Kulturspiegel Musikfeste mit Alter Musik

Nach Speyer in Einbeck: Valer Sabadus und Spark.
Nach Speyer in Einbeck: Valer Sabadus und Spark.

Zwischen den neuen Speyer Resonanzen und den traditionsreichen Göttinger Händel-Festspielen gab es heuer eine programmatische Übereinstimmung.

Warum heißt Speyer nicht mehr Speier, wie viele Jahrhunderte lang? Weil König Ludwig I. von Bayern ein Philhellenist war, also ein Verehrer der Kultur des antiken Griechenlands. Und so hat er das y des griechischen Alphabets nicht nur bei Speyer, sondern etwa auch bei Bayern statt des bis dahin gebräuchlichen i eingesetzt. Wir werden sehen, ob und wie dieser Sachverhalt in der mit Spannung erwarteten „Ludwig I.“-Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz in Speyer thematisiert wird.

Nun hat die Rezeption der griechischen Antike spätestens seit der Renaissance die abendländische Kultur wesentlich geprägt. Antike Formen wurden in der Kunst und antike Stoffe in Literatur und Theater in vielfacher Weise aufgegriffen. Keine klassisch humanistische Bildung ohne den Blick auf das alte Hellas (und natürlich auch Rom). Philhellenisten waren auch die Gründer der Oper um 1600 in Florenz, die ja eigentlich nur die antike Tragödie wiederbeleben wollten und da - zum Glück für alle Opernfreunde - etwas falsch verstanden haben. Sie deuteten den Hinweis auf einem Chor als Indiz, dass das ganze Drama gesungen wurde.

Apropos Chor: Der wurde in der italienischen Oper der Barockzeit immer unbedeutender, hatte aber seinen wichtigen Platz im Oratorium, wo er fast wie beim Schauspiel im alten Griechenland das dramatische Geschehen kommentiert. In Speyer haben wir das im Herbst im Fall von Händels „Joshua“ erleben können.

Oratorien ganz opernhaft

Das Händel hat die meisten seiner Oratorien ja auf biblische Stoffe komponiert, es gibt aber zwei, die antike Geschichten aufgreifen, zwar nie für eine Bühnenaufführung gedacht waren, aber im Grunde sehr opernhaft angelegt sind: „Semele“ und „Hercules“. Beide war in der Region in den vergangenen Jahren bei den Händel-Festspielen in Karlsruhe zu sehen gewesen - dort szenisch wie eine Oper.

Die Chance, beide gleichsam en suite zu hören, gab es nun aber in diesem Jahr bei den Internationalen Händel-Festspielen in Göttingen (www.hndl.de). Da wurden nämlich der „Hercules“ konzertant und die „Semele“ szenisch aufgeführt.

Übrigens: Zwischen dem ältesten Alte-Musik-Festival der Welt an der Leine und dem brandneuen Zyklus der Speyer Resonanzen am Rhein gab es heuer eine programmatische Übereinstimmung: Bei beiden wurde das mitreißende Cross-over-Programm „Closer to Paradise“ mit dem Countertenor Valer Sabadus und der klassischen Band Spark musiziert, der hier wie da das Publikum begeisterte.

Händel und Hellas

Zurück nach Hellas: Das war das Motto der Festspiele in Göttingen in diesem Jahr, wo es dann auch nicht nur Musik über griechische Themen, sondern auch zeitgenössische griechische Musik und ganz alte gab.

„Hellas!“: Das Thema lag auch deshalb nahe, weil nunmehr 2021 der griechische Dirigent George Petrou der künstlerische Leiter der Festspiele ist. Der Maestro ist in der Region seit 2016 von seinen Auftritten bei den Karlsruher Händel-Festspielen bekannt. Schon 2021 gab er in Göttingen seinen Einstand mit einem sagenhaften Konzert, bei dem die drei künstlerischen Leiter seit 1991 abwechselnd am Pult (beziehungsweise Cembalo) das Festivalorchesters leiteten: Nicolas McGegan, Lawrence Cummings und eben George Petrou.

