Neuhofen/Mannheim Die Welt trifft sich im Schrebergarten: Geschichten, Gartentipps und Rezepte

Antal wurde in Deutschland zum Toni. Das ist fast 70 Jahre her. Er ist einer von vielen Kleingärtnern, die Sabine Kress in ihren
Antal wurde in Deutschland zum Toni. Das ist fast 70 Jahre her. Er ist einer von vielen Kleingärtnern, die Sabine Kress in ihren Fotos porträtiert hat.

Der deutsche Gartenzwerg ist auf dem Rückzug. Thailändischer Wasserspinat und laotische Bittergurke sind auf dem Vormarsch: Die Mannheimer Fotografin Sabine Kress und RHEINPFALZ-Autorin Kathrin Hentzschel aus Neuhofen haben für das Projekt „Angekommen“ die kulturelle Vielfalt in Mannheimer Kleingärten eingefangen, gekostet und genossen. Daraus entsteht ein Buch, das berührt, aber auch an den Herd und in den Garten lockt.

In Toni sind eigentlich alle sofort verliebt. Wie er da so mit seiner Strickjacke an der Tür seines Pachtgartens am Herzogenriedpark steht. Um ihn herum ist alles wunderbar grün, orange Blütentupfer leuchten aus der Hecke. Toni ist Jahrgang 35, in Ungarn in der Nähe von Budapest geboren und heißt eigentlich gar nicht Toni, sondern Antal. Mit zehn Jahren kam er nach Deutschland. Als er mit 18 seinen ersten Reisepass beantragte, konnte der Beamte mit seinem Namen nichts anfangen und machte ihn kurzerhand zum Anton – und für Freunde zum Toni. Rund 70 Jahre danach wird er nun wohl zum Titelhelden. Ein Foto muss ja vorne auf das Buch. Allerdings gibt es Hunderte wunderbarer Porträts und Gartenfotos auf Sabine Kress’ Computer. Wer die Wahl hat, hat die Qual. Und Helden sind auf ihre Weise alle Menschen, die die Fotografin im vergangenen Sommer in Mannheimer Kleingärten aufgenommen hat.

Kathrin Hentzschel (links) und Sabine Kress bei der Arbeit: Es gilt, Fotos auszuwählen und die Texte dazu zu besprechen.
Kathrin Hentzschel (links) und Sabine Kress bei der Arbeit: Es gilt, Fotos auszuwählen und die Texte dazu zu besprechen.

Rund sechs Monate später, ein Donnerstagvormittag in der Neckarstadt. Gemütliche Altbauwohnung. Sabine Kress (62) und Kathrin Hentzschel (57) haben ihr wöchentliches Arbeitstreffen. Aus den Bildern soll ein Buch werden. Ein Buch, das Menschen zeigt, ihre Geschichte erzählt, ihre Liebe zum Gärtnern, zum Leben, Kochen und Feiern. Im Juni soll es gedruckt werden. Der Titel: „Angekommen. Kleingärten, wo die Welt sich trifft.“ Ein Haufen Arbeit liegt hinter Kress und Hentzschel. Und noch vor ihnen. Aber das Buchprojekt ist nicht nur Arbeit, es ist auch eine Herzensangelegenheit. „Wir haben so unheimlich tolle Erfahrungen gemacht, tolle Menschen getroffen“, sagt Sabine Kress. „Und wir haben uns um die halbe Welt gefuttert“, ergänzt Kathrin Hentzschel und lacht.

Zum Aufessen

Ein Garten zum Aufessen ist also ganz in ihrem Sinne, ein Garten wie Long und My ihn haben, beziehungsweise Longs Eltern. Blumen sucht man da vergebens. „Hier wachsen Momordicacharantia, Benincasa hispida, Sechium edule und Sauropus androgynus. Oder auf Deutsch: Bittermelone, Wachskürbis, Chayote und Spinatstrauch. Pflanzennamen, die nur wenigen Menschen etwas sagen, denn dieses Fleckchen Erde ist ein wahres Schatzkästlein exotischer Gemüsesorten. Im Halbschatten der zahllosen Kletterhilfen und Rankgerüste gedeihen Wasserfenchel, Sesampflanzen, roter Amaranth und Fischminze“, schreibt die Neuhofenerin in ihrem Text für dieses Porträt, das einer vietnamesischen Familie gewidmet ist. Beim Weiterlesen lernt man die vier Menschen besser kennen und bekommt sofort Hunger auf Mys Banh Xeo. „Es ist ein Wahnsinn, wie gut sich Vietnamesen mit Kräutern auskennen. Sie werden für die abwechslungsreiche Küche genutzt, aber auch als Medizin oder zur kosmetischen Anwendung. Wir haben so tolle Tipps erhalten und sind so freundlich in ihrem Garten empfangen worden“, erzählt Sabine Kress.

Alle Gartenbesitzer, egal welcher Nation, haben sich ihr geöffnet, aber dafür hat sie auch viel Zeit investiert. Sie hat Kontakte gebraucht, um überhaupt an die Menschen heranzukommen. „Und dann geht man ja nicht einfach in den Garten, sagt Hallo, erklärt, dass man ein Buch schreiben will, und legt los.“ Bei vielen Treffen und mit Feingefühl hat sich die Fotografin den Leuten genähert und ist belohnt worden. „Ich habe nicht nur viele interessante und berührende Lebensgeschichten erzählt bekommen, ich habe auch viel gelernt über Lebenseinstellungen, andere Länder, Traditionen. Und letztendlich auch so manches freundschaftliche Band geknüpft, das über das Buchprojekt hinaus halten wird.“

Was ist Käsekraut?

