Rhein-Pfalz Kreis Die Restmülltonne hat noch Zeit

91-74119880.jpg

„Kuchen?“, fragt Helga Samsel. Khaled und die anderen fünf Syrer nicken. „Ah, Kuchen!“, antworten die jungen Männer. Helga Samsel lächelt. „Na, dann setzt euch mal hin!“, sagt die ehrenamtliche Helferin und deutet auf den großen Tisch im Eingangsbereich des alten Johanniter-Heims am Kurpfalzplatz. Die Tafel ist hübsch gedeckt, an jedem Platz stehen Teller und Kaffeetasse auf einer Serviette mit buntem Blumenmotiv. Samsel verteilt den Buttermilch-Kokos-Kuchen, fragt dann: „Kaffee oder Chai?“ Dass Tee in vielen Sprachen – Chinesich, Russisch, Persisch oder eben Arabisch – „Chai“ heißt, haben die Helfer schnell gelernt. Die Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Pakistan trinken viel Tee. Khaled wählt heute dagegen Kaffee. „Mit Milch?“, fragt Samsel. „Ja, milk please!“, entgegnet der Syrer. „Mil-ch“, spricht es Samsel noch einmal vor, langsam und deutlich. Khaled wiederholt es immer wieder, bis die Aussprache stimmt. „Milk. Milg. Milsch. Milch. Milch!“ Er trinkt einen Schluck und widmet sich dann dem Kuchen. Den hat Helga Samsel gebacken, zum dritten Mal diese Woche, weil er den jungen Männern so gut schmeckt. Als die Gemeinde nach Freiwilligen suchte, hat sie sich gleich gemeldet, obwohl sie sich nicht sicher war, „ob die mich überhaupt brauchen können“. Ähnlich ging es ihrer „Kollegin“ Annemarie Cornelius: „Ich kann zwar kein Englisch, aber einfache Aufgaben sind kein Problem.“ Berührungsängste haben die beiden trotz der Sprachbarriere nicht. Zur Not geht’s halt mit Händen und Füßen. „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt Samsel. Die beiden sind an diesem Dienstag in der Flüchtlingsunterkunft, weil am Nachmittag fünf weitere Asylbewerber ankommen sollen. Wann genau, wissen sie nicht. Also sitzen Helfer und Flüchtlinge schon einmal zum Kaffeeklatsch beisammen. So gut das mit dem „Klatsch“ eben geht, wenn einer die Sprache des anderen nicht versteht und auch nicht alle Englisch sprechen. Von den Syrern ist lediglich Khaled fit in Englisch. Was er versteht, übersetzt er für seine Landsleute ins Arabische. Wenige Meter von der Kaffeetafel entfernt hat Iris Strache ihr Büro. Sie koordiniert für die Gemeinde die Unterbringung der Flüchtlinge – rund 80 sind es derzeit in Bobenheim-Roxheim, die Hälfte davon lebt in der Sammelunterkunft – und die Arbeit der ehrenamtlichen Helfer, an die sie Mails schickt. Wenn die Asylbewerber ankommen, damit sie nicht nur Gemeindemitarbeiter, sondern auch Bobenheim-Roxheimer Bürger willkommen heißen. Wenn Möbel, Decken, Kleider, Gardinen oder Geschirr benötigt werden. Oder ein Flüchtling Hilfe bei Behördengängen braucht. An der Bürowand hängt eine Weltkarte, auf dem Regal steht ein Band „Ausländerrecht“. Auf ihrem Schreibtisch liegen Mappen bereit für die Flüchtlinge, die an diesem Nachmittag ankommen. Infos zu Brandschutz, Bad- und Küchenhygiene hat sie zusammengestellt und, typisch deutsch, das Prinzip der Mülltrennung erklärt, inklusive arabischer Übersetzung. Später wird Strache die Neuzugänge zu zweit oder zu dritt in ihr Büro rufen, die wichtigsten Dinge erklären, aber auch persönliche Angaben abfragen, zum Beispiel Schulbildung, Ausbildung, Berufserfahrung, Sprachkenntnisse außer der Muttersprache. Swedaun aus Pakistan hat sich zur Gruppe gesellt. „Kuchen? Cake?