Pirmasens „Musik ist keine Religion“
Drei Kinder in einem englischen Seestädtchen: Enoch, Philipp und Annie wachsen in enger Freundschaft auf, später wird es Liebe: Annie muss sich entscheiden – heiratet Enoch. Einige Jahre später verabschiedet sich Enoch von seiner Frau und den gemeinsamen Kindern auf eine weite Handelsschifffahrt mit der Hoffnung auf Wohlstand für die FamilieDie Ballade von Lord Alfred Tennyson aus dem Jahr 1864 wurde von Richard Strauß 1897 als op. 38 für Sprecher und Klavier vertont. Eine der seltenen Aufführungen dieses Werks ist im Rahmen des Festivals Euroclassic am Donnerstag, 29. Oktober, 20 Uhr, in der Pirmasenser Festhalle zu erleben. Rezitator ist der Schauspieler Bruno Ganz, den musikalischen Teil übernimmt der Pianist Kirill Gerstein, mit dem sich unser Redakteur Christian Hanelt unterhielt.
Bruno Ganz und ich waren zur gleichen Zeit in Ittingen bei dem Festival von András Schiff engagiert – ich habe mit Schiff vierhändig gespielt und Bruno hat in einem anderen Programm etwas gelesen. An einem Abend habe ich Bruno dann gefragt, ob er mit mir „Enoch Arden“ aufführen würde. Ich kenne das Stück schon seit Jahren, habe es aber noch nie in einem Konzert erlebt. Es gibt allerdings eine musikalisch sehr schöne Aufnahme von Glenn Gould auf Englisch. Man kann das nämlich in Englisch und Deutsch aufführen. Bruno sagte, er würde es gerne aufführen, sei aber doch sehr beschäftigt mit dem Theater. Ich solle ihm mal eine Aufnahme schicken und er wolle es dann mal durchhören. Es wurde dann eine Art Running Gag, denn ich habe alle drei, vier Monate bei ihm angerufen oder ihm ein Mail geschickt. Er aber sagte, das Theaterprojekt sei nun zwar vorbei, aber jetzt brauche er ein bisschen Ruhe. Ich solle in ein paar Monaten wieder nachfragen. Das habe ich dann auch gemacht, aber da war er schon wieder mit einem neuen Film beschäftigt. Wir haben zwar immer darüber gelacht, aber ich war überhaupt nicht sicher, ob das überhaupt irgendwann mal etwas wird. Doch eines Tages kam eine Mail, in der er schrieb, dass er das Gedicht jetzt durchgelesen und das Stück durchgehört habe und er es jetzt unbedingt machen möchte. Im Vergleich zu dem Hin und Her davor ging es dann ganz schnell. Es gibt zwei Versionen des Gedichts. Nach welchen Entscheidungskriterien haben Sie eine ausgewählt? Ja, es gibt zwei Übersetzungen des Gedichts auf Deutsch. Und als wir uns zum ersten Mal trafen, haben wir beide Versionen stundenlang verglichen. Oft machen Schauspieler Schnitte und werfen Teile des Gedichts raus. So ist es auch bei diesem Stück eine interpretatorische Frage, was nötig und was weniger nötig ist, was also weggelassen werden kann, denn das Gedicht ist doch ziemlich lang. Und wir haben uns gefragt, was musikalisch dem Zuschauer hilft, dem Text zu folgen. So hat Bruno eine eigene Version gemacht. Das war faszinierend zu erleben. Was schätzen Sie an Bruno Ganz? Es ist ein Klischee zu sagen, dass er ein großer Künstler, ein großer Schauspieler ist. Aber es ist doch so, dass er mich in seinen Filmen und am Theater stets beeindruckt hat. Und dass er es sich fast zwei, drei Jahre überlegt hat, ob er dieses Projekt mit mir verwirklicht, ist ein Zeichen, dass er sich auf das, was er macht, mit weit über 100 Prozent konzentriert. Sogar noch kurz vor unserem ersten Auftritt hat er noch nicht fest zugesagt, sondern wollte erst noch zwei, drei Proben abwarten und ausprobieren. Das haben wir dann vor einem Jahr in Zürich gemacht und erst dann hat er zugesagt. Davor habe ich auch großen Respekt. Bei den Proben und später auch auf der Bühne beeindruckte mich seine innerliche Konzentration. Das Stück nennt sich Melodrama und man kann es ganz altmodisch und sehr pathetisch aufführen. Bruno aber liest es tief bewegend und mit sehr viel Intellekt und Emotionen. Wie würden Sie Ihre eigene Arbeitsweise beschreiben? Ich versuche, soweit es mir möglich ist, in die Ehrlichkeit und Tiefe des Werkes zu gehen. Aufgeführt haben Sie „Enoch Arden“ nur im deutschsprachigen Raum? Ja, denn wir machen nur die deutsche Version. In England oder Amerika wäre die englische Version sinnvoller. Dann wäre aber auch die Frage, ob Bruno Ganz noch der richtige Rezitator wäre? Bruno spricht sehr gut Englisch, so dass er damit auch in Filmen auftreten kann. Aber ich glaube, die deutsche Sprache