Offiziell begann dann seine Amtszeit 2022 unter dem Motto „Neue Horizonte“ mit einem in jeglicher Hinsicht furiosen Konzert, bei dem neben Concerti grossi die Kantate „Aminta e Fillide“ auf dem Programm stand. Der brasilianische Sopranist Bruno de Sá und die griechische Sopranistin Myrsini Margariti überboten sich da in virtuoser Brillanz. Die Oper 2022 war „Giulio Cesare“, bei der Petrou auch selbst Regie führte und die Geschichte an den Beginn des 20. Jahrhunderts und in das Milieu von Alterstumsforschern stellte. Überaus ideenreich und witzig mit einem kessen Schlussgag war diese gefeierte Produktion mit dem starken ukrainischen Countertenor Yuriy Mynenko in der Titelrolle und der wunderbaren Sophie Junker als Cleopatra.

Geburt des Champagners

Auch bei der „Semele“ im Deutschen Theater war jetzt Petrou Regisseur und Dirigent in Personalunion - und wieder war sein Dirigat absolut zündend und auf eine hochdramatische und immer animierend belebte Wiedergabe der Händel'schen Musik ausgerichtet. Und wieder war seine Inszenierung ausgesprochen kurzweilig und voll von originellen, aber stets zum Stück gut passenden Anspielungen. Der antike Stoff wird in ein modernes Ambiente gestellt und durch viele teilweise sehr witzige Szenen verlebendigt, aber immer ist der enge Bezug zur Musik da. Das sorgt für großes Vergnügen. Dass am Ende die sterbende Semele den Weingott Bacchus in Gestalt perlenden Champagners gebiert, war bezeichnend für den hintersinnigen Umgang mit dem Stück.

Wie gesagt, die musikalische Einstudierung Petrous am Pult des Göttinger Festspielorchesters war spannungsgeladen. Das gilt auch für den konzertanten „Hercules“ in der Johanniskirche, bei dem der Dirigent die gewaltige musikdramatische Intensität konsequent auf den Punkt brachte. Der Eifersuchtschor im Zentrum des Werks hatte dabei physisch bewegenden Ausdruck. In zügigen Zeitmaßen erfüllte Petrou das Werk mit großer Leidenschaft, gab aber auch den zarten Partien viel Aura. Sang in der „Semele“ der neu formierte Kammerchor Athen mit leichter Diktion, so bewährte sich beim „Hercules“ das NDR Vokalensemble, das regelmäßig in Göttingen singt.

Die Primadonna aus Alaska

In beiden Werken waren zentrale Rolle mit der Mezzosopranistin Vivica Genaux besetzt. Die im Händel-Fach seit über 20 Jahren zu Recht gefeierte Sängerin aus Alaska bot dabei sowohl als Dejanira im „Hercules“ als in der Doppelrolle als Ino und Juno in der „Semele“ einmal mehr fulminanten Barockgesang und überzeugte durch ihren elektrisierenden Vortrag. Die Wahnsinnsszene der Dejanira wurde dadurch zum einzigartigen Händel-Ereignis. In der „Semele“ zeigte die Künstlerin nicht zuletzt ihre überragende Bühnenpräsenz.

Die Semele wurde von der in Göttingen mit-entdeckten Schweizerin Marie Lys sehr vielschichtig im Ausdruck und überaus brillant gesungen.

Die andere Sopranistin mit bestechender Stimmkultur und Ausstrahlung war Anna Dennis als Iole im „Hercules“. Sängerische Glanzlichter setzten auch Andreas Wolf als markant singender Hercules und in diesem Stück als Lichas Lena Sutor-Wernich mit klangschönem Mezzo. Mit erlesenem lyrischen Vortrag war Jeremy Ovenden in der „Semele“ ein vorzüglicher Jupiter.

Digitales Nacherleben

Die Möglichkeit, Vorstellungen und Konzerte aus Göttingen zu Hause als Stream zu genießen, bietet die Seite www.haendel-channel.de, dort gibt es das Eröffnungskonzert und den „Giulio Cesare“ von 2022 ebenso wie Veranstaltungen aus der Corona-Zeit, unter anderem erwähnte Konzert unter Nicolas McGegan, Lawrence Cummings und George Petrou. Nachzuhören sind „Semele“ und „Hercules“ sowie weitere Veranstaltungen der Festspiele auch unter www.ndr.de.

Nächste Händel-Festspiele in Göttingen sind vom 9. bis 20. Mai 2024.

Dejanira: Vivica Genaux. Am Pult George Petrou.
Dejanira: Vivica Genaux. Am Pult George Petrou.
In himmlischen Sphären: Marie Lys als Semele.
In himmlischen Sphären: Marie Lys als Semele.
 Göttergattin Juno: Vivica Genaux.
Göttergattin Juno: Vivica Genaux.
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