Speyer Der Luftkrieg und die Bodenspuren

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Brunnen am Steinhäuserwühlsee, Verdichtung im Mörike-Weg, Diakonissen-Campus – kein größeres Bauprojekt in Speyer geht derzeit ohne Kampfmittelsondierung über die Bühne. Es gibt zu viele Hinweise auf Weltkriegs-Altlasten, als dass dort arglos in die Tiefe gegraben werden dürfte. Wie gehen die Verantwortlichen damit um?

„Sollte ein Anfangsverdacht vorhanden sein, empfehlen wir dem Projektentwickler die Untersuchung auf Kampfmittel“, berichtet Matthias Nowack, Sprecher der Stadtverwaltung. Das sei beim Diakonissen-Krankenhaus so gewesen. Bei der aktuell anstehenden Erweiterung des Gewerbegebiets im Schlangenwühl habe die Stadt als Bauherr selbst den Auftrag erteilt. „Auch beim Gebiet Russenweiher wird eine solche Untersuchung veranlasst werden“, so Nowacks Ankündigung. 6000 bis 8000 Euro koste die entsprechende Untersuchung für Grundstücke von begrenzter Größe, sagt auf Anfrage Alfred Böhmer, Geschäftsführer der städtischen Baugesellschaft Gewo Wohnen. Sie war vor dem Mörike-Weg auch bei ihrem Neubauprojekt in der Lessingstraße betroffen: „Es war viel rot markiert, aber es waren alle Metallreste etwa von alten Anschlussleitungen“, umreißt er die Ergebnisse aus der Lessingstraße. Die Schwierigkeit ist das mit dem Anfangsverdacht. „Die Quellenlage ist lückenhaft“, berichtet Nowack. Es gebe einige ältere Unterlagen im Archiv der Bauverwaltung aus den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, „jedoch leider keine systematische Kartierung von Kampfmitteln, die heutigen Anforderungen standhalten würden“. Immerhin: Eine Karte, die einen normalen Tisch fast ausfüllt, weist – von Hand eingezeichnet – ganz unterschiedliche Überreste aus Kriegsjahren aus. Sie wird unter anderem von der Arbeitsgruppe Vermisstenforschung genutzt, deren Mitarbeiter in den vergangenen Monaten Reste mehrerer abgestürzter Flugzeuge gefunden haben. Auf den Feldern rund um Speyer sind etwa die Standorte sogenannter Flak-Stellungen vermerkt. Dort hatte die Wehrmacht ihre Geschütze in Stellung gebracht, die Städte und Industrieanlagen vor Angriffen aus der Luft schützen sollten. Ein Beispiel: das Gebiet drei verbliebener Westwall-Bunker in der Nähe des Flugplatzes, die beim Dreck-weg-Tag am Samstag von einem Verein gesäubert wurden (wir berichteten). Dass die militärischen Vorkehrungen nicht ausreichten, belegt die Schätzung der Technischen Nothilfe, einer Vorgängerin des Technischen Hilfswerks, auf die Erik Wieman, Waldseer Mitarbeiter der Arbeitsgruppe Vermisstenforschung, verweist: 650 Spreng- und Minenbomben, 2000 Stabbrandbomben, die Dächer anzündeten, sowie 30 Phosphor- und Flüssigkeitsbrandbomben sollen im Zweiten Weltkrieg im Bereich Speyer abgeworfen worden sein. Dennoch blieben die Zerstörungen überschaubar, geringer als in Städten, die etwa bedeutendere Standorte der Wehrmacht waren. Die Bahnlinie, einzelne Industrieanlagen und die Straße zur Rheinbrücke hin – nah am heutigen Diakonissen-Campus – waren auffällig oft bombardierte Ziele. Allein am 1. Dezember 1944 soll es bei einem Angriff auf das Bahnhofsgebiet acht Tote und mehr als 350 beschädigte Häuser gegeben haben. Am 22. März 1945 haben deutsche Einheiten auf dem Rückzug dann die Rheinbrücke zerstört. „An der Rheinbrücke gibt es noch Überreste eines Bunkers, der ziemlich viele Einschüsse aufweist“, so Wieman. Viele Bomben sind in sieben Jahrzehnten seit dem Krieg schon aus dem Boden geholt worden. Völlige Sicherheit gibt’s nicht: Schon beim „geringsten Verdachtsmoment“ müsse reagiert werden, betont die Stadt, die sich mit dem Kampfmittelräumdienst abstimmt. „Es gibt Luftbilder, es gibt Erleichterungen, seit wir die GPS-Techniken haben, aber die wichtigste Quelle sind oft auch heute noch Zeitzeugen, die sich an Bombenabwürfe erinnern“, sagt Horst Lenz. Er ist der Leiter des bei der Trierer Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion angesiedelten Kampfmittelräumdiensts Rheinland-Pfalz. Dieser kommt ins Spiel, wenn tatsächlich etwas im Boden gefunden wurde. „Für Prognosen sind wir nicht mehr zuständig. Wir empfehlen für solche Fälle die Inanspruchnahme privater Firmen“, so Lenz. Rund 30 Tonnen Munition, davon 61 Bomben, 127 Panzerfäuste und 370 Handgranaten seien zum Beispiel im Jahr 2013 in Rheinland-Pfalz geborgen wurden, sagt er. Wieman hat den Kampfmittelräumdienst eingeschaltet, als er im Herbst 2015 im Wald zwischen Dudenhofen und Speyer ein 1944 abgeschossenes Flugzeug suchte – und eine gut 70 Zentimeter lange Granate mit 15 Zentimeter Durchmesser fand. „Ziemlich groß“, sagt er über das russische Modell. Letztlich seien es oft Zufallsfunde, gesteht er ein – und das gehe auch nicht anders, bestätigt Landes-Experte Lenz: „Flächendeckende Erkundungen kann niemand bezahlen.“ Dass es in Speyer die alten Karten gebe, sei gut: „Es ist nicht die Regel, dass die in den Kommunen noch vorhanden sind.“

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