Neustadt Zu Hause in der Welt der Bücher

Die Literatur half ihr auch durch die schwierige Zeit des Nationalsozialismus: Luise Hackelsberger, Tochter des Schriftstellers
Die Literatur half ihr auch durch die schwierige Zeit des Nationalsozialismus: Luise Hackelsberger, Tochter des Schriftstellers Werner Bergengruen, die als Bildungsvermittlerin über Jahrzehnte das kulturelle Leben Neustadts bereicherte.

«NEUSTADT». Sie hat das kulturelle Leben der Stadt über Jahrzehnte mit großem ehrenamtlichem Engagement bereichert. Luise Hackelsberger verstand sich stets als Vermittlerin von Bildung. Sie ist aber auch Autorin und eine wichtige Zeitzeugin, an deren Lebensweg deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts ablesbar wird. Heute feiert die promovierte Germanistin im GDA-Wohnstift ihren 95. Geburtstag.

Bis Ende letzten Jahres hat sie dort einen Literaturkurs mit wechselnden Schwerpunkten geleitet. Unvergessen ist ihr Vortrag zum 125. Geburtstag ihres Vaters, des Schriftstellers Werner Bergengruen, im vollbesetzten Festsaal des Wohnstifts. Inzwischen haben sich altersbedingte Einschränkungen eingestellt. „Es ist schwierig, etwas Produktives hervorzubringen, wenn man nicht mehr sehen kann“, erklärt sie im Gespräch. Das Lesen war ihr von klein auf eine Selbstverständlichkeit, denn: „Ich bin in der Welt der Bücher zu Hause.“ Heute ist sie auf ein Lesegerät angewiesen, aber sie steckt noch immer voller Pläne. „Ich habe noch einiges im Kopf und viel Material in meinem Schrank“, betont sie mit dem ihr eigenen Humor. So hat sie vor, Formen der Literatur vorzustellen und über Balladen und moderne Erzählgedichte zu referieren. Im Gespräch beeindruckt der immense geistige Fundus, aus dem sie schöpft, wenn sie literarische Beispiele zitiert oder Anekdoten aus der weit verzweigten Familiengeschichte, etwa über die der Mendelssohns, zum Besten gibt. Deutsche Geschichte, Höhepunkte und Abgründe des 20. Jahrhunderts, spiegelt ihr langer Lebensweg. Die am 9. März 1924 in Berlin geborene Tochter von Werner und Charlotte Bergengruen verlebte zunächst eine behütete Kindheit. Eine tiefe Zäsur bedeutete die Machtergreifung Hitlers für die Familie. Als der Schriftsteller zu seiner im unsäglichen Jargon der Nazis „nicht arischen Frau“, Urenkelin der Komponistin Fanny Mendelssohn, hielt, galt er als politisch unzuverlässig und wurde 1937 nach Veröffentlichung seines Schlüsselromans „Der Großtyrann und das Gericht“ aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was faktisch einem Berufsverbot gleichkam. Einen Schock erlebte das zwölfjährige Mädchen nach dem Umzug der Familie nach Solln bei München. Dort schickten die zum Katholizismus konvertierten Eltern die Tochter, die sich als „protestantische Preußin“ fühlte, in eine Klosterschule, damit sie als „Mischlingskind“ geschützt sei. Seitdem fühlte sie sich ausgegrenzt, und dieses Gefühl, nicht dazu zu gehören, blieb ein Leben lang erhalten. Damals half ihr das Trostwort des Vaters: „Leben muss von innen kommen – du kannst doch lesen ...“ Und das Lesen – auch der Gedichte des Vaters – wurde für sie zu einem Überlebensanker. Nach dem Abitur begann sie eine Buchhändlerlehre und studierte Pädagogik. Früh emanzipiert, begann sie nach Kriegsende in der Schweiz ein Germanistikstudium, das sie 1950 in Bern mit einer Dissertation über Hermann Hesse abschloss. Nach der Heirat mit dem promovierten Kunsthistoriker und Designer Berthold Hackelsberger wurde ihr ab 1957 Neustadt zur Heimat. Hier gelang es der Mutter dreier Kinder, damals beispielhaft, als Pädagogin am Kurfürst-Ruprecht-Gymnasium, Familie und Beruf erfolgreich zu verbinden. Ganz neue Aktivitäten entfaltete sie im „Unruhestand“ als Mitinitiatorin der Senioren-VHS, als Leiterin einer Schreibwerkstatt, als Erzählerin und Deuterin von Märchen. Unvergessen sind ihre Sonntagsmatineen in der Stadtbücherei und ihre Vortragsabende. Für diese engagierte Kulturarbeit erhielt sie 1994 die Goldene Ehrennadel und 2010 den Kulturpreis der Stadt. Auch überregional wurde Hackelsberger ausgezeichnet: im Jahr 2007 mit dem Bundesverdienstkreuz für ihr Wirken im Bereich Bildung. Als Autorin trat sie 2009 mit der unter ihrem Mädchennamen veröffentlichten Autobiografie „Jahrgang 24, weiblich – Kein Roman“ hervor, in der sie beklemmend ihre Erfahrungen in Nazi-Deutschland festhält. Bis 2015 verwaltete sie das Werner-Bergengruen-Archiv und war Herausgeberin von Werken ihres Vaters. Was gibt ihr in ihren späten Jahren Kraft? Die Antwort kommt prompt: „Das ist die Familie, meine drei Kinder und vier Enkelkinder, und wichtig ist mir außerdem die Freundschaft mit Menschen, die einen ermuntern ...“

x