Pirmasens „Schlagzeug ist sehr viel mehr als nur Rhythmus“

Max Riefer (vorne links) und seine Studenten bei den Proben in der Alten Post.
Max Riefer (vorne links) und seine Studenten bei den Proben in der Alten Post.

Der Schlagzeuger Max Riefer ist einer der Hauptakteure beim 24-Stunden-Kulturspektakel „Industriekultur Pirmasens von 10 bis 10“. Der Musiker mit Pirmasenser Wurzeln wird mit seinem Ensemble, bestehend aus fünf seiner Studenten aus Malaysia, bereits bei der Eröffnung um 10 Uhr am Exerzierplatz dabei sein, ist bei der Schloßplatz-Serenade zu hören und am Nachmittag im Rheinberger und in der Alten Post, wo er ab 23.30 Uhr zur „Geisterstunde“ einlädt. Mit Max Riefer sprach unser Redakteur Christian Hanelt.

Wie kam es zu Ihrer Teilnahme an der „Industriekultur Pirmasens“?

Frau Mäß vom Kulturamt erzählte mir bereits im letzten Jahr am Rande einer Veranstaltung, dass für Sommer 2018 ein größeres Event geplant sei. Im Laufe des Gesprächs tauschten wir Ideen zu Inhalt und Struktur eines solchen Festivals aus. Am Ende fragte sie mich, ob ich nicht teilnehmen möchte. Selbstverständlich komme ich immer wieder gerne zurück in die Heimatstadt meiner Mutter. Was reizt Sie an dieser Veranstaltung? Ich bin ein großer Fan von Veranstaltungsstrukturen, die über das übliche „20 bis 21.30 Uhr“ hinausgehen. Eines meiner Lieblingsfestivals ist „Two days and two nights of New Music“ in Odessa, wo jedes Jahr im April fast Nonstop tatsächlich 48 Stunden lang Konzerte stattfinden, und zwar zeitgenössische und experimentelle klassische Musik. Sogar mitten in der Nacht gibt es immer mehrere hundert Zuhörer. Ähnlich ist es auch mit der Industriekultur Pirmasens, wo die Stadt bis spät in der Nacht klingen wird. Solche Konzepte lassen mehr Freiraum für Experimente, wie wir es am Samstag kurz vor Mitternacht erleben werden, wenn meine Studenten, die Tänzerin Irene und der Bratscher Valentin Steckel eine musikalische Geisterstunde aufführen. Sie begleiten die gesamte Veranstaltung, treten also an verschiedenen Spielstätten auf. Wie organisieren Sie das mit Ihren Instrumenten? Das ist relativ einfach, denn ich habe genug Instrumente mitgebracht, einiges auch in mehrfacher Ausführung. Zwischendrin wird es ein paar kurze Transporte mit meinem Auto geben. Was werden Sie spielen? Sind das eigene Kompositionen? Diesmal ist nur eine Komposition von mir. Der Rest sind Werke von Komponisten für Schlagzeug solo und Schlagzeugensemble, in deren Zentrum die beiden Hauptmaterialien der Schuhindustrie – Leder und Metall – stehen. Leder wird durch Fellinstrumente repräsentiert, Metall eben durch die unzähligen Metallinstrumente. Das spannende beim Schlagzeug ist nun mal die unendliche Klangvielfalt – Schlagzeug ist sehr viel mehr als nur Rhythmus! Komponisten, deren Werke wir spielen, sind unter anderem Jo Kondo (Japan), Tazul Tajuddin (Malaysia), Peter Edwards (USA), Ivo Medek (Tschechien) und Dennis Kuhn (Deutschland). Haben Sie dabei Raum für Improvisationen? Ja, und den werden wir auch nutzen. Vor allem in der musikalischen Geisterstunde ab 23.30 Uhr. Sie werden begleitet von fünf Ihrer Studenten aus Malaysia. Wie kam es dazu – ist das nicht auch eine finanzielle Herausforderung, eigens für diesen Tag nach Deutschland zu fliegen? Grundsätzlich versuche ich immer, meine Studenten in irgendeiner Weise an meinen persönlichen Projekten teilhaben zu lassen, sei es passiv durch Beobachtung und musikanalytische Arbeit, oder – wie am Wochenende – durch aktive Teilnahme, weil solche Erlebnisse prägend für die persönliche und musikalische Entwicklung sind. Als ich in Malaysia anfing zu unterrichten, war mir bewusst, dass dies keine Einbahnstraße sein darf, im Sinne dass ich „denen dort mal das Schlagzeug spielen beibringe“. Ich muss umgekehrt von meinen Studenten lernen, Gastdozenten einladen und schließlich auch meine Studenten aus dem Universitätsumfeld in die internationale Musikszene einführen. Sicherlich ist das eine finanzielle Herausforderung, aber einerseits unterstützt meine Universität das Projekt, in dem sie einen Teil der Reisekosten zahlt, andererseits haben die Studenten in den letzten Monate Geld gespart, um auch einen Anteil zu leisten. Werden Sie außer in Pirmasens anderswo noch Konzerte geben? Nein, wir spielen diesmal tatsächlich nur in Pirmasens – hochexklusiv sozusagen. Am Montag fliegen wir dann alle wieder zurück nach Kuala Lumpur, wo eine Woche später