Pirmasens Die perfekte Pendlerin

Sie stellt sich einfach hin und erzählt. Aus ihren Leben und dem von Kurt Weill, Edith Piaf, Marlene Dietrich und den anderen, deren Lieder sie singt. So entsteht fast schon intime Clubatmosphäre in der großen ausverkauften Zweibrücker Festhalle.

Im schwarzen schulterfreien Top – wie vor elf Jahren bei ihrem Zweibrücker Euroclassic-Konzert in der Westpfalzhalle – steht der Weltstar Ute Lemper am Mittwoch auf der Bühne. Am schwarzen Top hängt ein langer silberner Plisseerock, darüber leuchten ihre langen blonden Haare, von ganz oben kommt manchmal farbiges Licht. Sie hat einen Pianisten dabei (Vana Gierig) und einen Bandoneon-Spieler (Viktor Villena), die ihren Gesang untermalen. Das braucht sie eigentlich nicht, ihre Stimme ist so stark, dass sie alles überstrahlt. Auch wenn sie inzwischen 51 Jahre alt ist, zupft sie gern so verlegen wie ein junges Mädchen mit der linken Hand am Rock und am Oberteil. Das nimmt der perfekt einstudierten Show, bei der jede Handbewegung und jedes Haarezurückwerfen und jedes Lächeln genau kalkuliert ist, ein bisschen die Strenge. Sie singt – wie immer – von den Gestrauchelten, von den Prostituierten in der Bar („Amsterdam“ von Brel, „Mackie Messer“ von Weill), von denen, die Sehnsucht nach einer Stadt haben („Ich hab’ noch einen Koffer in Berlin“ von der Dietrich). Es sind die Interpretationen, mit denen die Lemper zurecht berühmt wurde. Denn im Gegensatz zu ihren berühmten Vorbildern hat sie keine Komponisten, die ihr etwas auf den Leib schreiben, das ein Hit wird. Also covert sie, oder besser: Sie interpretiert. Kein einziges Lied singt sie schön glatt durch. Auf den Beginn mit weicher, klarer, heller Stimme folgt irgendwann der Bruch ins Rauchige, aus dem Vierertakt wird ein synkopierter, die Melodie zerfasert, kaum ein Lied singt sie zu Ende. Das stört nicht weiter, denn alles fließt ineinander: die Melodie, der Gesang, die langen Erzählstücke, die spontan wirken, weil sie über ihr Leben in den verschiedenen Städten spricht. Doch ihre Worte sind nicht improvisiert, sondern einstudiert, theatralisch im positiven Sinn – bis auf die Erwähnung der Milords aus Zweibrücken, die für Lachen im Saal sorgt. Im Grunde ist ein Konzert mit Ute Lemper wie ein Film, in dem Szenen aus ihrem Leben vorüberziehen, das permanent zwischen Europa und Amerika pendelt. Zumindest hat man diesen Eindruck, wenn sie erzählt, dass sie mal in Berlin war, länger in Paris lebte, nach Amerika ging, wieder zurückkam, wieder nach Amerika ging. Das verbindet ihr Leben mit dem der Piaf, der Dietrich und Lotte Lenya, deren Songs sie sich aneignet. Bei der groß gewachsenen Blondine ist die Mackie-Messer-Ballade eine lebensfrohe Angelegenheit. Aus Brels ziemlich melancholischem, traurigem Abgesang „Le temps qui passe“ wird ein eher mutiger Titel. Dass Lemper überzeugend wirkt, liegt an den Gesten und an der Nonchalance, mit der sie mitten im Lied zwischen Französisch (der Hauptsprache ihrer Lieder), Englisch und Deutsch wechselt und nahtlos in den nächsten Song übergeht. In Europa ist dieser Potpourri-Stil im Chanson und im Cabaret nicht so verbreitet, in Amerika wohl schon. Seit 17 Jahren lebt Ute Lemper jetzt in New York, erzählt sie. Über weite Strecken wirkt ihr Programm, als wäre es für ein amerikanisches Publikum geschrieben. Denn in Europa muss man Trivialitäten zum Leben von Piaf und Co. nicht erklären. Allerdings käme eine französische Chansonsängerin wohl auch nicht auf die Idee, mitten im Song wie in Trance in eine Jazz-Improvisation zu fallen. Mit geschlossenen Augen biegt die Lemper den Kopf zurück und bringt Laute hervor, die eher an eine schwarze Sängerin denken lassen. Auch wenn sie gar nicht singt, sondern mit ihrer Stimme eine Trompete nachahmt oder später ein Saxofon, klingt das faszinierend. Nach 80 Minuten und nur einer Zugabe („Non, je ne regrette rien“) geht sie von der Bühne. Wer mehr haben will, sollte sich ab 4. Dezember den neuen Woody-Allen-Film ansehen, in dem sie als Cabaretsängerin auftritt. Der Film trägt einen Titel, der auch wunderbar zum Ute-Lemper-Konzert passt: „Magic in the Moonlight“.

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