Neustadt Spurensuche und Versöhnung in der Normandie

Dieses Jahr wird es vermutlich wieder etwas ruhiger werden, am 6. Juni in Caen. Im vergangenen Jahr war es anders, da jährte sich die Landung der Alliierten in der Normandie zum 70. Mal. US-Präsident Barack Obama war da und die Queen. Montags berichteten die Zeitungen, dass der 89-jährige britische Kriegsveteran Bernard Jordan sogar aus dem Altersheim ausgebüxt war, um bei dem Jubiläum mit dabei zu sein. Mit dabei war auch Erich Bissoir, Jahrgang 1925, aus Neustadt. Nicht bei den offiziellen Feierlichkeiten, sondern etwas abseits. „Wir treffen uns auf den damaligen Schlachtfeldern“, sagt er. „Wir“ – das sind Kriegsveteranen aus verschiedenen Ländern, Briten, Amerikaner, Kanadier. Seit 2010 ist auch Bissoir bei den Treffen dabei. Aus den ehemaligen Feinden, so erzählt er, seien inzwischen Freunde geworden. Erich Bissoir hat erst viele Jahre nach Kriegsende angefangen, sich auf Spurensuche zu begeben. 1995, als das Kriegsende sich zum 50. Mal jährte, fing er an, seine persönlichen Erlebnisse aufzuschreiben. Seine Erinnerungen an seine Zeit bei der Waffen-SS. Bissoir weiß, welche Verbrechen diese Organisation begangen hat. Er schämt sich dafür. Er hat dennoch nie verschwiegen, dass er damals mitgemacht hat. „Ich wollte zur Elite gehören“, sagt er. Erich Bissoir war 1942 18 Jahre alt. Als er 68 Jahre später am D-Day, dem Tag der Landung der Alliierten, nach Caen kam, war ihm mulmig zumute. Rund hundert britische Kriegsveteranen waren dort versammelt, er selbst war der einzige deutsche. Und dazu noch Angehöriger der ehemaligen SS-Panzerdivision „Hitlerjugend“. Wie würden die Briten reagieren? Bissoir wurde freundlich aufgenommen. Er wurde sogar zur Gedenkfeier auf dem britischen Soldatenfriedhof in Bayeux eingeladen. „Das empfand ich als große Ehre und Beweis für die Versöhnung“, sagt er. Inzwischen hat Bissoir zu Hause einen dicken Ordner voller Korrespondenzen mit britischen, amerikanischen und kanadischen Kriegsveteranen. Mehrere Medien aus diesen Ländern haben bereits berichtet über die Treffen der früheren Feinde. „D-Day-Fallschirmjäger im Erfahrungsaustausch mit früherem Waffen-SS-Mann“ titelte eine Zeitung. Die Freundschaften stoßen auf Interesse. Einmal hat sich ein jüdischer Kriegsveteran auch eingehend über das Leben in Nazi-Deutschland erkundigt, sagt Bissoir. Er erzählte vom Brand der Synagoge und des jüdischen Altersheims in Neustadt. Damals, als Siebtklässer, ist er am Tag nach dem Brand von einem Lehrer zum noch immer nicht ganz gelöschten Altersheim geführt worden. „Der Lehrer sagte nur: Seht euch das an. Mehr nicht“, erzählt Bissoir. Erst viel später konnte er das einordnen. Wenn Bissoir heute entscheiden müsste, würde er den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern, sagt er. Sein Anliegen sei die Versöhnung. Deshalb wird er auch in diesem Jahr am 6. Juni wieder in die Normandie fahren.

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