ist Erotik aber nicht unbedingt das Betrachten von Körpern, eher ein gutes Gespräch. Intellektualität ist also sexy? Für mich: Ja, denn bei tiefen Gespräch lernt man Menschen auf einer ganz anderen Ebene kennen. Nun bezeichnen Sie sich ja als Transfrau. Aber Sie fühlen sich doch als Frau, oder verstehe ich da was nicht? Schauen Sie, wenn ich morgens aufwache, dann stelle ich mich in einem Männerkörper vor den Spiegel. Ich kann zwar sagen, dass ich innerlich eine Frau bin, aber dieser Konflikt lässt sich nicht einfach auflösen. Deshalb ist auch die körperliche Angleichung so wichtig für viele, um diese Schieflage ins Gleichgewicht zu bekommen. Ziel ist es deshalb irgendwann ganz offen und entspannt sagen zu können: Ich bin eine Frau.

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