das neue Semester beginnt. Was hat Sie eigentlich nach Malaysia geführt? Das war eine Verkettung von Zufällen und die genaue Erzählung würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Aber in der Kurzform war es so, dass ich seit 2010, nach einer Einladung des Goethe-Institutes Manila zusammen mit dem Komponisten Dieter Mack jedes beruflich Jahr mehrfach in Südostasien war und in engen Kontakt mit Universitäten und Festivals in Malaysia, Singapur, Thailand und Indonesien trat. 2014 kam dann die erste Anfrage aus Malaysia, dass man einen Leiter für die Schlagzeug-Abteilung bräuchte. Da man zwischen Malaysia und Deutschland nur etwa 15 Stunden reist, habe ich dieses spannende Angebot angenommen. Seitdem pendele ich – mein Mittelpunkt ist aber in Kuala Lumpur. Worin unterscheidet sich die musikalische Ausbildung dort von der in Deutschland? Natürlich muss man die lokale, kulturspezifische Musik respektieren. Alle meine Studenten müssen auch malaiisches traditionelles Schlagwerk lernen, wofür es natürlich einen speziellen Lehrer gibt. Zudem muss man – ganz spröde – sich den Markt anschauen, der sich deutlich von dem in Deutschland unterschiedet. Es gibt in ganz Südostasien nur rund zehn Vollzeitorchester, von denen aber nur die Hälfte ein vernünftiges Gehalt zahlen kann. Es wäre also nicht klug, alle meine Studenten auf Orchesterjobs vorzubereiten. Dementsprechend sind Inhalte anders gewichtet. Ich arbeite in meinen Seminaren zudem viel mit experimenteller Musik, Improvisation und Klassenmusizieren, da sicherlich einige Studenten als Musiklehrer an öffentlichen Schulen landen werden. Die Basis – genaues Hören, Musiktheorie, Instrumentaltechnik und so weiter – ist aber wie in Deutschland. Gibt es Unterschiede bei Konzerten in der Reaktion des Publikums zwischen Deutschland und Malaysia? Das Publikum in Malaysia klatscht normalerweise nicht lange – selbst wenn die Performance sehr gut angekommen ist. Das hat mich zu Beginn etwas irritiert, da ich, ganz mitteleuropäisch, wenig Applaus als Zeichen von Missgunst interpretierte. Dem ist aber zum Glück nicht so. Generell kann man sagen, dass das Publikum dort anders zuhört. Wenn das Konzert nicht gefällt, wird sich schon mal lautstark mit dem Sitznachbarn ausgetauscht. Auf der anderen Seite erlebe ich es aber auch immer wieder, dass das Publikum offener und aufmerksamer zuhört, im Sinne eines aktiven Hörens, was vielleicht daran liegt, dass es eben keine fünf Orchesterkonzerte und sieben Klavierabende jeden Tag gibt. Im Herbst werden Sie wieder in Pirmasens spielen – dann erneut mit dem Euroclassic-Festivalorchester. Was reizt Sie an diesem Orchester? Da gibt es zwei Komponenten: zum einen ist das musikalische Niveau des Orchesters phänomenal! Man muss sich nur vor Augen führen, was die Mitglieder dieses Orchesters den Rest des Jahres so machen, sei es als Musiker in den großen deutschen Orchestern, als Professoren an Musikhochschulen oder als gefragte Kammermusiker und Solisten. Alle als Teil einer einzigen Generation wohlgemerkt. Das ist sicherlich einzigartig. Zum anderen bin ich mit den meisten der Musiker seit Jahren befreundet, teilweise seit gemeinsamen Arbeitsphasen mit dem Bundesjugendorchester, was mittlerweile bereits fast 20 Jahre her ist, oder sogar noch länger. Mit der Familie Steckel verbindet mich und meine Familie eine enge Freundschaft, die lange vor meiner Geburt begann. Es immer schön, gemeinsam mit guten Freuden zu musizieren. Noch einmal zur „Industrierkultur“: Bitte nennen Sie drei Gründe, diese Veranstaltungsreihe zu besuchen. Ich möchte erstmal zwei Gründe jeweils geben: Die Industriekultur ist ein tolles experimentelles Konzept mit fantastischen Beiträgen, sogar mitten in der Nacht! Schlafen kann man dann am Sonntagnachmittag, aber man sollte keinen Programmpunkt verpassen. Daneben hört man nicht oft ein malaysisches Schlagzeugensemble, jetzt ist also die Gelegenheit dazu! Der Hauptgrund ist aber - und das sage ich als halber Saarländer - Pirmasens selbst! Die Stadt hat trotz ihres etwas angeschlagenen Rufes sehr viel zu bieten, gerade im kulturellen Bereich. Als einer meiner Studenten, der gerade zum ersten Mal in Europa ist, die renovierte Alte Post sah, zückte er begeistert sein Handy und rief auf malaiisch: „Das ist ja wunderschön hier!“. Wir müssen uns vielleicht öfter vor Augen führen, dass er Recht hat.

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