Stolpersteine (3) Familie Cramer: Flucht in die USA und nach Argentinien

Maximilianstraße 22.
Maximilianstraße 22.

Am 21. September werden in Speyerer Straßen zum sechsten Mal Stolpersteine als Mahnmale für NS-Opfer verlegt. Die RHEINPFALZ stellt in dieser Serie deren Biographien vor. Recherchiert und verfasst wurden sie von der Stolperstein-Initiative Speyer. Heute: Familie Cramer.

Maximilian Cramer wird 1869 als zweites von fünf Kindern in Speyer geboren. Die Eltern Salomon und Carolina Cramer betreiben in der Maximilianstraße 22 seit vielen Jahren ein Geschäft für Damen-, Herren- und Kinderbekleidung, das er als ältester Sohn im Alter von 27 Jahren übernimmt. Im selben Jahr heiratet er die sechs Jahre jüngere Johanna Hirsch aus Frankenthal. Sie bekommen drei Kinder: zwei Söhne, Fritz (1901) und Hans (1902), und Tochter Grete (1914). 1908 modernisiert er das Wohn- und Geschäftshaus, in dem er mit seiner Familie lebt und arbeitet.

Die Familie besitzt ein weiteres Wohnhaus in der Landauer Straße und ein großes Gartengrundstück im Neuland. Im Ersten Weltkrieg dient Maximilian als Leutnant und wird mit einem militärischen Orden ausgezeichnet. Er ist in die Speyerer Gesellschaft integriert, Mitglied der Feuerwehr, Schöffe am Gericht und Teil des Industrie- und Handelsgremiums. Er wird in den in den Synagogen-Ausschuss der jüdischen Gemeinde gewählt. Aufgrund der nationalsozialistischen Repressalien für jüdische Geschäftsinhaber plant Maximilian Cramer die Auswanderung aus Deutschland, stirbt jedoch nach einer Operation im Mai 1938 im jüdischen Krankenhaus in Mannheim und wird auf dem Speyerer Friedhof bestattet.

Kaum Entschädigung für Vermögensverlust

Seine Witwe Johanna muss im Zuge der Arisierung am 11. August 1938 das Wohn- und Geschäftsanwesen Maximilianstraße 22 für 50.000 Reichsmark verkaufen. Das Gartengrundstück verkauft Johanna für wenig Geld an einen Kraftfahrer und seine Frau. Am 3. November des gleichen Jahres erklärt sie die Firma „S. Cramer jr.“ für erloschen. Das Wohnhaus Landauer Straße 41 wird unter Zwang am 11. Januar 1939 an die Saarpfälzische Vermögensverwertungsgesellschaft veräußert, die es an ein Bäckerehepaar weiterverkauft. Johanna Cramer selbst muss nach Heidelberg umziehen. Da sie Ausreisepapiere besitzt, entgeht sie der Deportation nach Gurs, und ihr gelingt 1941 die Flucht in die USA zu ihrer Tochter. Sie lebt bis zu ihrem Tod 1965 in New York. Johanna Cramer führt in den 1950er Jahren mehrere Restitutionsprozesse, die Familie wird aber für ihre Verluste an Haus- und Grundbesitz nur teilweise entschädigt.

Tochter Grete gelingt die Flucht in die USA bereits 1936, sie heiratet 1939 in New York den Frankfurter Lehrer Jakob Frank. Das Paar bekommt zwei Kinder und vier Enkel. Grete äußerte in einem Brief im Alter den Wunsch, nochmals nach Speyer und Deutschland in das Land zurückzukehren, das sie „unter schrecklichen Umständen vertrieben hat“, kann es jedoch nicht realisieren. Sie lebt bis ins neue Jahrtausend im US-Staat Michigan.

Nach Argentinien geflohen

In der Maximilianstraße 22 werden Stolpersteine für Maximilian Cramer, seine Frau Johanna Cramer und ihre Tochter Grete verlegt. In der Landauer Straße 41 wird Sohn Fritz und seiner Frau Liselotte gedacht. Der älteste Sohn von Maximilian und Johanna Cramer studiert nach verschiedenen Ausbildungen zunächst Chemie in Reutlingen und Mainz, arbeitet dann im elterlichen Geschäft als Prokurist. Seit 1935 ist er mit der Mannheimer Hutmacherin Liselotte Löb verheiratet, das Paar wohnt im Haus Landauer Straße 41.

Landauer Straße 41.
Landauer Straße 41.

Fritz wird nach den November-Pogromen 1938, wie Tausende andere männliche Juden, für mehrere Wochen im Konzentrationslager Dachau in sogenannte Schutzhaft genommen. Kurz nach seiner Entlassung gelingt ihm mit seiner Frau Liselotte Ende des Jahres die Flucht nach Argentinien. Das Paar bleibt kinderlos und kehrt nach dem Krieg nach Deutschland zurück. Seit 1978 bis zu Fritz’ Tod 1982 leben sie im nordbayerischen Bad Kissingen. 1999 wird Liselotte Cramer neben ihrem Mann auf dem dortigen jüdischen Friedhof bestattet.

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