Rhein-Pfalz Kreis Viel Lärm ums stille Örtchen

Georg Sandmann referiert in Schifferstadt über die Geschichte der Toilette und darüber, wie die Gesprächskultur unter der Einfüh
Georg Sandmann referiert in Schifferstadt über die Geschichte der Toilette und darüber, wie die Gesprächskultur unter der Einführung von Einzelklos gelitten hat.

«Schifferstadt.»Mit der Entwicklungsgeschichte der Toilette vom Biedermeier bis heute hat sich Autor Georg Sandmann am vergangenen Sonntag zum Jahresabschluss im Schifferstadter Schreiwer-Hais’l beschäftigt. Mit dem Ergebnis, dass früher zwar nicht alles besser, aber deshalb auch nicht unbedingt schlecht war. Ein Vormittag vollgepackt mit Geschichte, Anekdoten und Debatten rund um den „Thron des Hauses“.

Das kleine Wohnzimmer des Schreiwer-Hais’ls in Schifferstadt ist bereits eine halbe Stunde vor Beginn der Veranstaltung gut gefüllt. Beate Holzwarth, die seit dem Tod ihres Lebensgefährten Claus Jürgen Müller das kleine Kulturhaus leitet, begrüßt jeden einzelnen herzlich. „Wir sind wie eine große Familie, viele sind dem Schreiwer-Hais’l schon seit Jahren treu“, sagt sie strahlend. Hier käme man zusammen, um gemeinsam die Mundartkultur zu pflegen. Dafür wird jedes Jahr ein gemischtes Programm mit gut 20 Veranstaltungen von Januar bis Oktober angeboten. Altbewährte oder neuentdeckte Künstler und Autoren halten Vorträge, Lesungen oder spielen Kabarett. Dabei ginge es durchaus nicht immer nur um Jux und Tollerei, sondern es würden auch ernste Themen angesprochen, erklärt Holzwarth. „Alle haben mal bei uns angefangen, sogar Christian Habekost“, sagt sie stolz. An diesem Sonntagvormittag hält Georg Sandmann aus Mannheim einen Vortrag mit einem ungewöhnlichen Titel „Die Retirade im Biedermeier“. „Mit Retirade ist die Toilette gemeint. Das Wort kommt aus dem Französischen und bedeutet so viel wie sich zurück ziehen“, sagt der Autor, der auch Leiter des Mannheimer Quadrate-TV-Verlags ist. Er möchte zeigen, wie das stille Örtchen durch die Industrialisierung den Weg in unsere Häuser gefunden und damit auch unsere heutige Demokratie maßgeblich geprägt hat. Dafür macht Sandmann mit seinen Zuhörern eine Reise durch die Geschichte der Retirade vom frühen 19. Jahrhundert bis zur Neuzeit. Er erklärt, wie aus der ursprünglichen Retirade, einem gemeinschaftlich genutzten Plumpsklo im Innenhof, erst ein Abort im Zwischenstock der Häuser und schließlich mit den ersten Wasserleitungen ein WC wurde, wie wir es heute kennen. Dabei habe die ursprüngliche „Donnerbalken-Situation“ im Freien aber auch ihre Vorteile gehabt. „Bei vielen Menschen kam es oft zu langen Warteschlangen. Das hatte natürlich den Vorteil, dass man dort eine völlig freie Unterhaltung führen konnte – zugegeben – bei oft großem Druck“, sagt Georg Sandmann scherzend. Durch die Verlegung der Toilette ins Private sei aber auch in gewissem Maß eine freie Gesprächskultur unterbunden worden. Frei nach dem Motto „Teile und du kannst sie besser beherrschen“, verknüpft Sandmann sein Thema mit der Politik. „Wir kommunizieren gar nicht mehr richtig miteinander“, zieht er seine Bilanz und regt damit am Ende seines Vortrags eine rege Diskussion über Datenschutz, Smartphones und die Jugend an. Auch wenn nicht alle Zuhörer am Ende mit Georg Sandmanns Theorien einer Meinung sind, gibt es nur positive Worte für diesen Jahresabschluss. „Ach is des klohr, zum Abschluss vom Johr endlich wieder im Hais’l, im engschde Kreisel“, schreibt etwa das Ehepaar Ziegler ins ausliegende Gästebuch des Hauses. „Das heute ist mal was ganz anderes. Ein interessantes Thema das zum Denken anregt“ meint Hans Peter Ron, ehrenamtlicher Helfer im Schreiwer-Hais’l. Er freut sich jetzt schon auf das nächste Jahr und die kommenden Veranstaltungen. So wie die anderen anwesenden Gäste, die beim Abschied schon neugierig nach den neuen Programmheften fragen.

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