Speyer freistoss:

Christian Eichler (55, Autorenkürzel cei) ist Sportkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) in München und darüber hinaus Verfasser mehrerer Bücher über die schönste Nebensache der Welt. Eichler gewann den Großen Preis des Verbandes Deutscher Sportjournalisten und zweimal den Fair-Play-Preis für Sportjournalismus. Der Mann kennt sich also aus. „7:1 – Das Jahrhundertspiel. Als der brasilianische Mythos zerbrach und Deutschlands vierter Stern aufging“ lautet der Titel von Eichlers neuestem Coup, in dem er auf hunderten Taschenbuchseiten das Match der Fußball-Weltmeisterschaft 2014 beschreibt – Minute für Minute. Was die preisgekrönte Edelfeder der großen FAZ kann, können wir von der kleinen Lokalsportredaktion der Speyerer Rundschau schon lange, und das passende Spiel dazu haben wir erst recht. Dudenhofen statt Belo Horizonte, Rasenplatz an der Iggelheimer Straße statt Estadio Mineirao, Verbandsliga statt WM-Halbfinale, ein paar Unentwegte statt ausverkauftes Haus, FV Dudenhofen gegen VfR Kandel statt Brasilien gegen Deutschland, Marvin Klose statt Miroslav Klose. Erste Minute: Der schöne, sonnige Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Die Zuschauer starren gebannt auf den Anstoßpunkt. Der oberliga-erfahrene Schiedsrichter (die leiten gerade in unteren Klassen manchmal etwas kleinlich) Florian Benedum aus Mehlingen blickt zu beiden Seitenlinien, verständigt sich nochmal mit seinen Assistenten, führt die Pfeife zum Mund, und los geht’s. Die Dudenhofener tragen gelbe Trikots mit ihren Namen drauf und schwarze Hosen, wie die ganz Großen in diesem Erscheinungsbild von Ex-Bundesligist Dynamo Dresden oder gar des mehrfachen deutschen Meisters, Pokalsiegers, Gewinners des Europapokals der Landesmeister und der Pokalsieger, Finalisten der Champions League und des Uefa-Cups, Borussia Dortmund. Die Kandeler aus dem langgestreckten Ort in der Südpfalz haben Grün, die Farbe der Hoffnung, übergestreift, ganz wie VfL Wolfsburg, der frühere nationale Titelträger, der Überraschungs-Zweite der laufenden Saison, der Achtelfinalist der Europa League, der einzige FC-Bayern-Besieger in diesem Jahr. Firas Zein führt den Anstoß für Dudenhofen aus. Der heißblütige Torjäger aus dem Libanon hält dem FV schon lange die Treue. Mittlerweile spielt er Seite an Seite mit seinem Bruder Rami. Der kampfstarke, bärtige Freistoßspezialist wechselte einst von Oberligist TuS Mechtersheim eine Klasse tiefer ins Spargeldorf. Nun hat Timo Enzenhofer den Ball. Der spielte vor zehn Jahren für den Karlsruher SC in der A-Junioren-Bundesliga gegen Traditionsklubs wie den 1. FC Nürnberg. Trainer des KSC damals? Na Markus Kauczinski, der mit der Ersten der Badener gerade heftig an das Tor zur Bundesliga klopft. Enzenhofers Mitspieler? Der heiß begehrte Hannoveraner Lars Stindl, Bundesligaspieler Daniel Brosinski ... In Dudenhofen löste Enzenhofer, dessen Bruder Thomas auch schon für die Gelb-Schwarzen die Stiefel schnürte, mittlerweile Kevin Fischer als Kapitän ab. Enzenhofer schlägt einen weiten Ball. Der VfR Kandel köpft ihn raus. Er ist einer von zwei großen Vereinen im Ort. Beim VfR kicken sie. Beim TSV werfen sie den Handball. Der Unparteiische Benedum pfeift erstmals. Freistoß für die Gäste, die an den Strafraum kommen. Ein erster Schuss fliegt übers Tor, Abstoß. Die ersten 60 Sekunden sind vorüber. Rar gesät sind sie, die Fußballspiele über Ostern, kaum Nachholpartien wenig Pokalfinals. Der Fan muss regelrecht nach einem Platz suchen, auf dem was los ist. Aber er findet einen, und was für einen. TuS Mechtersheim gegen Salmrohr. Viele entlang der Kirschenallee geparkte Autos weisen anlässlich der Ausnahmestellung des Ereignisses auf verstärkten Zuschauerandrang hin. Es kommen auch tatsächlich ein paar mehr, und etliche lugen von draußen fer umme durch den Zaun. Aber einige der fahrbaren Untersätze gehören auch Spaziergängern, die den sonnigen Frühjahrsnachmittag genießen. Hoch über den Feldern auf der anderen Seite der Straße zieht ein Storch seine Kreise. Im Eingangsbereich zum TuS-Gelände begrüßen sich ein Eintrittskarten abreißender Ordner der Mechtersheim und ein Schlachtenbummler, die sich noch aus gemeinsamen Zeiten beim FV Berghausen kennen. Die Salmrohrer bereiten sich auf einer Hälfte des Nebenplatzes vor. Auch sie reisen mit Anhängern im Schlepptau an. Einer trägt einen Schal. Die Einheimischen halten ebenfalls mit Halsumhang und Kappe dagegen. In einem Auto hängt ein Wimpel des 1. FC Kaiserslautern. Ein großer schwarzer Hund stellt seine Vorderbeine auf die Werbe-Umrandung, lässt die Zunge raushängen, wedelt mit dem Schwanz. Weiß-gelbe und violette Pflänzchen im Gras neben dem Platz zeugen vom Beginn der warmen Jahreszeit. Ein großer brauner Hund ist auch da. Halbzeit, wieder erklingt das TuS-Lied über die Lautsprecher. Jetzt singt einer von den gelben Engeln. Wie auf Kommando kehren drei junge Männer in schwarzen, kurzen Hosen und gelben Hemden aus der Kabine zurück. Es sind die Schiedsrichter. Wiederanpfiff, „Isi“, ruft einer der Zaungucker aufs Feld. Ismael Imre in den Römerberger Farben winkt hektisch zurück und stürzt sich in den nächsten Zweikampf. Abpfiff, der Wind weht ein Werbeplakat um. Die Menge wartet auf die öffentliche Pressekonferenz auf dem Rasen. Ein großer weiß-grauer Hund ist auch noch da.

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