Pirmasens „Dada ist mehr als Kunst“

Dada ist 99 Jahre nach seiner Geburt aktueller denn je und hat Zulauf: Zu dem Vortrag des Dada-Experten Adrian Notz aus Zürich kamen am Dienstag deutlich mehr Besucher, als der Veranstalter erhofft hatte. Die von dem Pirmasenser Hugo Ball und der Künstleravantgarde des Jahres 1916 in Zürich angestoßenen Prozesse scheinen heute noch Antworten zu geben, die sonst nicht zu finden sind.

Notz, der Direktor des Cabaret Voltaire in Zürich, wo Ball den Dadaismus mitgründete, war mit dem Aktionszelt „Dada on Tour“ mit nach Pirmasens gekommen, um für das Jubiläum im kommenden Jahr zu werben. „Wir wollen damit neue Freunde für Dada finden“, meinte Notz und wurde in Pirmasens auch fündig. Mit zwei oder drei Dutzend Besuchern hatte der Veranstalter für den Abend in dem Zelt gerechnet. Es kamen rund 80 Interessierte, darunter viele, die nicht zu den üblichen Verdächtigen bei Kulturveranstaltungen in Pirmasens zählen. Der Vortrag musste in den Kuppelsaal der Alten Post verlegt werden. Die Situation heute und im Jahr 1916 wollte Notz zwar nicht direkt vergleichen, fand aber durchaus Parallelen. So beispielsweise in dem einst von Ball in seinem Buch „Die Flucht aus der Zeit“ bemängelten Wirtschaftsfatalismus, der zum Ersten Weltkrieg geführt habe und auch heute wieder zu beobachten sei. Die Schweiz wurde laut Notz damals von Ball als Vogelkäfig mit vielen bunten Piepmätzen empfunden, der umgeben ist von einer Horde brüllender Löwen. Heute ist eher Europa der hübsche Käfig und die Löwen brüllen an den Rändern in der Ukraine, dem Nahen Osten und Nordafrika. Die enorme Gestaltungskraft und Energie, die der Dadaismus vor 99 Jahren entwickeln konnte, resultierte nach Notz’ Analyse aus dem internationalen Klima im Zürich des Jahres 1916 mit den vielen Künstlern, Revolutionären und Wissenschaftlern, die vor dem Krieg drumherum geflohen waren. „Das war der Humus.“ Die Radikalität, mit der sich rings um die Schweiz die Völker millionenfach abschlachteten, muss für die Intellektuellen in der Züricher Altstadt ein enormer Antrieb gewesen sein, der auch sie alles in Frage stellen ließ. Wobei Notz mit der Mär aufräumte, wonach der Dadaismus das Ende der Kunst gewollt habe. „Dada ist mehr als Kunst.“ Die Künstler um Hugo Ball wollten aus der magischen Welt schöpfen und hier ging Ball dann auch weiter als die anderen, kehrte der Dada-Bewegung den Rücken und suchte im fundamentalistischen Katholizismus, was ihm in der Kunst fehlte. Punk, Fluxus, Performancekunst, Hausbesetzer oder politische Aktivisten wie „Pussy Riot“ sieht Notz als Nachfolger der Züricher Gruppe von 1916, die den Funken weitertragen, den die Dadaisten vor 99 Jahren entzündeten. Aber auch in rein kommerziellen Figuren, wie der Musikerin Lady Gaga kann der Schweizer noch Spätfolgen Dadas sehen, war doch in den 20er Jahren eine Deutsche als „Dada Baronesse“ mit ähnlichen Aktionen wie Lady Gaga erfolgreich. Im kommenden Jahr zum 100. Geburtstag von Dada rechnet Notz mit einem Revival der Bewegung, das die Züricher kräftig mitgestalten wollen. Bei der Stadtverwaltung in Zürich habe man das Potenzial Dadas als Imagefaktor längst erkannt. Nicht umsonst wird das Cabaret Voltaire großzügig von der Stadt gesponsert, die sich als „Dada-Stadt“ sieht. Der Pirmasenser Hugo Ball soll im kommenden Jahr auch in Zürich groß rauskommen. Die vielen Interpreten von Balls Lautgedichten werden in die Schweiz zur „Lautgedicht Battle“ eingeladen. Das Aktionszelt „Dada on Tour“ ist noch bis einschließlich Freitag auf dem Platz vor der Alten Post kostenlos zu besichtigen. Ein 27-minütiger Film informiert über den Dadaismus, seine Ursprünge und Folgen. Am heutigen Donnerstag, 20 Uhr, findet im Rahmen von „Dada on Tour“ eine Dada-Soirée mit der Berliner Künstlerin Cora Chilcott in der Alten Post statt. Der Eintritt beträgt hier 15 Euro.

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