Speyer Speyer: Französische Austauschlehrerin im Interview

Lange Schlange: Die Frankfurter Buchmesse wurde gestern eröffnet. 2016 strömten 277.000 Besucher auf das Messegelände. Gastland
Lange Schlange: Die Frankfurter Buchmesse wurde gestern eröffnet. 2016 strömten 277.000 Besucher auf das Messegelände. Gastland waren die Niederlande und die belgische Region Flandern.

Interview: Frankreich ist Gastland der diesjährigen Buchmesse, die gestern eröffnet wurde und bis Sonntag in Frankfurt stattfindet. Die Französin Claire Damon ist seit August Austauschlehrerin an der Zeppelinschule Speyer. Im Interview mit Katja Edelmann erzählt sie, wie Frankreich-freundlich Speyer ist und welche Kinderbücher aus Frankreich sie empfiehlt.

Lesen deutsche und französische Kinder und Jugendliche überhaupt noch?

Diese Frage hört man oft. Ich glaube, dass sie noch lesen. Aber nicht nur Bücher, auch im Internet. Es gibt noch immer heißhungrige Leser. Die Medien spielen eine wichtige Rolle. Kinder und Jugendliche lesen „Harry Potter“ oder „Twilight“, weil sie Mode sind und von den Medien beworben werden. Außerdem kommt es auf die Familie an: Je mehr Bücher die Eltern zu Hause haben, desto mehr lesen die Kinder. Was kann die Schule tun? Die Schule hat eine tragende Rolle. Das Vorlesen ist wichtig. Es ist ein pädagogisches Geschenk – es sollte keinen Fragebogen, keine Noten danach geben, einfach Vorlesen aus Spaß. Meine Überzeugung und meine Erfahrung als Lehrerin ist, dass jedes Kind Lust auf Geschichten hat. Ich glaube, dass Geschichten die Kinder ernähren, im Bauch ankommen. Es würde vielen Kinder besser gehen, wenn sie mit Märchen und Mythen ernährt würden, die von ihnen sprechen, ihren Kummer oder Probleme in Worte fassen. Die den Appetit auf Lesen wecken. Geschichten hören, also nicht Lesen an sich, ist meiner Meinung nach ein Lebensbedürfnis. Lesen französische oder deutsche Kinder mehr? Das weiß ich nicht. Aber Mädchen lesen mehr als Jungs, in Frankreich ist das auch so. Studien belegen das. Ich kann es nicht erklären. Die Buchhändler, die ich kenne, mögen nicht, wenn die Kunden ein Buch „für ein Mädchen oder für einen Jungen“ suchen. Dagegen muss man ankämpfen als Eltern und in der Schule. Jungen müssen nicht unbedingt nur Abenteuerbücher lesen. Warum nimmt das Interesse an Deutsch als Fremdsprache in Frankreich seit Jahren ab? Der französische Präsident und die Bundeskanzlerin, unsere Staaten sind in der deutsch-französischen Freundschaft verbunden. Aber im Gymnasium wählen die Jugendlichen kein Deutsch. Die Eltern empfehlen Englisch, weil es wichtiger ist. Die lateinischen Sprachen, Italienisch und Spanisch, klingen sexier. Die Sprachen sind uns näher, sind melodiöser, wir verstehen sie besser. Viele empfinden Deutsch als schwieriger. Und es gibt negative Vorurteile: Deutsch sei hart, Grammatik und Aussprache schwierig. Das stimmt nicht, Französisch ist viel schwieriger! In Frankreich glauben viele, auch meine Eltern, dass die Deutschen wirklich so sprechen, wie es in Nachkriegsfilmen karikiert wurde. Was sagen Sie denen, die die deutsche Sprache nicht mögen? Ich liebe die deutsche Sprache, nicht trotz, sondern wegen der Grammatik! Es hat angefangen, als ich den Film „Der Himmel über Berlin“ gesehen habe. Diese Sprache haben wir Peter Handke zu verdanken. Den Film habe ich als Schülerin gesehen, mit 15, 16 Jahren. Ich war begeistert von der Sprache, die ganz weich klang wie ein Fluss. Das ist meine Idee von der deutschen Kultursprache. Wer ist Ihr deutscher Lieblingsautor, wer der französische? Auf Deutsch ist es Stefan Zweig. Bei den aktuellen Autoren kenne ich mich nicht so gut aus. Ich würde gern mehr Gegenwartsliteratur entdecken. Auf Französisch könnte ich mich nicht entscheiden! Ich lese spanische, englische, klassische russische oder amerikanische Gegenwartsliteratur. Wie freundlich gegenüber Franzosen ist Speyer? Als Franzosen sind wir so schön empfangen worden. Mein erster Eindruck ist, dass viele die Sprache können. Es gibt die Deutsch-Französische Gesellschaft mit Filmen, der Bücherei, einem Chor. Bei der Filmvorführung letztens waren 40 bis 50 Leute da. Die französische Bibliothek ist ein schöner Ort in Speyer. Ich war erstaunt, wie viele neuere französische Gegenwartsbücher es dort gibt.

Fühlt sich in der Domstadt wohl: Austauschlehrerin Claire Damon.
Fühlt sich in der Domstadt wohl: Austauschlehrerin Claire Damon.
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