Pirmasens Ein lausbubenhaftes Ätsch

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Unprätentiös, zugänglich und mit viel musikalischem Mutterwitz präsentierten sich der Gitarrist und Komponist Tom Diehl und der – dieses Mal – Nur-Saxofonist Michael Gass am Freitag vor vollem Haus im integrativen Café Carpe Diem mit ebenso intelligenter wie berührender Jazz-Musik.

Diehl und Gass sind schon zwei sehr eigene Musiker – vielleicht das größte Lob, das man einem Jazzer machen kann. Eigen meint eigenständig und wiedererkennbar. Gleichzeitig stehen beide – jeder für sich und unvermeidlich – auf den Schultern von Riesen. Bei Diehl wird man stets dem freundlichen, höchst wahrscheinlich zustimmenden Winken von Joe Zawinul und Miles Davis gewahr werden können. Bei Diehl reiben sich zwei eigentlich widerstreitende Ambitionen: Einerseits sucht er eine maximale Einfachheit, fließende Melodien, oft auf ein fast rudimentäres Groove-Schema reduziert. Andererseits mag er es, diese Einfachheit mit aufwendigen, nicht selten überraschenden Akkord-Progressionen zu konterkarieren. Typisch für seine Kompositionen ist, dass Diehl es fast schon notorisch vermeidet, ein Stück auf der Tonika zu beenden, ein beinahe schon lausbübisches Ätsch! Michael Gass ist – bezogen auf etwaige Vorbilder – weniger stark zu bestimmen. Zumal Gass, der ja auch ein exzellenter Gitarrist ist, bemerkenswert unterschiedliche musikalische Persönlichkeiten in sich vereint. Der Gitarrist Gass, der an diesem Abend im Carpe Diem freilich nicht zu hören war, scheint oberflächlich betrachtet kaum etwas mit dem Sopran- und Alt-Saxofonisten Michael Gass zu tun zu haben. Das verbindende Element ist die stete und erfolgreiche Suche nach dem eigenen Ton und die Fähigkeit, aus melodienseligen Phrasen in oft ekstatische modale Spielweisen auszubrechen, ohne den Kontakt zur Idee zu verlieren. Wollte man das Spiel von Michael Gass stilistisch verorten, dann ist man – bei aller Anfechtbarkeit der Verkürzung – bei einem sehr individuellen Modern Jazz. Was aber das Zusammenspiel dieser beiden Musiker ganz besonders auszeichnet, ist die unbedingte Hingabe an den Moment. Musik ist nun mal Kunst in der Zeit, ein unwiederbringlicher Moment nach dem anderen, aus dem Augenblick geboren. Bei Gass und Diehl kommt die Fähigkeit und der Wille dazu, aufeinander zu hören, den Einfall des Partners aufzunehmen, zu kommentieren, fortzuspinnen und schon wieder von Neuem zu beginnen. Klanglich pflegt Diehl an diesem Abend einen recht perkussiven Sound, der zu einem Gutteil aber auch der Godin-Nylonsaiter und deren typischem Piezo-Tonabnehmer geschuldet ist. Gass wiederum kann sein Sopran-Sax klanglich zur Klezmer-Klarinette biegen, das Alt-Sax zu aufreizender Härte. Dabei geben Diehl und Gass auch ein beredtes Beispiel, dass – ganz im Sinne von Frank Zappa – Humor zur Musik gehört. Mehr als einmal flitzt ein Lächeln zwischen den beiden hin und her, wenn mal wieder eine Idee aufgegangen ist. Dabei bedient das Duo ganz unterschiedliche Sentiments und manchmal zweimal um die Ecke gedachte Reminiszenzen. „Chickoree“ zum Beispiel ist fraglos eine Verbeugung vor Chick Corea und dessen „Spain“, das selbst schon die Jazz-Paraphrase über das Adagio des „Concierto de Aranjuez“ des blinden spanischen Komponisten Joaquin Rodrigo war. Großartig. Geradezu sentimental dann die zweite Zugabe, eine Komposition von Tom Diehl, die hier so lyrisch daher kommt wie ein Gedicht von Michael Bauer und poetisch wie eine Zeichnung von Xaver Mayer. Musik, die anregt und anrührt.

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