Speyer Aha-Effekt auf „heißem Stuhl“

Gespräche wichtig: Thorsten Unsöld ist ein erfahrener Trainer.
Gespräche wichtig: Thorsten Unsöld ist ein erfahrener Trainer.

Eine häufige Auflage in Verfahren des Speyerer Amtsgerichts ist ein Anti-Gewalt-Training. Es soll vorwiegend jungen Straftätern dabei helfen, sich zu ändern. Die RHEINPFALZ hat mit einem Teilnehmer gesprochen. „Ich werde nie wieder vor Gericht stehen“, sagt er.

Montags, Jugendschöffengericht im Speyerer Amtsgericht: Ein junger Mann von 19 Jahren, das Jugendstrafrecht stuft ihn als „Heranwachsenden“ ein, sitzt auf der Anklagebank. Er hat vor einem Jahr nachts auf dem Heimweg vom Brezelfest, mehrere Biere und ein paar Wodka intus, mit Schwung gegen ein geparktes Auto getreten. Es hat gerummst, eine Ecke vom Kotflügel hängt jetzt lose, wegen des Lärms hat ihn ein Nachbar gesehen und die Polizei alarmiert. Er ist für die Justiz kein Unbekannter. Ein Jahr vorher stand er schon einmal vor Gericht. Das Gericht hört sich an, was der Vertreter der Jugendgerichtshilfe zu sagen hat, kommt zu dem Urteil einer Bewährungsstrafe, als Bewährungsauflage soll der junge Mann ein Anti-Gewalt-Training absolvieren. Denn, darüber sind sich mehrere Beteiligte, einig: Der Mann hat sich nicht im Griff, reagiert auf Frust mit Fäusten und Tritten, das muss sich nicht auf Autos beschränken. Der Fall ist konstruiert, aber so oder ähnlich läuft es öfter ab. Was passiert nun mit ihm bei diesem Anti-Gewalt-Training? Macht es gewaltbereite junge Leute zu ordentlichen Staatsbürgern? Einer, der im Frühjahr 2017 ein solches Training absolviert hat, ist, zusammen mit dem Trainer, zum Gespräch bereit. Der Speyerer Frank Müller (Name geändert) ist 23 Jahre alt und fest davon überzeugt, dass er nie wieder vor Gericht stehen wird. Die Zeichen dafür stehen gut: Er hat einen Job, ist weg von Drogen und Alkohol und hat eine Familie, die hinter ihm steht. „Mein kleiner Bruder soll mich nicht als schlechtes, sondern als gutes Beispiel vor Augen haben“ – das ist ihm sehr wichtig. Ihm gegenüber sitzt Thorsten Unsöld, sein Trainer. Er ist Mitarbeiter der Gesellschaft für Konfliktmanagement mit Sitz in Wiesloch. Er ist Jugend- und Heimerzieher, war in einem Heim für männliche Jugendliche tätig, ehe er die Ausbildung zum Anti-Agressionstrainer gemacht hat und 2013 zu seinem heutigen Arbeitgeber gewechselt ist. Ursprünglich, zu Beginn seines Berufslebens, hat er mit einer Handwerkerlehre begonnen. Man traut ihm sofort zu, dass er mit schwierigen Jugendlichen umgehen kann, nicht nur, weil er größer und athletischer als die meisten sein dürfte. Das Training macht er zusammen mit einem Kollegen. „Wir müssen sofort Autorität ausstrahlen, ohne dass wir erst darüber reden müssen“, erklärt er. „Und wir müssen die Sprache dieser Jugendlichen sprechen, eine andere als Richter, Rechtsanwälte und Lehrer. Sonst nehmen sie uns nicht ernst.“ Müller hat ihn sehr ernst genommen. „Zuerst hab’ ich gedacht, ich bin im falschen Film, ich gehöre da nicht dazu. Da waren welche dabei, die hatten Menschen mit dem Messer schwer verletzt, und ich hatte nur einen Außenspiegel von einem Auto kaputtgemacht.“ Er kann nicht nur nach mehreren Monaten noch genau erzählen, wie das Training ablief, sondern auch, was man ihm zur Entstehung von Gewaltkonflikten erklärt hat. Die „Statuswippe“ ist dafür der Fachbegriff: Jeder will im Konflikt den anderen dominieren, einen höheren Status als der andere erreichen. So schaukeln sich die Rivalen gegenseitig in die Gewalt hoch. Der Lerneffekt liegt darin, früh auszusteigen. Dazu muss man aber etwas haben, eine Art inneren Anker, der einen zurückhält. Bei Müller war dies die Familie, der Gedanke an den kleinen Bruder. Elf Teilnehmer waren es bei seinem Kurs, neun davon haben ihn nach 15 Sitzungen erfolgreich abgeschlossen. Erst geht es darum, die eigene Biografie ausführlich zu erzählen. Etwa ab der neunten Einheit kommt der „heiße Stuhl“: Jeder Teilnehmer muss sich darauf dem verbalen Kreuzfeuer der anderen stellen. Munition gibt es genug durch die vorhergegangenen Erzählungen über die Lebensläufe. Erfolgreich ist das Ganze, wenn der emotionale „Knackpunkt“ gefunden wird. „Garantien gibt es nie“, gibt sich Unsöld vorsichtig. „Aber das Training kann schon Wichtiges bewirken, wenn es die Teilnehmer wirklich wollen.“

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