ist für ihn interessanter und näher. Und die englischsprachigen Schauspieler haben für so einen Text mit dem Englisch aus dem 19. Jahrhundert ein bisschen mehr Druck aus ihrer Theatertradition heraus, die von einer pathetischen Aufführungspraxis geprägt ist. Diesen Druck hat Bruno nicht, weshalb er seine persönliche Interpretation entwickeln kann. Diesen Unterschied zwischen deutschem und englischen Theater finde ich auch sehr spannend. Worin unterscheidet sich das deutsche vom englischen Publikum – Sie kennen beide? Ganz besonders auffällig beim deutschen Publikum ist die hohe Konzentration, die Tradition und die musikalische Aufmerksamkeit. Dieser Respekt und das Interesse für klassische Musik ist etwas ganz Besonderes – und ich hoffe, das bleibt auch in der Zukunft so. Beeindruckend ist vor allem auch die Stille, die sich in einem guten Konzert entwickelt. Stört Sie dann der Applaus an der falschen Stelle? Jein. Es kommt darauf an, an welcher falschen Stelle. Wenn man Tschaikowskys erstes Klavierkonzert spielt und dann nach dem ersten Satz die Leute klatschen, stört das nicht – und das sollte man als Musiker auch ziemlich entspannt sehen, denn den Enthusiasmus der Leute niederzudrücken, ist auch nicht sympathisch. Aber wenn man die letzte Beethoven-Sonate spielt und zum Ende, wenn ein paar Sekunden Stille herrscht, in denen man überlegen kann, was man die letzte halbe Stunde gehört hat, jemand sofort klatscht oder schreit, dann ist das schade, weil da eine besondere Atmosphäre entstanden ist, die jäh unterbrochen wird. Es gibt durchaus Leute, die kein Gefühl für die Situation haben und dann aus Angst oder weil sie zu viel Energie haben, klatschen – das kann schon stören. Aber letztlich darf man sich als Musiker auch nicht so überhöhen und sich so wichtig nehmen, denn letztlich haben sich die Leute Mühe gegeben, zum Konzert zu kommen, und wenn sie einigermaßen konzentriert für eine oder zwei Stunden zuhören, muss man als Musiker auch Respekt haben. Musik ist keine Religion. Sie haben in Berkley studiert und unterrichten jetzt selbst in Stuttgart. Worin unterscheidet sich das Musikstudium in Deutschland von dem in den USA? Das System in Deutschland orientiert sich immer noch sehr an der klassischen Ausbildung mit ihren Konservatoriumswurzeln aus dem 19. Jahrhundert. In Amerika mit den vielen optionalen Kursen ist das schon ganz anders. In Deutschland konzentriert man sich ganz stark auf sein Instrument und dann kommen Standardkomponenten wie Theorie und Musikgeschichte. In den USA gibt es mehr Optionen. Für manche Studenten ist das amerikanische À-la-carte-Studium passender. Wenn man allerdings von Musikstudium und Instrumentenpraxis spricht, ist nicht die Institution entscheidend, sondern von welchem Lehrer man unterrichtet wird. Nach meiner amerikanischen Zeit bin ich in ein kleines Dorf nach Spanien gegangen, wo eine kleine Privatschule war mit erstklassigen Professoren. Ich wollte dort unbedingt bei Dmitri Bashkirov studieren – da war es mit egal, ob das in einem kleinen Dorf ist oder in Wien oder Helsinki. Da verstehe ich die Musikstudenten nicht, die unbedingt in Berlin studieren wollen, weil es eben Berlin ist. Wenn man ein Instrument erlernen will, ist es immer die Frage bei wem, denn das ist kein Gruppenunterricht sondern ganz individuell. Spielen Sie noch Jazz? Ein bisschen als Hobby. Ich habe damals, als ich etwa 16 oder 17 war, gespürt, dass es fast unmöglich ist, diese zwei stilistische Richtungen zu kombinieren – zumindest nicht auf einem fast gleichmäßig hohem Niveau. Deswegen habe ich mich ohne Zögern dafür entschieden, mich mit klassischer Musik zu beschäftigen. Aber der Jazz ist im Herzen geblieben und ab und zu mache ich auch Projekte mit einer Jazz-Sängerin. Ich habe auch ein paar Aufträge an Jazz-Musiker gegeben – so haben Chick Corea und Brad Mehldau Werke für mich geschrieben, die die Elemente von Jazz und Klassik kombinieren. Solche Sachen mache ich noch, aber in einem Jazzclub ein Jazzkonzert zu spielen mache ich nicht, denn dafür muss man genauso viel üben wie für ein Sinfoniekonzert. Infos Karten für den Euroclassic-Abend am Donnerstag, 29. Oktober, in der Pirmasenser Festhalle mit Kirill Gerstein und Bruno Ganz gibt es noch zu Preisen zwischen 31 und 39,50 Euro im Pirmasenser Kulturamt, Telefon 06331/842352.