„Eine Hand alleine kann nicht klatschen“ – mit einem Zitat beginnt jede im Buch in Bildern und Worten erzählte Geschichte. Dieses Zitat gehört zu Frau Vans und Herrn Pa, die aus Laos kommen und eigentlich furchtbar komplizierte Namen haben. In ihrem Garten treffen sich Genießer. Wenn Vans kocht, ist im Garten immer etwas los. Gemeinsam essen ist ihr wichtig. Und beim Weiterblättern in der vorläufigen Version dieses ungewöhnlichen Gartenbuchs wird klar, ohne enormen Appetit zu bekommen, wird man es nicht lesen können. Gartenfans werden Lust verspüren, einige der vielen Tipps auszuprobieren, und sich vielleicht auch mal an dem einen oder anderen exotischen Pflänzchen versuchen. Am Käsekraut etwa, das wie Camembert schmecken soll, oder an der Indianer-Banane, die für sich allein – ohne dass irgendetwas dazu muss – ein traumhafter Nachtisch ist.

Das Buch kann Inspiration sein. Es will Lebensfreude vermitteln. Und es macht Laune, selbst ein Gartenfest zu schmeißen, wie François und Rose es oft und gerne tun. Der Franzose und die Thailänderin haben durch ihre offene Art und ihre vielen Kontakte Sabine Kress geholfen, andere Gartenbesitzer kennenzulernen. „Die zwei sind einfach toll“, sagt sie. Und Kathrin Hentzschel freut sich schon auf das Fest, das die beiden geben wollen, wenn das Buch fertig ist. Im Sommer. Wenn es in den Gärten wieder grünt und blüht und sich alle „Angekommen“-Leser, die selbst einen Garten haben, über den Tipp freuen, wie ein Rasen den ganzen Sommer über grün bleibt. Der kommt von Kay aus Thailand und ihrem niederländischen Mann Henk, die sich im Übrigen für ein Miteinander aller Ethnien in der Gartenanlage am Aubuckel eingesetzt haben. „Und das ist auch etwas, das wir mit dem Buch zeigen wollen“, sagt Sabine Kress, „wie gut Integration gelingen kann. Ob nun in den Anlagen am Aubuckel, auf der Friesenheimer Insel oder am Herzogenriedpark – die Welt ist vielfältig geworden in den Mannheimer Kleingärten. Hier leben und feiern Menschen aus Laos, Indien, Afghanistan, Frankreich, Syrien und Deutschland miteinander.“

Kleine Paradiese

Das Buch soll alle Sinne ansprechen und das Leben in den Kleingärten von einer bisher unbekannten Seite zeigen. Denn das ist es, was Sabine Kress’ Schaffen als Fotografin unter anderem ausmacht: den Menschen eine Welt zeigen, die sie so noch nicht gesehen haben. Vier Jahre lang hat sie etwa den Alltag im Mannheimer Rotlichtviertel in der Lupinenstraße fotografisch begleitet. Oder sie hat zum 125-jährigen Bestehen des Modehauses Engelhorn in Mannheim mit drei Kollegen ihre Sichtweise auf Engelhorn fotografisch umgesetzt. Ausgangspunkt für ihr Projekt waren Schaufensterpuppen und die kindliche Frage: Was passiert nachts im Kaufhaus? „Meine Bilder erzählen von den stillen Mitarbeitern und wie sie sich nachts an unterschiedlichen Orten entspannen.“

Vor zwei Jahren habe sie gemerkt, dass sie neben verschiedenen Auftragsarbeiten auch wieder ein ganz eigenes Projekt braucht. „Ein Freund meinte zu mir, dass doch bald die Buga sei und die sich vielleicht als Thema anbiete.“ Ein Gartenbuch ist es geworden, aber mit der Bundesgartenschau, die im April startet, hat es inhaltlich nichts zu tun. „Die Buga hat mir jedoch grünes Licht für eine Ausstellung im Herbst gegeben.“

Die wahren Gartenparadiese liegen dann gar nicht weit weg vom Buga-Rummel. Kleingärten, in denen neben letzten bunten Gartenzwergen glänzende Buddhafiguren stehen und zu Bohnengemüse und Kopfsalat thailändischer Wasserspinat und laotische Bittergurke Einzug gehalten haben – und eben die Freundschaft.

Das Buch

Das Werk von Sabine Kress heißt „Angekommen. Kleingärten – wo die Welt sich trifft“. Gedruckt werden soll es im Juni 2023. Da die Kosten dafür sehr hoch sind, sucht Sabine Kress noch Förderer für das Projekt. Wer mag, kann das Buch jetzt schon zum ermäßigten Vorverkaufspreis von 25 Euro bestellen – möglich ist das bis zum 31. März. Interessierte überweisen den Betrag für die gewünschte Anzahl an Exemplaren unter Angabe der Adresse im Verwendungszweck auf das Konto von Sabine Kress: IBAN DE 59 6709 0000 0097 4525 04. Die Bücher werden voraussichtlich bis August geliefert. Sollte sich das Erscheinungsdatum verzögern, wird das Geld zurücküberwiesen. Ab August soll das Buch im Handel für 28 Euro erhältlich sein.

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