Pirmasens Verwirrende Welt des Dadaismus

91-78518493.jpg

Mit einem Fest des Irrsinns tauchten am Freitagabend gut 250 Pirmasenser in die verwirrende Welt des Dadaismus. Mehrere Dutzend Akteure hatten im Kuppelsaal der Alten Post mit einem 80-minütigem Spektakel eine Zeitreise in das legendäre Cabaret Voltaire geboten, in dem am 5. Februar 1916 die neue Kunstrichtung ihren Ursprung fand.

„Was für ein fulminanter Auftakt zum Dada-Jahr“, kommentierte Oberbürgermeister Bernhard Matheis den Abend und insbesondere die Schenkung des Werks „Auf der Smaragdwiese wandelt der Buchstabenbaum“ von Josua Reichert. Der Künstler hatte von Oktober 2015 bis Freitag im Forum Alte Post seine Buchstabenarchitekturen ausgestellt und der Stadt das Werk gestiftet, das so wunderbar zu Ball zu passen scheint. Ja, der Kuppelsaal der Alten Post verwandelte sich am Freitag in das legendäre Cabaret Voltaire in Zürich – wenigstens annähernd – und Dank der Aufführungen des Kant- und Ball-Gymnasiums und der Kinderkantorei unter der Leitung von Maurice Croissant wurde Dada lebendig. „Zum Fest des Irrsinns soll Kunst und Kultur in jeder Form geboten werden: Theater, Lesungen, Ausstellungen“, versprach Matheis, der kein elitäres Publikum für Kunst haben möchte, sondern das Haus für Kinder und Jugendliche öffnen will. Es sei verbrieft, dass einst das Publikum schon während der ersten Dada-Vorführung ausgerastet sei, lächelte Matheis und lud die Pirmasenser genau dazu ein. Am Freitag klappte das noch nicht, aber das Dada-Jahr hat auch erst begonnen. Kulturamtsleiter Rolf Schlicher hatte aus dem Fundus der Stadtverwaltung historisches Mobiliar aufgetrieben und mit der Raumgestaltung die Brücke zum Cabaret Voltaire in Zürich geschlagen. Dass der Andrang so groß sein würde, konnte keiner ahnen. „Wenn die Menschen an dem Thema so interessiert sind, dass sie sogar bereit sind zu stehen, sind wir auf dem richtigen Weg“, meinte OB Matheis zufrieden. Zum Auftakt servierten zwei Chorklassen des Kant-Gymnasiums unter der Leitung von Volker Christ und Steffi Sieber-Christ sowie der Kinderkantorei mit Maurice Croissant die Ball-Klassiker „jolifanto bamblo“ und „brulba dori“ und sangen „Das Gespenst“. Begleitet wurden die Schüler von Maurice Antoine Croissant am Klavier und Jan Hemmer am Cajon, der den Besuchern der Alten Post schon von so mancher Performance bekannt ist. Den wissenschaftlichen Teil des Abends lieferte der renommierte Ball-Kenner Eckhard Faul, der tagtäglich das Ballsche Werk in Händen hält. „Ball wäre begeistert, wenn er den Abend miterleben könnte“, meinte der Literaturwissenschaftler, der einen amüsanten und interessanten Vortrag zu Dada und vor allem Hugo Ball hielt. Er sinnierte über die Bedeutung des Wortes Dada, das im Pirmasenser Dialektwörterbuch nicht verzeichnet sei, aber im Pfälzischen und Hessischen wohl Erwähnung findet. Die Bedeutung Dadas als kindliches Lallwort sei wichtig, unterstrich Faul. Auch dass das Wort keinen Sinn habe und es nur folgerichtig sei, dass der Abend des Dada-Jubiläums den Kindern gehöre. Dann verriet er, warum und wo der Dadaismus wirklich seine Wurzeln habe. Ball bekannte höchstpersönlich, dass er sich just in dem Moment seines ersten Lautgedichtes an eine bedeutende Urszene erinnert habe: Er sah sich als Zehnjähriger in der Pirminiuskirche. Außerdem hätte der Künstler Dada kreiert, weil er „seinen eigenen Unsinn“ wollte. Eine wahrhafte „Welturaufführung“ erlebten die Besucher mit dem Stück von Bernd Renner „100 Jahre Cabaret Voltaire“. Der Lehrer des Ball-Gymnasiums hatte mit dem Schülerchor „Heart Chor Guys“, der AG Medien und der Tanz AG Maverick einen interdisziplinären und kritischen Ansatz verfolgt. Kriegsgeräusche waren zu hören, Krieg wurde thematisiert, genau so wie die Produktionssteigerung, die Unterwerfung der Menschen unter ihre Götzen, die Massenmedien und dass die Menschheit nichts gelernt habe. Obwohl inzwischen so vieles anders ist. Unterbrochen wurde die Lesung wiederholt von den Mädchen der Tanz AG Maverick, um mit Musik und Bewegung das Gesagte zu kommentieren und kontrastieren. „Seien sie nicht so alltäglich, so oberflächlich und rational“, war die Botschaft und das Publikum war begeistert. Die Text- und Toncollage von Renner ließ Teile des Ballschen Werkes dreidimensional erlebbar werden. Rolf Schlicher war beeindruckt: „Niemand hat gesagt, dass Kunst leichte Kost ist.“

x