“, fragt Helga Samsel wieder. „Yes, and chai please“, antwortet er. Seit zwei Monaten und 15 Tagen ist er in Deutschland, berichtet der junge Mann, seit fünf Tagen in Bobenheim-Roxheim. Er will möglichst schnell Deutsch lernen, denn ohne Sprachkenntnisse, weiß er, kann er sich hier kein Leben aufbauen. Englisch beherrscht er gut, Arabisch kann er nicht – auch er verständigt sich mit den Syrern manchmal mit Händen und Füßen. Am nächsten Tag wollen sie trotzdem alle gemeinsam nach Ludwigshafen auf die Kreisverwaltung fahren, „Ausweise“ beantragen. Hallo, Kuchen, Milch, Ausweis – das deutsche Vokabular wächst. Khaled zerbricht sich derweil den Kopf, bei welcher Bank er ein Konto eröffnen soll. Helfer Georg Mergler hat ihm Infobroschüren von zwei Geldhäusern mitgebracht, die unterschiedliche Kontomodelle anbieten. Bis Mergler Khaled die Unterschiede erklärt hat – halb auf Deutsch, halb auf Englisch, und mithilfe eines Arabisch-Wörterbuchs auf seinem Tablet-PC –, dauert es. Dann lacht Khaled, und erklärt den anderen die Kontomodelle. Entschieden hat sich Khaled noch nicht, er will erst noch mit seiner Freundin telefonieren. Ob er die Broschüren noch etwas behalten darf, fragt er. Mergler nickt. Khaled strahlt. „Dankeschön!“ Helga Samsel und Annemarie Cornelius schenken Kaffee nach, weitere Helfer treffen ein. Gemütliche, fast heimelige Stimmung kommt auf. Links und rechts vom Foyer führen Gänge in Überbreite zu den Schlafräumen. Der Handlauf an den Wänden erinnert noch an die frühere Funktion des Hauses als Pflegeheim, Namensschilder an den Türen erleichtern die Orientierung. Pro Zimmer finden zwei bis drei Menschen Platz. Die Räume sind sauber, geräumig, die Einrichtung ist schlicht, funktional: ein Stockbett, ein Ess- und Schreibtisch, Stühle, eine Küchenzeile mit Herdplatte, zwei Schränke, ein eigenes Bad. Für den Gemeinschaftsbereich im Flur des ersten Stocks fehlen noch Sitzgelegenheiten, im Keller soll aus der ehemaligen Küche eine Fahrradwerkstatt werden, im Freizeitzimmer neben der Waschküche stehen Kicker und Tischtennisplatte. Die Wände: kahl, kühl. Noch. So schnell es geht, will Strache die Gestaltung der Räume angehen, damit es gemütlicher wird. Die Flüchtlinge sollen selbst Hand anlegen, kreativ werden, zum Beispiel Leinwände bemalen – auch, damit sie eine Beschäftigung haben, solange sie in Deutschland noch nicht arbeiten dürfen. Ein Lehrer vom Frankenthaler Albert-Einstein-Gymnasium hat angeboten, mit seiner Klasse vorbeizukommen. Vielleicht, erzählt Strache, können Schüler und Flüchtlinge zusammen ein Kunstprojekt verwirklichen. Noch ein Bobenheim-Roxheimer Bürger schaut vorbei, ist neugierig, woher die Männer kommen. „Homs, Syria.“ – „Damaskus, Syria.“ – „Aleppo, Syria.“, antworten die Flüchtlinge. Dann fragt der Helfer die dunkelhaarige RHEINPFALZ-Reporterin, die mit am Tisch sitzt, auf Englisch: „Und Sie sind auch aus Syrien?“ – „Äh, nein, ich bin von hier… “ Er schaut verdutzt, lacht dann aber mit den Syrern und der Reporterin und verabschiedet sich kurz darauf wieder. Khaled sieht zum Fenster hinaus. Da kommen sie, die nächsten fünf Flüchtlinge für Bobenheim-Roxheim. Sie treten ein, voll bepackt mit Rucksäcken und schweren Koffern. Die werden schnell abgestellt. Dann ein großes „Hallo!“, „Guten Tag!“ und „Willkommen!“, Händeschütteln reihum. „Kuchen? Kaffee? Chai?“, fragen die Helferinnen wieder. „Kuchen!“, antworten die vier Männer und eine Frau aus Syrien, lächeln und nehmen Platz. Erst einmal ankommen. Brandschutzverordnung und Restmülltonne können noch etwas warten.

x