Speyer Der Mensch hinter der Ikone

Zum „Weltgästeführertag“ am Samstag haben die Stadtführer wieder zwei kostenlose besondere Führungen durch Speyer angeboten. Trotz des regnerischen Wetters kommen am Vormittag fast 20 Interessierte zum Versammlungspunkt am Domportal, am Nachmittag sind es 25 Gäste.

Das vom Bundesverband der Gästeführer Deutschlands festgelegte Thema lautet „Steine“. Angesichts der Menge des in Speyer verbauten alten Gesteins fiel den Gästeführer eine sehr eigenwillige Interpretation ein: Edith Stein, Jüdin, katholische Heilige, Patronin Europas. Auf ihren Spuren wandern die Teilnehmer vom Domportal zum Bischofshaus und über die Sonnenbrücke ins Kloster St. Magdalena im Hasenpfuhl. „Es sind sehr breite Spuren. An keinem Ort hat sich Edith Stein, nachdem sie zum christlichen Glauben gefunden hatte, so lange aufgehalten – nämlich acht Jahre. Den Weg zwischen Kloster und Dom ist sie täglich gegangen“, berichtet Jutta Hornung, im Hauptberuf Archivarin im Bistumsarchiv. Sie hat die Führung maßgeblich vorbereitet. Dabei wurde sie unterstützt von Sabrina Albers und Ingrid Kolbinger. Der Speyerer Zweig der Interessengemeinschaft der Gästeführer wurde 2012 gegründet. Ihr gehören 40 Speyerer Gästeführer an. Seit 2012 bieten sie zum Weltgästeführertag kostenlose Führungen an. Am 1. Mai 1987 wurde Edith Stein seliggesprochen, am 11. Oktober 1998 wurde sie heiliggesprochen und 1999 zur Patronin Europas ernannt. Bei solchen Ehren wird man leicht zur Ikone, hinter der der alltägliche Mensch verschwindet. Hornung und ihre Kolleginnen bringen ihn zum Vorschein. Trocken im Vorraum des Doms untergestellt, erzählt Hornung von der Tochter einer tüchtigen Breslauer Geschäftsfrau, die früh verwitwet den Holzhandel der Familie erfolgreich führte und allen Kindern eine solide Bildung ermöglichte. Edith fiel früh durch überragende Geistesgaben und ihren unbedingten Charakter auf. „Halbe Sachen machte sie nicht“, sagt Hornung. Schon im Ersten Weltkrieg verausgabte sie sich als Krankenschwester. „Ich habe jetzt kein eigenes Leben mehr. Meine ganze Kraft gehört dem großen Geschehen“, schrieb Stein in einem Brief. Sie gehörte der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei an und engagierte sich dort sehr für Frauenbildung. Nach sehr gutem Abitur, Philosophiestudium und glänzender Promotion bei Edmund Husserl war sie Assistentin bei ihrem Doktorvater. Fotos dieser Zeit zeigen eine sehr hübsche junge Frau mit wachen Augen. Stein interessierte sich durchaus für einige Mitstudenten, die davon allerdings meist nichts mitbekamen. Ihre Habilitation wurde abgelehnt, nicht aus sachlichen Gründen, sondern weil sie eine Frau war. Fünfmal in ihrem Leben versuchte sie sich vergeblich zu habilitieren. Das letzte Mal scheiterte sie, weil sie Jüdin war. 1923 kam die junge, in ihrer Karriere gestoppte Philosophin als Lehrerin ins Kloster St. Magdalena, ein Job weit unter ihren Fähigkeiten. Zu dieser Zeit war sie schon Christin geworden, ebenso unbedingt, wie sie alles in ihrem Leben tat. Gefirmt wurde sie in der Privatkapelle von Bischof Ludwig Sebastian. Die Kapelle im Bischofshaus, sonst der Öffentlichkeit unzugänglich, ist die nächste Station der Stadtführung. Sie wird renoviert. Ein neuer Anstrich macht sie heller. Nebenbei stellen die Gäste Vergleiche mit der Limburger Bistumskapelle an – sehr zugunsten Wiesemanns. In der Kapelle befindet sich die Kopie einer Stele zu Steins Lebensweg, deren Original dem Papst überreicht wurde. Die Stele selbst steht im Hof des Klosters St. Magdalena, zu dem die Gruppe sich anschließend auf den Weg macht. In der Klosterkirche befindet sich noch ihr Betstuhl. Ihr Zimmer wurde in einen Meditationsraum verwandelt. Eine Menora, ein siebenarmiger Leuchter wie er im Judentum gebraucht wird, ein Gefäß mit Erde aus Auschwitz und einige Auszüge aus Briefen an den Wänden erinnern an Edith Stein.

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