Speyer Bei der Sozial- und Schuldnerberatung nimmt die Arbeit zu

Julia Hoffmann
Julia Hoffmann

Die Inflation liegt irgendwo bei acht Prozent, bei Lebensmitteln haben die Preise noch stärker angezogen. Was die Teuerung seit Beginn des Ukraine-Kriegs gerade für Bürger mit geringem Einkommen bedeutet, kann kaum jemand so gut erklären, wie die Experten aus Schuldner- und Sozialberatungsstellen im „Haus der Diakonie“ in Speyer.

„Wer mit wenig Geld zu uns kommt, klagt nicht groß. Das ist kein Aufschrei, eher eine Suche nach Hilfe“, sagt Bernhard Guttenbacher. Er ist Sozialarbeiter mit 22 Jahren Erfahrung in der Schuldner- und Insolvenzberatung beim Diakonischen Werk der Pfalz in Speyer. Er kennt die Lebenslagen seiner Klienten, die sich in den vergangenen Monaten vielfach verschärft hätten. „Die steigenden Energiekosten machen vielen Angst“, sagt er. Er weiß: Zu erwartende Nachzahlungen von 700 bis 1800 Euro für Haushalte zwischen einer Person und vier Köpfen könnten sie nicht stemmen: „Sie können keine Rücklagen bilden.“

Es sei ein Teufelskreis, denn Arme wohnten oft „energetisch eher ungünstig“ und hätten wenige Einsparmöglichkeiten, so Guttenbacher. Trotzdem gehe er mit seinen Klienten alles durch und suche vorbeugende Lösungen. Es werde alles getan, um die Energiesperre und den Wohnraumverlust als schlimmste Konsequenzen zu vermeiden. Er begrüße es deshalb, dass Betroffene seit den Berichten über die Kriegsfolgen tendenziell früher an die Beratungsstelle wendeten. Eine Erstberatung sei binnen ein bis drei Wochen möglich, für größere Anliegen könne es ein halbes Jahr dauern.

Nachfrage steigt

Zwei Personalstellen leistet sich die Diakonie in Speyer für die Schuldner- und Insolvenzberatung, 1,75 Stellen sind es in der Sozialberatung. Julia Hoffmann teilt sich diese mit zwei Kolleginnen. Sie kann Guttenbachers Erfahrungen bestätigen. „Die Nachfrage nach Beratung steigt“, sagt sie. 1441 Kontakte stehen in der Statistik ihrer Beratungsstelle für das Vorjahr. 734, also mehr als die Hälfte, waren es bisher 2022, kaum dass der Juni begonnen hatte. Auffällig für Hoffmann: „Wir hören immer öfter die konkrete Frage, ob wir finanziell aushelfen können.“

Gerade wenn das Monatsende auf einen Freitag falle, stünden viele mit Bedarf an Bargeld für die nächsten drei Tage vor der Tür, so Hoffmann. Nach Einzelfallprüfung gebe es etwa 20 Euro aus einem Sozialfonds, sagt sie. Als wichtiger erachtet sie aber die strukturelle Arbeit, damit sich das Dilemma nicht wiederholt.

Hoffmann weiß, dass es in Speyer gerade in der aktuellen Inflationszeit mehr Armut gibt, als konkret bekämpft werden kann. Die Sozialpädagogin ist in einem zweiten Job für die „Mahlzeit“ der Protestantischen Gesamtkirchengemeinde zuständig und hört dort – oft erst auf Nachfrage – nachdenklich Machendes. Der Speiseplan einer Seniorin sehe etwa morgens und abends je eine Scheibe Brot und mittags das „Mahlzeit“-Menü für 1 Euro vor. Ein 70-Jähriger verzichte gar auf das Davor und Danach und ernähre sich nur bei der „Mahlzeit“. Eine Frau habe berichtet, wegen der Teuerung auf Obst und Gemüse zu verzichten. „Das kann es nicht sein“, sagt die Beraterin. Immer wieder helfe sie auch chronisch Kranken, die ihre Medikamente nicht bezahlen könnten.

Teilweise Unwissenheit

Ein Ansatz der Hilfe liegt darin, dass die Betroffenen ihre Möglichkeiten für Sozialleistungen nicht ausschöpften, so Guttenbacher und Hoffmann. Meist geschehe das aus Unwissenheit. Ein anderer sei die Vermittlung zur „Tafel“, so Hoffmann. Dass diese zuletzt nach vielen ukrainischen Zugängen in Speyer einen Aufnahmestopp verhängt hat, sei für viele gravierend. Sie versteht die Kapazitätsprobleme der privaten Hilfseinrichtung, würde sich jedoch wünschen, dass diese etwa mit kleineren Portionen einem größeren Personenkreis hilft.

Guttenbacher schaut ganz genau auf das System der staatlichen Sozialleistungen. Er sagt: Das wachsende Armutsproblem werde „politisch nicht ignoriert“. Die jetzigen Hilfspakete des Bundes seien ein Anfang, „auch wenn sie nicht ganz ausreichen werden“. Ein Grundproblem bestehe darin, dass es Hartz-IV-Beziehern schlicht nicht möglich sei, Rücklagen zu bilden: Die jährlichen Erhöhungen des Arbeitslosengelds II fielen deutlich zu gering aus. pse

Bernhard Guttenbacher
Bernhard Guttenbacher
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